BILDER FÜRS HERZ

WEGBEREITER Er gehörte zu den bedeutendsten Künstlern der Hochrenaissance: Zum 500. Todesjahr widmet ARTE dem italienischen Maler Raffael ein Porträt.

vom italienischen Maler Raffael
FOTOS: UNIVERSAL HISTORY ARCHIVE/GETTY IMAGES, PUBLIC DOMAIN

Man kann sich kaum noch vorstellen, wie berühmt Raffaello Sanzio einmal war. Schon als er 1520 im Alter von nur 37 Jahren starb, trauerte man um nicht weniger als einen „Malerprinzen“. Seine eleganten Madonnen und emotional aufgeladenen biblischen Szenen bildeten gewissermaßen den Goldstandard der italienischen Hochrenaissance. Nicht Leonardo da Vincis „Mona Lisa“ sollte für die kommenden Jahrhunderte als das bekannteste Gemälde der Welt gelten, sondern Raffaels mehr als vier Meter große „Transfiguration“, die in der Vatikanischen Pinakothek dramatisch die Verklärung Christi inszenierte. Was Mozart für die Musik war, war er für die Malerei: ein Popkünstler avant la lettre, dessen Magie sich nur wenige entziehen konnten. Was ist heute von dieser Magie geblieben?
Wenn man, zwischen meist gewaltigen Touristenmassen, Blicke auf Raffaels bedeutendste Werke erhascht, lässt sie sich noch spüren oder zumindest erahnen – beim Anblick der „Sixtinischen Madonna“ im Dresdener Zwinger etwa, seines Selbstporträts in den Uffizien, seiner „Fornarina“ im römischen Palazzo Barberini oder seines Wandfreskos „Schule von Athen“ in den Stanzen des Vatikan.

Handwerkliche Perfektion
Der Großteil dieser Gemälde entstand auf dem Höhepunkt des Schaffens des noch jungen Malers, in den Zehnerjahren des 16. Jahrhunderts, als er in Rom unter dem päpstlichen Patronat von Julius II. diente. Nach dem frühen Tod von Mutter und Vater hatte Raffael seine Lehrjahre in den umbrischen Städten Città di Castello und Perugia sowie in Florenz verbracht, wo er die Techniken der Meister seiner Zeit studierte, kopierte und in seinen eigenen Stil integrierte. Handwerklich konnten ihm inzwischen weder Luca Signorelli noch Pietro Perugino, weder Sandro Botticelli noch Michelangelo Buonarotti oder Leonardo das Wasser reichen. Er leitete eine Werkstatt mit bis zu 50 Künstlern, die Gemälde, Fresken, Wandteppich-Vorlagen und Drucke nach seinen Vorgaben schufen. Nicht nur Julius II. war ein Freund und Mäzen, sondern auch Agostino Chigi, der wichtigste Bankier seiner Zeit.

Raffael – Ein sterblicher Gott

Kunstdoku

Sonntag, 6.9. • 15.15 Uhr
bis 4.12. in der Mediathek

vom italienischen Maler Raffael Sanzio
FOTOS: UNIVERSAL HISTORY ARCHIVE/GETTY IMAGES, PUBLIC DOMAIN

Wahrscheinlich liegt die Essenz von Raffaels Kunst in seiner Malhaltung. Ohne große innere Konflikte scheint er in seinen Bildern nach Schönheit und Gefühl zu suchen. Jeder Form von Geistlichkeit injiziert er gefühlvolle, irdische Diesseitigkeit. Allerdings lässt sich diese Sensibilität heute nur noch schwer trennen von dem, was man landläufig Kitsch nennt.
In der „Sixtinischen Madonna“ etwa gibt ein smaragdgrüner Vorhang den Blick auf eine religiöse Vision frei. Sixtus II., ein früher Papst, und die heilige Barbara knien in klassischer Dreieckskomposition vor einer entrückten Maria. Das traurig blickende Jesuskind auf ihrem Arm scheint zu wissen, was ihm noch widerfahren wird. Die malerische Raffinesse des Marienbildes, seine sinnlichen Farben und luxuriösen Texturen, sind außergewöhnlich. Dennoch geht es nahezu nahtlos in die Ästhetik katholischer Bildklischees späterer Jahrhunderte über. Bildklischees, die Raffael miterfunden hat. Man wäre nicht überrascht, das Motiv auf einer mexikanischen Grabkerze wiederzufinden. Am unteren Bildrand befinden sich zudem noch jene beiden berühmten niedlichen Engelchen, die seit der Erfindung des Farbdrucks auf Werbeplakaten, Glückwunschkarten und Pralinenschachteln inflationär die Herzen erweichen. Wie lange Raffael über allen anderen Malern thronte, lässt sich unter anderem daran erkennen, dass die viktorianischen Präraffaeliten um Dante Gabriel Rossetti noch Mitte des 19. Jahrhunderts ihre Künstlerbewegung in Opposition zu ihm benennen mussten. Die gesamte Malerei, die nach Raffael kam, glaubte die Gruppe, sei von ihm „verseucht“ worden. Die ödipale Gegenwehr markierte jenen kollektiven Umschwung in der Wertschätzung des Malers, der bis heute anhält. In mancher Hinsicht war er zum Opfer seines eigenen Erfolgs geworden.
Vielleicht muss man, wenn man sich Raffaels Meisterwerke heute anschaut, erst einmal das eigene Verhältnis zum Kitsch überdenken. Es ist gewiss richtig, dass sich die Genetik vieler Bildklischees zu seinen Gemälden zurückverfolgen lässt. Sie verzichten weitgehend auf ästhetische Ambivalenz, scheuen Trauer, Zweifel und das Tragische und überschreiben das existenzielle Leiden der Welt wie selbstverständlich mit Bildern der Versöhnung. Doch muss das wirklich etwas Schlechtes sein? Raffaels Bilder sind immer noch in einem emphatischen Sinne ganz und gar schön. Sie können sogar eine Art von Trost spenden, wenn man es zulässt, und dabei helfen, die Welt trotz allen Horrors als einen irgendwie guten Ort zu verstehen. Gerade heute ist das nicht wenig.