Allerwelts-Schlappen

Cool mit Kork Ob Hippie, Ärztin, Lehrer oder Model: Alle tragen Birkenstock. Die Gesundheitssandalen haben ihr Langweilerimage abgestreift und sind heute Klassiker – und ein Verkaufsschlager. Eine Hommage.

Auch die Kombination von Birkenstocks mit Socken ist en vogue. Foto: Getty Images
Auch die Kombination von Birkenstocks mit Socken ist en vogue. Foto: Getty Images

Fünfzig Farben Fensterkitt, das war der Style meines Sozialkundelehrers. Zu gräulichen Wollpullovern und Ausbeulhosen trug er einen wuchernden Vollbart, der nichts mit den Stutzversionen heutiger Hipster gemein hatte. Oft kratzte er ihn sorgenvoll. An den Füßen hatte er, Sommer wie Winter, die ganzen 1980er Jahre lang: schokopuddingbraune Birkenstock-Sandalen. Natürlich immer mit, man ahnt es schon: gräulichen Socken. Mein Sozialkundelehrer war für mich, was Birkenstock anging, lange Jahre das Gegenmodell zum Influencer: Er war nachgerade ein Preventer, ein Verhinderer. Sein Nicht-Stil, die zur Schau gestellte Gleichgültigkeit für jedweden Ausdruck von Äußerlichkeit, diese ganze unsexy, ökohafte Grauexistenz, das war das fast schon parodistische Gegenteil dessen, wie ich und meinesgleichen mit 17 Jahren aussehen wollten. Birkenstocks waren für mich damals ganz klar Schuhe für Menschen, die in Outfitfragen zur Schnurzigkeit neigten, so lange sie es nur bequem hatten, und nur deshalb Schuhe trugen, weil sonst die Füße dreckig würden (oder weil sie Rentner, Bademeister, Ärztinnen oder sonstwie im medizinischen Bereich tätig waren). Mit diesem Bild ging ich durch meine frühen stilexperimentellen Jahre. Mode, dachte ich damals, müsse aber doch zickig sein, nicht gemütlich. Keine Rücksicht auf eingezwickte Bäuche oder Quetschfüße nehmen – und keine schlippschlapperigen Geräusche machen, noch bevor ihr Träger mit seinen hochbequemen, aber breitflossigen Latschen um die Ecke bog.

Die Sendung auf Arte

Die Gesellschaftsdoku „Birkenstock – Die Freiheit trägt Sandale“ gibt es am Freitag 26.7. um 21:50 Uhr bei ARTE und bis 24.8. in der Mediathek.

Geht immer: Die Birkenstock-Sandale hat sich vom Standard-Schuhwerk für Modeverweigerer zum global trendigen Must-have entwickelt. Foto: Getty Images
Geht immer: Die Birkenstock-Sandale hat sich vom Standard-Schuhwerk für Modeverweigerer zum global trendigen Must-have entwickelt. Foto: Getty Images

Was ich damals nicht bedachte: Mode ist idealerweise auch immer vieldeutig und flexibel, hüpft von einem Kontext in den anderen und hat keine fest zugeschriebene Bedeutung. Und der Korksohlenschuh, von dem Karl Birkenstock 1964 das erste Paar produzierte, hatte im Laufe seiner Geschichte schon einige sehr diverse Zielgruppen begleitet und bekleidet: Zunächst natürlich die Hippies, die dem Gesundheitsschuh sein Ökoimage verpassten. In den 1980er Jahren wurden die weißen Birkenstocks zur Latscheninsignie der Medizinberufe. In den 1990ern erlebte die zweiriemige Sandale den ersten milden Hype: Kate Moss trug ein weißes Paar Arizona-Sandalen, als Corrine Day sie 1990 zum ersten Mal für die britische Hipster-Hauspostille „The Face“ fotografierte (und mit diesen Fotos ihre große Karriere anschubste). So fanden die Birkenstocks ihren Weg in die angegrungte Generation X – weil sie das perfekte Schuhwerk für deren Hänger-und-Schlurfi-Lebensstil waren.

Erst Ökolatschen, dann Haute Couture

Um die Jahrtausendwende folgte die große Prominenzoffensive: Heidi Klum wurde Markentestimonial, Promis wie Jude Law und Gwyneth Paltrow trugen die Schuhe mutmaßlich aus freien Stücken – ein glamouröser Gegenentwurf zu dem, was man sich sonst als typischen Birkiträger vorstellte. 2013 folgten schließlich die Couture-Weihen: Céline schickte Models in fellverbrämten Latschen auf die Bühne, Givenchy machte mit bei der High-End-Gemütlichkeitsoffensive.

Einst spießig und öko, heute auf dem Laufsteg: Aus den Birkenstock-Gesundheitslatschen wurde ein Modetrend. Foto: Getty Images
Einst spießig und öko, heute auf dem Laufsteg: Aus den Birkenstock-Gesundheitslatschen wurde ein Modetrend. Foto: Getty Images

Das Familienunternehmen Birkenstock profitierte mit seinem demokratischer bepreisten Original, das das Formvorbild geliefert hatte, vom neuen Trend: Es war immer noch derselbe Schuh, dieselbe Flachsohle – aber weil er plötzlich über Laufstege schlappte, veränderte sich die Perspektive, aus der man auf ihn schaute. Nun schlüpften auch Hipster und die Verlautbarungsgeschwader der Modebranche in die lange geschmähten Sandalen. Es folgten sogar limitierte Editionen: Der kalifornische Designer Rick Owens, bekannt für operettenmäßig-theatralische und trotzdem reduzierte Designs, überzog die Birkenstocks mit Kuhfell, Opening Ceremony bestäubte sie mit grellem Glitzer.

Die Standardmodelle wurden derweil zum unverzichtbaren Bestandteil des Normcore – jenem Trend, der sonst schnödisierte, dezidiert unbesondere Produkte der Massenproduktion zur angesagtesten Mode ausruft. Angeblich, berichten jene, die dabei waren, sei damals ein hörbarer Seufzer der Erleichterung durch die Sitzreihen gegangen, als die ersten Latschenmodels auf dem Laufsteg erschienen. Vielleicht liegt in diesem Seufzer die Erklärung dafür, dass Birkenstock-Sandalen heute beliebter sind denn je. Es ist nicht die rationale Überlegung, die Menschen in die umweltfreundlich produzierten Schlappen schlüpfen lässt. Es ist der emotionale Aspekt: Birkenstock ist eine vertraute, unverwechselbare Marke, ein munterer Dinosaurier, der wohlige Erinnerungen weckt und in seiner unbekümmerten Unkompliziertheit ein schuhgewordenes Gegengewicht zu allen alltäglichen Kompliziertheiten ist, die Menschen heute so müde machen. Manche mögen immer noch der Meinung sein, dieser freundlich-spröde Schuh passe einfach zu nichts. Eigentlich passt er aber gerade darum zu wirklich allem. Birkenstocks sind reduziert bis auf den kleinsten Kern, dabei funktional. Vielleicht sind die Klassiker-Modelle der Marke darum wirklich die denkbar deutschesten Schuhe überhaupt: kein Geschnörkel, kein Chichi, komplett basic – ein stofflicher Anker zurück in eine sorglosere, unkomplexere Zeit.