Der Regen bleibt aus, Felder vertrocknen zu staubigen Brachen. Die Folge: Missernten, Aufruhr, Krieg – und schließlich die Flucht vor Hunger und Gewalt. Was klingt wie aus einem aktuellen Notstandsbericht der Vereinten Nationen, hat sich so vermutlich vor rund 3.200 Jahren im östlichen Mittelmeerraum zugetragen. Die ARTE-Dokumentation „Geheimnisse der Antike: Als Troja brannte“ geht dem raschen, nahezu gleichzeitigen Niedergang frühgeschichtlicher Hochkulturen nach. In einem Gebiet, das von Griechenland bis Kleinasien und in die Levante reichte, wurden am Ende der Bronzezeit bedeutende Paläste und dazugehörige Großsiedlungen zerstört, brachen Machtstrukturen und weitverzweigte Handelsverbindungen weg. Teilweise ging sogar die Schriftlichkeit verloren.
Wesentlicher Auslöser der dramatischen Entwicklung waren nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen natürliche Klimaveränderungen. Auf eine lange, überdurchschnittlich warme Phase folgte für 200 bis 300 Jahre eine Abkühlung mit weniger Niederschlägen. Das haben Paläobiologen und Geologen anhand von Pollenablagerungen in Sedimentschichten und des Wachstums von Tropfsteinen ermittelt. Die auf Landwirtschaft gründenden Königreiche gerieten unter Druck. Erklärungs- und hilflos standen die Menschen dem Klimaphänomen gegenüber. „Alles verschwand innerhalb von zwei Generationen“, sagt der US-amerikanische Archäologe Eric H. Cline von der George Washington University, einer der Experten der ARTE-Dokumentation. Cline geht als Buchautor sogar noch einen Schritt weiter und markiert im Titel seines Sachbuch-Bestsellers „1177 v. Chr.: Der erste Untergang der Zivilisation“ ein Schlüsseljahr für den bronzezeitlichen Kollaps.
Tatsächlich kamen weder der Zusammenbruch von Mykene in der Ägäis noch das Ende des hethitischen Großreichs weiter östlich von einem Moment auf den anderen zustande. Lange Zeit schien unerklärlich, wie jahrtausendealte Kulturen über einen immensen geografischen Raum hinweg ein ähnliches Schicksal erleiden konnten. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts fand man Hinweise auf Invasoren, für die französische Forscher den Begriff „Seevölker“ prägten. Woher diese Eindringlinge kamen, wie kriegerisch sie auftraten und ob sie überhaupt existiert hatten, blieb ein Rätsel.
Vollständig gelöst ist es bis heute nicht. Nur ganz allmählich fügen sich die Puzzleteile aus den Tiefen der Geschichte zu einem Bild. Bekannt etwa sind Keilschrift-Tafeln als letzte Zeugnisse der hethitischen Palastkultur aus den Ruinen von Ugarit im heutigen Syrien. Ihre Datierung lieferte dem Forscher Eric H. Cline die Jahreszahl 1177 v. Chr. Weitere Inschriften und Reliefs, die auf epochale Umbrüche deuten, fanden sich unweit des ägyptischen Luxor im Totentempel von Pharao Ramses III. (circa 1186–1155 v. Chr.) sowie in den Überresten der Hethiter-Hauptstadt Hattusa. Sie thronte einst über dem anatolischen Hochland in der heutigen Zentraltürkei. Der Ägypter Ramses III. rühmte sich der erfolgreichen Abwehr der geheimnisvollen Seevölker. In den Schriftzeichen aus der Phase des letzten hethitischen Großkönigs Šuppiluliuma II., der zwischen 1215 und 1180 v. Chr. regierte, ist etwas nebulös von Kämpfen die Rede. Während Ägypten weiter bestand, lief es offenkundig für die Hethiter weniger gut.
Es ist wie bei Billardkugeln, die sich nacheinander anstoßen und in Bewegung setzen
FRAGMENT IM STREICHHOLZLICHT
Es sei, wie mit einem Streichholz in einen dunklen Keller hineinzuleuchten: „Man sieht ein Fragment, aber bringt nicht den ganzen Raum zusammen“, beschreibt der Vorderasiatische Archäologe Alexander Ahrens, der lange in Syrien tätig war, die spärliche und oft uneindeutige Quellenlage. Der Wissenschaftler vom Deutschen Archäologischen Institut (DAI) in Berlin sieht aber Fortschritte, „nicht zuletzt dank neuerer Forschungszweige“. So hätten zum Beispiel DNA-Analysen von Gräberknochen aus der Gegend von Aschkelon an der Grenze Israels zu Gaza gezeigt, dass die Philister, die sich am Übergang von der Bronze- zur Eisenzeit dort niederließen, einen europäischen Hintergrund hatten. Einzelne Schriftfunde deuteten auf mykenische Wurzeln und das heutige Zypern. Wahrscheinlich ist, dass die späteren Namensgeber von Palästina ostwärts gezogen waren, ihrerseits zuvor bedrängt von Gruppen etwa aus dem heutigen Süditalien. Ahrens vergleicht das mit „Billardkugeln, die sich nacheinander anstoßen und in Bewegung setzen“. Im Endeffekt sei schwer auszumachen, wer wen vertrieben hat.
Die sogenannten Seevölker mit ihrer mehr als 150-jährigen Forschungsgeschichte sind für den DAI-Archäologen weniger einzige Ursache für den Zerfall der Bronzezeit-Mächte als vielmehr „ein Phänomen“. Ressourcenverschwendung, Übermüdung oder Überlastung von Systemen, Klima, Erdbeben, Seuchen – viele Faktoren kamen zusammen. Auch solche, die der Forschung noch unbekannt sind, weil auch aus der Zeit vor dem Niedergang aussagekräftige Schriftquellen fehlten. Und, so Ahrens: „Die Seevölker waren nicht das Ende jeglicher Kultur im östlichen Mittelmeerraum. Mit ihnen entstanden neue, kleinteiligere Strukturen.“ Die Geschichte ging weiter.