»Die Natur legt Spuren«

Hohe Tannen, finstere Geheimnisse: Im Thriller „Schweigend steht der Wald“ quartiert sich eine junge Frau in dem oberpfälzischen Dorf ein, in dem ihr Vater einst verschwand.

Berlinale Schweigend steht der Wald
Foto: Poison/Sebastian Reiter/BR

Bäume, wohin man blickt. Waldboden, mit dem etwas nicht stimmt. Und Menschen, die gerade so viel sagen, wie es eben sein muss: So kann man sich das Dorf in der Oberpfalz vorstellen, in dem Anja Grimm (­Henriette Confurius) ihr Forstpraktikum absolviert. Wer sie im Kinofilm „Schweigend steht der Wald“ (2023) unter Tannen graben sieht, ahnt schon, dass Unbequemes ans Licht kommen wird. Denn Anja ist nicht zufällig in der Gegend, in der vor 20 Jahren ihr Vater verschwand. Der Thriller ist das Regiedebüt von ­Saralisa Volm und handelt von Schuld und Verdrängung. Volm hat in den 2000er Jahren mit dem Avantgarde-­Regisseur Klaus ­Lemke gedreht und im Buch „Das ewige Ungenügend“ (2023) Schönheitsideale hinterfragt. Sucht man ein Thema, das sich durch ihre Arbeit zieht, so könnte man sagen: Es geht ihr darum, an festgeklopften Gewissheiten zu rütteln.

Schweigend steht der Wald

Thriller

Freitag, 16.2. — 20.15 Uhr
bis 16.3. in der Mediathek

ARTE Magazin Frau Volm, in der Kunst hat man dem Wald alle möglichen Bedeutungen verpasst: Er galt als mythisch, romantisch, düster. Knüpfen Sie an diese Bilder an? 

Saralisa Volm Der Film greift diese alten Mythen und Märchen auf, die oft dazu gedient haben, Menschen Angst zu machen. Es gibt viele Tiere, vom Gewürm bis zum Wolf. Ich bin auch ein großer Fan von Caravaggio; es gefällt mir, mit Hell und Dunkel zu spielen. Doch das Düstere und Verwunschene des Waldes dient in erster Linie als Ausgangspunkt, um eine andere Geschichte zu erzählen. Besonders finde ich, dass der Wald sich im Film gewissermaßen äußert.

ARTE Magazin In den Tiefen des Waldbodens entziffert Ihre Hauptfigur Anja Grimm die Spuren eines Verbrechens. 

Saralisa Volm Das hat etwas Archäologisches an sich. Man denkt oft, dass man nur in Dingen, die Menschen geschaffen haben, Geschichte finden kann – in Büchern oder Bauwerken etwa. Doch die Natur legt Spuren, die wir als Menschen entdecken könnten, wenn wir aufmerksamer wären. Darum war es so interessant, mit Förstern, Bodenkundlern und Botanikern zu sprechen, um herauszufinden: Was kann uns die Natur sagen?

ARTE Magazin Der Film spielt Ende der 1990er Jahre, ­Anja Grimm kommt als Außenseiterin in eine Dorfgemeinschaft. Was ist sie für eine Frau?

Saralisa Volm Sie ist ambitioniert und sehr interessiert, aber sie trägt auch einen großen Schmerz mit sich. Vor 20 Jahren hat sie ihren Vater verloren; ihre Mutter hat das nie ganz verwunden. Sie sucht in ihrem Beruf auch eine Nähe zum Vater. Sie kommt zurück, weil sie Dinge noch nicht verarbeitet hat.

ARTE Magazin Als Frau, die Wildschweine ausnimmt oder sich eine Wunde am Bein zusammentackert, ist sie auch eine ungewohnte Protagonistin. 

Saralisa Volm Schade, oder? Im echten Leben sehe ich solche Frauen ständig, auf der Leinwand weniger. Mir ist sie wahnsinnig sympathisch. Anja Grimm ist eine Figur, von der ich mir wünschen würde, dass wir sie im Kino öfter sehen.

 

Saralisa Volm ARTE Magazin Interview
Saralisa Volm, Filmemacherin, Schauspielerin, Autorin: Bekannt wurde sie als Schauspielerin, etwa im Film „Dancing with Devils“ (2009). Sie ist Produzentin und hat mehrere Bücher geschrieben, zuletzt „Das ewige Ungenügend. Eine Bestandsaufnahme des weiblichen Körpers“. „Schweigend steht der Wald“ ist ihr Spielfilmdebüt als Regisseurin. Foto: Jana Rodenbusch

ARTE Magazin Ist Ihnen die wortkarge Stimmung, die im Dorf herrscht, aus Ihrer süddeutschen Heimat vertraut? 

Saralisa Volm Extrem vertraut. Ich komme vom Fuß der Schwäbischen Alb und kenne das Landleben. Ich wusste genau, was die Menschen dort für Tassen im Schrank haben, was für Schneidebretter. Wie sie zu Abend essen und wie sie sprechen. Worüber sie nicht sprechen. Es war eine schöne Erfahrung, weil ich von Beginn an genau wusste, welches Gefühl am Ende herauskommen muss. 

ARTE Magazin Ihre ersten Filme haben Sie mit Klaus ­Lemke gedreht, mit dem Sie, wie Sie einmal erzählt haben, oft stritten. Worum ging es dabei? 

Saralisa Volm Um Perspektiven. Ein Streit, den wir oft geführt haben, war: Renaissance gegen Barock. Was die Haltung angeht, philosophisch, ästhetisch. Es ist interessant, sich so auseinanderzusetzten und zu überlegen: Was ist modern? Ist das Zeitgeistige modern? Ich befürchte, in vielerlei Hinsicht nicht. Und wenn man kreativ zusammenarbeitet, ist es gut, sich ein bisschen breiter auszutauschen, als nur zu überlegen: Ergibt es Sinn, dass du in dieser Szene von links nach rechts gehst? 

ARTE Magazin „Es lohnt sich, überall genau hinzugucken, auch wenn es dreckig, eklig, körperlich wird“, haben Sie einmal gesagt. Was interessiert Sie daran? 

Saralisa Volm Ich bin überzeugt davon, dass es uns guttut, hinter die Kulissen zu blicken. Sowohl bei den anderen als auch bei uns selbst. Am Ende des Tages hilft es uns, ein bisschen gnädiger zu werden und aufeinander achtzugeben. Weil man merkt: Wir alle haben Abgründe, wir haben Ängste. Wir alle machen Fehler, haben unsere bösen Seiten. Ich glaube, man kann besser damit umgehen, wenn man die kennt. Nicht nur als Einzelperson, sondern als Gesellschaft.

ARTE Magazin Würden Sie nachts allein durch den Wald laufen, so wie Anja es tut? 

Saralisa Volm Immer. Ich laufe nachts durch die Stadt und durch den Wald. Ich habe keine Angst vor Dunkelheit.