Afrika bedient den Rohstoffhunger der Welt. Reich werden dadurch wenige, viele Menschen hingegen zahlen einen hohen Preis: Ausbeutung, Kinderarbeit, zerstörte Natur- und Lebensräume durch Bergbau, Öl- und Gasförderung. Der steigende Bedarf etwa an Metallen für Hightech-Produkte wie Handys und E-Autos, der gerade auch Donald Trumps Begehrlichkeiten für Grönland weckt, rückt den afrikanischen Kontinent noch stärker in den Fokus der Industrienationen. Das lässt in den Ländern mit kritischen Ressourcen das Selbstbewusstsein wachsen. Die Politologin Melanie Müller von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin ist Expertin für die Weltregion, in der China wirtschaftlich enormen Einfluss hat – und Europa neue Partnerschaften anstrebt.
ARTE Magazin Wie hat China im südlichen Afrika seine Vormachtstellung bei der Gewinnung kritischer Rohstoffe wie Kupfer und Kobalt erlangt?
Melanie Müller Die chinesische Regierung hat früh erkannt, dass sie für die Industrialisierung des Landes den Zugang zu Rohstoffen braucht. In der EU und teilweise den USA hat man Bergbau und energieintensive Weiterverarbeitung zurückgefahren. Diese Lücke hat China genutzt und im Rahmen seiner Initiative Neue Seidenstraße investiert. Übersehen wird aber häufig, dass China nicht nur Geld in die Hand genommen, sondern in Afrika auch eine diplomatische Charmeoffensive gestartet hat.
ARTE Magazin In welcher Weise ist das geschehen?
Melanie Müller Sehr strategisch. Afrikanische Staats- und Regierungschefs werden jährlich nach Peking eingeladen und zuvorkommend behandelt. Es gibt Stipendien- und Austauschprogramme. Das ist auf einem Kontinent, der sich immer etwas außen vor gefühlt hat, auf fruchtbaren Boden gefallen.
ARTE Magazin Ist diese Entwicklung in Europa verschlafen worden?
Melanie Müller Nach dem Ende des Kalten Krieges wurde eine globalisierte Arbeitsteilung befürwortet, Freihandel war ein Paradigma. Das hat zu Marktkonzentrationen und Klumpenrisiken geführt: Ausfälle von Produktionen etwa, wie wir sie nach der Pandemie erlebt haben. Russlands Angriffskrieg zeigt zudem, dass Abhängigkeiten politisch instrumentalisiert werden können.
ARTE Magazin Gibt es ein Umdenken?
Melanie Müller Die EU hat vergangenes Jahr eine europäische Rohstoffstrategie verabschiedet, den Critical Raw Materials Act. Bis dahin hat jedes Land eher sein eigenes Süppchen gekocht. Die EU will nun aber gemeinsam Schlagkraft entwickeln.
ARTE Magazin Auch in rohstoffreichen afrikanischen Ländern gibt es Kritik an der einseitigen Abhängigkeit von China. Bietet das Chancen?
Melanie Müller Diese Länder haben den Wettbewerb als Vorteil erkannt und sehen, dass sie weltweit verhandeln können. Im Rahmen von Rohstoff-Partnerschaften könnten wir Minen langfristige Abnahmeverträge über zehn, zwanzig Jahre anbieten. Oder Pakete für afrikanische oder internationale Bergbauunternehmen, an denen dann europäische Firmen beteiligt sind, wie bei Energieversorgung, Logistik oder neuen Technologien. Wir sind da durchaus konkurrenzfähig, vielleicht nicht immer in der Quantität, aber bei qualitativ guten Projekten.
ARTE Magazin Wie steht es um den Willen afrikanischer Länder, mehr als Rohstofflieferanten zu sein?
Melanie Müller Man muss schauen, wie der Rohstoffsektor mit anderen gekoppelt werden kann, um so die Wertschöpfung zu erhöhen. In der Demokratischen Republik Kongo und in Sambia sollen zum Beispiel Teile der Batterien für E-Autos gefertigt werden. Wichtig ist, dass neue Initiativen in die Strategien der afrikanischen Länder passen. Man kann sich das nicht in Europa ausdenken.
ARTE Magazin Der Kolonialismus entzweit Europa und Afrika bis heute. Wie wird damit umgegangen?
Melanie Müller Die Anerkennung der kolonialen Verbrechen ist ein wichtiger Aspekt. Gelingt das aufrichtig, verbessern sich die Beziehungen zu afrikanischen Ländern insgesamt – unabhängig vom Rohstoffthema. Es geht ums Zuhören, um Sensibilitäten sowie die Einbindung der Menschen vor Ort. Manchmal verhandeln die Europäer mit Regierungen, die großes Interesse an Wirtschaftsprojekten haben, weil sie Geld ins Land bringen und ihnen selbst und bestimmten Eliten Vorteile. Oft gibt es dann lokale Widerstände, weil afrikanische Regierungen – wie europäische – nicht immer im Interesse aller Bürger handeln. Ein Ausgleich von außen ist nicht einfach. Man muss Projekte sorgfältig planen, auch wenn es länger dauert.
ARTE Magazin In Europa gelten rechtliche Standards. Ist das ein Nachteil im globalen Wettbewerb?
Melanie Müller Umgekehrt kann ein Schuh daraus werden: Auch afrikanische Staaten haben sich verpflichtet, Standards einzuhalten. Wir sollten nicht dazu beitragen, die Bedingungen in schwierigen Ländern zu verschlechtern.
ARTE Magazin Wundert es Sie, dass China in Afrika oft als Partner oder wirtschaftliches Vorbild gilt?
Melanie Müller China hat den afrikanischen Kontinent durch seine Nachfrage attraktiv gemacht. Die EU, die USA, die Türkei, Saudi-Arabien – so viele Akteure sind dadurch, salopp gesagt, ins Rennen um Afrika eingestiegen. Wie bewertet man das: gut oder schlecht? Es ist ambivalent. In jedem Fall bringt es Afrika ein Interesse, das es so vor zehn Jahren nicht gab.
Zur Person
Melanie Müller, Politologin
Die Expertin für das südliche Afrika forscht und berät im Thinktank Stiftung Wissenschaft und Politik zu Themen rund um nachhaltige Rohstoffversorgung und globale Lieferketten.