Gerade bin ich zur Tür hereingekommen,“ sagt Gautier Capuçon, als er den Anruf nach dem dritten Klingeln annimmt. In seiner Pariser Wohnung ist der Cellist im Moment nicht oft, darf er nach langer Corona-Pause doch „endlich wieder Konzerte spielen“. Auch seinen 40. Geburtstag am Vortag verbrachte der Franzose auf der Bühne. Angst vor dem Älterwerden hat er nicht: „Im Gegenteil, ich habe das Gefühl, mein Leben wird mit jedem Jahr besser!“, sagt er und lacht. Ein Gespräch über sein 320 Jahre altes Cello, grenzenlosen Klang und gezähmte Wildpferde.
arte magazin Monsieur Capuçon, können Sie reiten?
Gautier Capuçon Ja, ich bin viel geritten, als ich jung war und habe es geliebt! Besonders die Beziehung zu den Pferden – diese Verbindung, die Kommunikation zwischen Tier und Reiter, ist etwas sehr Bewegendes, Starkes. Wenn ich die Zeit finde, reite ich auch heute noch manchmal.
arte magazin Von Ihrem Cello, das Sie seit etwa 20 Jahren spielen, sagen Sie, Sie hätten es erst einmal zähmen müssen wie ein wildes Pferd.
Gautier Capuçon Das Cello des Geigenbauers Matteo Goffriller aus dem Jahr 1701 ist eines der schönsten Instrumente, die es gibt. Der Klang ist unglaublich. Und grenzenlos. Es hat kein Limit. Jedes Mal, wenn ich spiele, entdecke ich neue Facetten, die ich noch nicht kannte und mit denen ich lerne, umzugehen. So entstehen ständig unterschiedliche Atmosphären, Dynamiken, Klangfarben. Der Vergleich mit einem wilden Pferd passt für mich deshalb sehr gut. Wobei das Cello wahrscheinlich sagen würde, es hätte mich gezähmt. Und da ist auch etwas dran. Am Ende lautet die Gleichung: Instrument plus Spieler ist gleich eins.
arte magazin Können Sie die gesamte Geschichte Ihres Cellos zurückverfolgen?
Gautier Capuçon Leider kenne ich nur den direkten Vorbesitzer, weiter zurück geht es nicht. Ich hätte unglaublich gerne eine Art Flugschreiber, um zu sehen, was das Cello schon erlebt hat. Aber auch ein Instrument hat eine Seele. Und was ich nicht weiß, kann ich erfühlen.
arte magazin Ihr Vater war Zollbeamter, Ihre Mutter Hausfrau – klingt nicht unbedingt nach einer Musikerfamilie. Dennoch sind Sie und Ihr älterer Bruder, der Violinist Renaud Capuçon, berühmte Künstler geworden. Woher kommt Ihre Liebe zur Klassik?
Gautier Capuçon Meine Eltern sind Klassik-Liebhaber. Als ich mit viereinhalb Jahren mit dem Cello anfing, spielte meine Schwester bereits Klavier und mein Bruder Geige. Insofern bin ich doch in einer Musikerfamilie aufgewachsen, auch wenn meine Eltern selbst keine Musiker waren.
arte magazin Gab es jemals eine Rivalität zwischen Ihnen und Ihrem Bruder – Cello versus Geige?
Gautier Capuçon Nein, mein Bruder ist fünf Jahre älter und als ich noch studierte, begann er gerade seine Konzertkarriere. Das war sehr inspirierend und hat mich natürlich auch motiviert. Vielleicht wäre es anders gewesen, wenn wir das gleiche Instrument spielen würden.
arte magazin In der Klassikwelt herrscht großer Druck, wenn man erfolgreich sein möchte. Wie sind Sie damit aufgewachsen und umgegangen?
Gautier Capuçon Meine Familie hat mir nie Druck gemacht. Der kam später von außen, als ich beschlossen hatte, professioneller Cellist zu werden. Wettbewerbe, Konzerte und hohe Erwartungen. Man muss wirklich aufpassen, dass einen das nicht auffrisst. In diesem Zusammenhang hat Corona uns wieder daran erinnert, worum es wirklich geht, nämlich um das Wesen der Musik, um die Emotionen, die Freude und die Intention der Komponisten. Nicht um Perfektion und Schnelligkeit.
arte magazin Seit zehn Jahren unterrichten Sie selbst junge Cellistinnen und Cellisten. Machen Sie nie Druck?
Gautier Capuçon Den machen sich junge Musikerinnen und Musiker schon ganz alleine. Ich versuche immer, ihnen und mir die Zeit zu geben, individuelle Talente und Persönlichkeiten zu erkennen und entsprechend zu entwickeln. Ich fordere meine Schüler gerne heraus, bin aber gleichzeitig da, um sie zu beruhigen und alle Fragen zu beantworten.
arte magazin Im ARTE-Porträt spielen Sie Cello auf dem Eiffelturm. War das der ungewöhnlichste Ort, an dem Sie je ein Konzert gegeben haben?
Gautier Capuçon Davon habe ich tatsächlich geträumt, seit ich ein kleiner Junge war. Aber auch das Fotoshooting im Wald mit Renato, dem Pferd, war außergewöhnlich. Ich hatte die Augen geschlossen und spürte auf einmal den Kopf des Tieres an meinem Ohr. Das Pferd, das Cello und ich waren ganz friedlich. Was vielleicht daran lag, dass ich Bach spielte. Seine Musik hat uns allesamt gezähmt.