Naturbelassene Flusslandschaften und türkisfarbene Seen treffen auf schroffe, schneebedeckte Bergketten. Der Kluane-Nationalpark ganz im Westen Kanadas, direkt an der Grenze zu Alaska, ist geprägt von Kontrasten, die ihm eine besonders reiche Artenvielfalt bescheren. Darüber hinaus ist der Park vor allem bekannt für sein Eisfeld, eines der größten zusammenhängenden Gletschergebiete außerhalb der Polarregionen. Auf einer Fläche, die mit rund 21.000 Quadratkilometern etwa halb so groß ist wie die Schweiz, erstreckt sich eine nahezu unberührte, gefrorene Weite.
Immer deutlicher macht sich allerdings auch an diesem Ort der Klimawandel bemerkbar: Die Hauptgletscherzungen des Nationalparks sind im vergangenen Jahrhundert um mehr als 100 Meter geschrumpft. Flora und Fauna am Fuß der Gletscher haben sich stellenweise bereits stark verändert. In Fragen der weltweiten Klimaveränderung gelten Gletscher als Schlüsselindikatoren. Ursachen und Auswirkungen der Eisschmelze werden deshalb im Kluane-Nationalpark genau beobachtet. Neben Wissenschaftlern auch von Angehörigen der First Nations, wie die Gemeinschaft der indigenen Menschen in Kanada bezeichnet wird.
„Unser Volk hat sich immer angepasst und aus allem einen Nutzen gezogen. Es ist wichtig, Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen und sie auf die Gegenwart zu übertragen“, sagt etwa Harold Johnson, Angehöriger der Champagne und Aishihik First Nations, in der ARTE-Dokumentationsreihe „Kanadas Nationalparks“. Insgesamt gehören rund 700.000 Menschen zu den kanadischen First Nations, die wiederum in 615 verschiedene Stämme unterteilt sind. Ein Leben im Einklang mit der Umwelt – für Johnson und viele andere Nachfahren der amerikanischen Ureinwohner ist das nicht nur ein hehres Ideal. Ihr jahrtausendealter Glaube besagt, dass sich der Mensch als ein Teil der Natur und nicht als Krone der Schöpfung verstehen sollte.
Wälder gerodet, Tiere vertrieben
Dass nicht alle Menschen danach handeln, mussten die indigenen Stämme am Kluane-Nationalpark, die dort bereits seit gut 12.000 Jahren siedeln, während des Zweiten Weltkriegs erfahren. War ihre Heimat bis dahin weitestgehend unberührt von der Moderne, erschlossen das kanadische und das US-amerikanische Militär die Region im Jahr 1942 innerhalb weniger Monate durch den Bau des Alaska Highway. Die Folgen? Eine großflächige Rodung der Wälder und die Vertreibung zahlreicher Tierarten. Um dem entgegenzuwirken, entstand 1972 der heutige Nationalpark mit strengen Naturschutzauflagen.
Im Gebiet des heutigen Grasslands-Nationalparks, eine der wenigen noch intakten Prärielandschaften der Welt, hatte der Einfluss der modernen Zivilisation ähnlich dramatische Auswirkungen – jedoch bereits viel früher. Nachdem sich europäische Pioniere im 18. und 19. Jahrhundert im flacheren Süden Kanadas angesiedelt hatten, wurde der Bestand an Bisonherden ausgerottet. Mit fatalen Konsequenzen für die ansässigen indigenen Stämme, die ihren Lebensrhythmus an den der Bisons angepasst hatten. An die Siedlungen und mobilen Tipi-Lager der einstigen Präriebewohner erinnern heute nur noch vereinzelte Steinkreise in der Graslandschaft. Außerhalb des geschützten Areals des Nationalparks haben die Agrarwirtschaft und die intensive Beweidung sowohl historische Hinterlassenschaften als auch die ursprüngliche Vegetation der Prärie fast vollkommen verschwinden lassen. Endlose Weizen- und Mais-Monokulturen prägen heute die Landschaft. Die Region Saskatchewan, in der der Grasslands-Nationalpark liegt und die an der Landesgrenze zu den USA endet, ist Kanadas wichtigste Agrarprovinz.
Die Rückkehr der Bisons
Um das fragile Ökosystem der Prärie zumindest im Park in seiner ursprünglichen Form zurückzugewinnen, wurden im Jahr 2005, rund 120 Jahre nach ihrer Ausrottung, wieder Bisons angesiedelt. Inzwischen hat sich die Population vervierfacht: auf etwa 350 Tiere. Ein Anfang, aber nicht genug, um das über lange Zeit bestehende symbiotische Verhältnis zwischen den Pflanzenfressern und der Graslandschaft großflächig wiederherzustellen. In einem Pilotprojekt werden deshalb inzwischen gezielt Rinder eingesetzt, die die ursprüngliche Funktion der Bisons im Park übernehmen. So ist das Abweiden der Wiesen entscheidend für den Lebensraum des Großen Beifußhuhns, das zu Hochzeiten der Bisonherden zu den am weitesten verbreiteten Vogelarten Nordamerikas zählte.
Landwirt Miles Anderson, dessen Familie schon seit rund 100 Jahren Viehzucht am Rand des Grasslands-Parks betreibt, ist Teil des ungewöhnlichen Naturschutzprogramms im Nationalpark. Er freut sich, dass er mit seinen Rindern, die ansonsten in Kanadas Wildreservaten unerwünscht sind, zur Förderung der Artenvielfalt beitragen kann. Genau wie die First-Nations-Kanadier plädiert er für einen bewussteren Umgang mit der Natur und eine Rückbesinnung auf das ursprüngliche Leben der Menschen. „Wie soll man voraussagen, was in Zukunft passieren wird, wenn wir nicht nicht wissen, was hinter uns liegt?“, sagt er in der ARTE-Dokumentation.
Fossilien-Dorado unter Steinen
Eine Reise in längst vergangene Zeiten machen auch die Paläontologen im Grasslands-Nationalpark. Das Gebiet der sogenannten Badlands – eine Hügellandschaft mitten im Park und von den europäischen Pionieren aufgrund von Hitze, Trockenheit und mageren Böden einst als unbrauchbar identifiziert – ist in Wahrheit reich an Schätzen. Die Gesteinslandschaft gilt unter Forschern mittlerweile als ein Fossilien-Dorado. Das Besondere: „Die Felsen sind ungefähr 66 Millionen Jahre alt. Das ist bedeutsam, weil zu eben dieser Zeit die Ära der Dinosaurier zu Ende ging“, sagt Emily Bamforth vom Royal Saskatchewan Museum. Sie ist überzeugt, dass sich in den Badlands noch viele Geheimnisse lüften lassen. „Dies ist einer der am besten geeigneten Orte in Nordamerika, wenn nicht sogar auf der Welt, um das Ende des Mesozoikums, also das Zeitalter der Dinosaurier, zu erforschen.“