Als sie im Dezember 2011 im Alter von 70 Jahren starb, stand das Leben auf den Kapverden still. Der Präsident des kleinen Inselstaats verordnete eine zweitägige Staatstrauer und würdigte sie als „größte Botschafterin der Kapverden“. Sie habe mit ihrer Musik „die Welt erleuchtet“. Ihr Sarg wurde auf dem Weg zum Friedhof von Ehrengardisten begleitet, Tausende folgten dem Trauerzug. Cesária Évora war die berühmteste Tochter der Kapverden. Sie gab dem Archipel im Atlantik eine Stimme, und in ihren Liedern drückte sie dessen Nationalgefühl aus: die „Sodade“, eine eigentümliche Mischung aus Wehmut und Sehnsucht.
Dabei kam der Ruhm erst spät. Ihre Jugend verbrachte Évora teilweise im Waisenhaus. Ihr Vater, ein Musiker, starb früh; die Mutter, eine Köchin, war mit den Kindern überfordert. So wuchs sie bei Groß- und Pflegeeltern auf. Schon als Teenager trat sie in Bars ihrer Heimatstadt Mindelo auf. Als 1975 nach der Unabhängigkeit der Kapverden von Portugal das Nachtleben auf den Inseln einbrach, gab sie die Musik auf, um sich und ihre Kinder mit anderen Jobs durchzubringen. Sie verfiel dem Alkohol und der Depression. Es waren ihre schwärzesten Jahre, sagte sie später. Erst mit Ende 40 kehrte sie auf die Bühne zurück und unterschrieb ihren ersten Plattenvertrag. Der Produzent José da Silva, ihr späterer Manager, brachte sie zu Aufnahmen nach Paris. Er überredete sie auch, auf Keyboards und elektronische Effekte zu verzichten und auf eine rein akustische Instrumentierung zu vertrauen. Cesária Évora trat stets barfuß auf, das wurde ihr Markenzeichen – ein bewusster Verweis auf ihre einfache Herkunft. „La diva aux pieds nus“, „die barfüßige Diva“, so lautete der Titel ihres ersten Albums, mit dem sie sich in Europa vorstellte. Auf nackten Sohlen eroberte sie dann die Konzerthallen der Welt. Évoras Spezialität waren die traditionellen Mornas, in deren Melancholie sich die wechselvolle Geschichte der Inselkette spiegelt – darunter Sklavenhandel und kulturelle Vermischung, Armut und Auswanderung. Von der sanften wie rauen Stimme der Sängerin getragen und von Geigen, Gitarren und Akkordeons umspült, wurden sie zur Sehnsuchtsmusik gestresster Großstädter.
„Weltmusik“-Etikett als Türöffner
Cesária Évoras späte Karriere in den 1990er Jahren fiel mit dem Siegeszug der sogenannten Weltmusik zusammen. Die Nachfrage nach vermeintlich unverfälschten Klängen aus exotischen Regionen hatte ein eigenes Genre kreiert. So manche Künstler aus fernen Ländern verdankten es diesem Trend, dass sie im Rest der Welt Gehör fanden. Das Etikett „Weltmusik“ diente ihnen als Türöffner. Indem viele von ihnen bewusst auf elektrische Instrumente verzichteten, erweckten sie den Eindruck, die Entwicklungen der Pop-Moderne wären an manchen Orten spurlos vorübergegangen. Dieses Klischee erwies sich als wirkmächtig und verkaufsträchtig. Zum Ende der Dekade etwa sollten ein paar völlig vergessene Musik-Rentner aus Kuba unter dem Namen „Buena Vista Social Club“ Millionen Alben verkaufen. Auch ihr Erfolg verdankte sich dem nostalgischen Zauber ihrer akustischen Aura.
Das moderne Afrika klingt allerdings anders. Angélique Kidjo etwa, die Disco-Queen aus Benin, verkörpert das urbane Afrika. Auch sie hat international Karriere gemacht. Erfolge feiern ebenfalls die deutsch-ghanaische Soulsängerin Y’akoto und die deutsch-nigerianische Hip-Hop-Musikerin Nneka. Sie stehen für eine neue Generation, die von Erfahrungen aus beiden Kontinenten schöpft und deren Stile verbindet. Und dennoch ragt zwischen all den großen Musikerinnen und Musikern bis heute eine heraus: jene barfüßige Barsängerin aus den Kapverden.