Bitte lächeln

Happy auf Instagram, ausgeglichen beim Yoga: Das Streben nach Glück hat ganze Industrien hervorgebracht. Trotzdem scheint es, als würden die Menschen partout nicht glücklicher. Müssen wir uns nur mehr anstrengen?

Foto: Sarah Matuszewski

Selbst Laurie Santos war überrascht, dass das Glück derart viele Anhänger lockte. 2018 setzte die Professorin einen Kurs an der Yale-Universität an: „Psychology and the Good Life“ – die Psychologie des guten Lebens also. Es sollte um die Frage gehen, was Menschen glücklich macht; praktische Tipps zur Selbstanwendung inklusive. Offenbar hatte ­Santos damit einen Nerv getroffen, denn fast ein Viertel aller Studienanfänger schrieb sich für ihre Vorlesung ein. Die knapp 1.200 Teilnehmer machten die Veranstaltung nicht nur zur erfolgreichsten in der Geschichte der Elite-Universität, sondern auch zu einer mit Platzproblemen. „Ich war etwas schockiert“, sagt ­Santos, die den Kurs kurzerhand in eine neugotische Kirche auf dem Campus verlegte, im Gespräch mit dem ARTE Magazin. Dort war es trotzdem so voll, dass manche in den Gängen standen und andere auf dem Fußboden hockten. Sie alle waren gekommen, um zu erfahren, wie sie den Schlüssel zum Glück finden könnten.

Man kann das positiv sehen: So viele junge und aufstrebende Menschen scheinen ihre geistige Gesundheit und ihr Wohlbefinden zur Priorität zu machen. Oder darin eine melancholische Note entdecken: Wenn diese supererfolgreichen Ausnahme­talente sich nicht glücklich fühlten, wer sollte es dann tun?

So oder so trifft das Phänomen ins Herz unserer Zeit. Denn die Suche nach dem persönlichen Glück ist in den vergangenen Jahrzehnten zum allgegenwärtigen Projekt geworden. Ob in der Werbung oder in teuren Yoga-­Retreats, auf Instagram oder in Aufräumratgebern, überall begegnet uns das Ideal eines schöneren, ausgeglicheneren Lebens. Das eiserne Versprechen: Das Glück liegt bloß einen Steinwurf entfernt. Man muss es nur finden wollen.

 

Foto: ZED/ARTE F

Glücklichsein um jeden Preis

Dokumentarfilm

Dienstag, 30.8. — 20.15 Uhr

bis 28.10. in der Mediathek

Es ist eine Idee, die durch die sogenannte Positive Psychologie an Auftrieb gewonnen hat. Seit den späten 1990er Jahren hat die Disziplin einen Boom erlebt. Während es ­Sigmund Freuds eher bescheidenes Anliegen war, psychisches Elend in „gemeines Unglück“ zu verwandeln, haben sich die Vertreter dieser Schule einer euphorischeren Mission verschrieben. Sie wollen Menschen helfen, ihr bestmögliches Selbst zu entfalten – und buchstäblich aufzublühen. Ihr Gründer, der US-amerikanische Psychologe ­Martin ­Seligman, berichtet im ARTE-Dokumentarfilm „Glücklichsein um jeden Preis“ von einem Erweckungserlebnis im Blumenbeet. Als seine Tochter ihn beim Unkrautjäten der Miesepetrigkeit bezichtigte, sei ihm aufgegangen, dass er sich stets auf Negatives konzentriert habe. Fortan strich er Neurosen und Depressionen von seiner Forschungsagenda, um stattdessen zu ergründen, was Menschen glücklich macht. Das wenig überraschende Ergebnis: positive Beziehungen, Engagement, Sinnhaftigkeit und Erfolge. Vor allem aber: Optimismus.

Es passt, dass dieser Zweig der Psychologie in den USA entstanden ist, dem Land der Selfmademen, das sich die Jagd nach Glückseligkeit in die Verfassung geschrieben hat. Prinzipiell ist die Idee, dass jeder sich sein eigenes Glück schmieden muss, ein Ding der Moderne. Früher galt ein Lebenslauf als vorbestimmt, schuld am guten Gelingen waren dann der Stammbaum, das Schicksal oder eine göttliche Macht. Oft hatten die Menschen auch einfach andere Sorgen. „Erst wenn unser physisches, materielles Überleben nicht in Gefahr ist, fangen wir an, uns für diese Fragen der persönlichen Entwicklung zu interessieren“, sagt der Psychiater ­Christophe ­André im Film.

Mittlerweile aber ist die Suche nach dem Glück zur groß angelegten Fahndungsaktion geworden. Man vermutet es überall: beim Coaching-Kurs und im Schweigekloster, auf Reisen ins Innere, in die Wildnis oder ins Wellnesshotel. Apps wie „Happify“ oder „Headspace“ sollen Wohlbefinden quantifizierbar steigern. Doch kann man wirklich lernen, glücklicher zu sein? 

Die Yale-Professorin Laurie Santos glaubt: ja. „Es gibt viele Belege dafür, dass das Erlernen wissenschaftlich fundierter Strategien unser Wohlbefinden erhöht“, sagt sie. „Man erreicht kleine, aber signifikante Verbesserungen.“ Ihre Blockbuster-Vorlesung hat sie inzwischen kostenfrei auf der Online-­Plattform ­Coursera hochgeladen, wo sich rund vier Millionen Menschen dafür angemeldet haben. Wer tatsächlich teilnimmt, soll sein Glücksempfinden auf einer Skala von eins bis zehn um einen Punkt verbessern können. 

Die Kniffe, die Santos ihnen und den Hörern ihres Podcasts „The Happiness Lab“ nahelegt, leuchten ein, klingen aber nicht unbedingt revolutionär. Dankbarkeit und ausreichend Schlaf gehören dazu, Meditation oder mehr soziale Kontakte. Einen Freund anrufen, statt bei Trash-TV wegzudämmern. Sich Zeit nehmen – so weit, so simpel. Die Probleme, sagt ­Santos, begännen damit, dass wir uns zu leicht in die Irre führen ließen. Von glitzernden Werbeversprechen etwa. Und von unserem eigenen Verstand. „Wenn es ums Glücklichsein geht, haben wir völlig falsche Intuitionen. Wir packen es einfach falsch an.“

 

GLÜCK WIRD GEMESSEN WIE DAS BIP

Die meisten Menschen gingen nämlich davon aus, dass es sie glücklich machen wird, wenn sie gute Noten schreiben, heiraten, berufliche Erfolge und Geld anhäufen. Im Großen und Ganzen aber hätten solche Dinge einen geringen Effekt. Wer im Lotto gewinnt, sei ein paar Monate später genauso glücklich oder unglücklich wie zuvor. „Menschen, die sich in einer traumatischen Situation befinden, Krieg erleben oder kein Essen auf den Tisch bringen können, hilft eine Veränderung der Umstände natürlich“, sagt Santos. „Den meisten anderen nicht.“ 

In dieser Logik muss der Wandel also von innen kommen. Ähnlich sehen es die Vertreter der Positiven Psychologie. Rückschläge als Chance begreifen, Potenziale erschließen: Seit den frühen 2000er Jahren fanden ihre Slogans glühende Anhänger, etwa in der Politik. Länder wie Großbritannien, Kanada, Frankreich und die USA machten sie zur Staatssache, indem sie entsprechende Bildungsprogramme auflegten oder begannen, die Zufriedenheit ihrer Bürger mit offiziellen Indizes zu messen – so wie sonst das Bruttoinlandsprodukt. Und auch die Wirtschaft ließ sich vom Glücksversprechen beflügeln. Schließlich passt das Ideal des frohen, hochfunktionalen Menschen optimal zum kapitalistischen Effizienzdenken. Wer Leistung durch Selbstverwirklichung strategisch steigert, hat am Ende den Gewinn. Deshalb finanzierten manche Konzerne die Glücksforschung, andere engagierten sogenannte Chief Happiness Officers, zu deren Aufgaben das Erzeugen von Harmonie gehört – in der Hoffnung, dass sich die Investition ins Wohlbefinden durch höhere Produktivität auszahlt. 

Doch wenn Zufriedenheit als Einstellungssache gilt, heißt das im Umkehrschluss auch: Wer nicht glücklich ist, hat sich zu wenig angestrengt. „Damit wird der Vorstellung Vorschub geleistet, es gebe keine strukturellen Probleme, sondern ausschließlich psychologische Defizite“, schreibt die Soziologin Eva Illouz in ihrem Buch „Das Glücksdiktat“. Nicht glücklich zu sein gelte dann als persönliches Scheitern. Um das abzuwenden, fließt viel Geld: Auf mehr als 1,5 Billionen US-Dollar schätzt -McKinsey den Wert des globalen Wellness-Markts. Und knapp 14 Prozent dessen, was der deutsche Buchhandel umsetzt, verdient er mit Ratgebern. Der Wille ist also da – und dennoch scheint es, als würden die Menschen partout nicht glücklicher werden. In Deutschland liegt die Lebenszufriedenheit auf einem historischen Tiefstand. In den USA hat sich die Zahl der College-Studenten mit Depressionen in den vergangenen zwei Jahren verdoppelt. Und angesichts von Pandemie, Krieg und Klima dürfte es am Stimmungshorizont wenig rosig aussehen. 

Das Ergebnis ist also paradox: Viele fühlen sich gestresster denn je, haben aber das Gefühl, nach außen jederzeit entspannt und aufgeräumt wirken zu müssen. Die überzuckerten Bilder, mit denen Social Media das ideale Leben als Abfolge euphorischer Momente inszenieren, erledigen den Rest. Dauerglück sollte man sich deswegen lieber nicht vornehmen, sagt Laurie Santos: „Diese Idee muss man als das sehen, was sie ist: toxische Positivität.“ Es geht dann eben doch nicht ohne. Ohne die Tiefen. Und die eher bescheidenen Emotionen. Und da möchte man zwischen Yoga-Pose und Meditation kurz durchatmen und sagen: zum Glück.

 

Foto: Capa TV

Wenn es ums Glücklichsein geht, haben wir völlig falsche Intuitionen

Laurie Santos, Professorin für Psychologie

Gestählte Körper am Pool, malerische Sonnen­untergänge: Apps wie Instagram präsentieren eine perfekte Welt. Die Soziologin Vera King über das Glücksversprechen von Social Media.

Nirgendwo ist die Welt schöner als auf Instagram, wo das Licht immer butterweich scheint und die Freunde stets fotogen aussehen. Mit Filtern wird getrickst und geschönt, die Grenze zwischen Schein und Sein verwischt. Die Soziologieprofessorin Vera King forscht an der Goethe-Universität Frankfurt zu dem Thema. Sie ist Mitherausgeberin des Buchs „Lost in Perfection“, das den Willen zur Optimierung als Leitmotiv unserer Zeit begreift. 

arte Magazin Frau King, wer durch Instagram scrollt, bekommt leicht den Eindruck, alle anderen seien hübsch, erfolgreich und immerzu glücklich. Welchen Effekt hat das? 

Vera King Es gibt plötzlich einen unendlichen Vergleichshorizont. Man sieht nicht nur, was die Nachbarn oder Freunde tun, sondern sehr viele Menschen. Die meisten nutzen Social Media, um zu schauen: Wo stehe ich? Wie viele Likes bekommt jemand, der so und so ist? Oft entsteht der Eindruck, dass man nicht mithalten kann in der schönen Welt, die dort präsentiert wird. Das kann Anlass für Neid und eher depressive Gefühle sein. Es entsteht der Eindruck: Man hat es nicht gut getroffen im Leben.

arte Magazin Warum tun wir uns das an? 

Vera King Das Bestechende am Medium ist zunächst seine Omnipräsenz. Es ist immer verfügbar, zu jeder Tages- und Nachtzeit. Dadurch bekommt es viel Raum und Bedeutung. Manche Jugendliche erzählen, dass sie Instagram gerade dann benutzen, wenn sie sich unsicher fühlen. Man wünscht sich Anerkennung und wirbt: Schaut, das bin ich! Findet mich toll! Wenn das nicht klappt, optimiert man weiter. Das ist eine Endlosschleife, zumal diese Art der Bestätigung sehr oberflächlich bleibt.

arte Magazin Geht es nur Teenagern so? 

Vera King Erwachsene erleben das ganz ähnlich. Und gerade die, die Social Media besonders stark nutzen, verspüren das größte Unbehagen. Das ist ja eine typische Suchtfigur: Es wäre besser, ich würde es lassen, aber ich muss.

arte Magazin Was gibt es Positives zu sagen über Social Media? 

Vera King Die Vorteile der Digitalisierung liegen auf der Hand: Wir können Distanzen auf ganz neue Art überbrücken, Informationen austauschen. Verknüpft sein mit anderen, was ein wichtiger Aspekt des sozialen Lebens ist. Man muss es aber einzuordnen und zu regulieren wissen.

Instagram – Das toxische Netzwerk

Dokumentarfilm

Dienstag, 30.8. — 21.45 Uhr

bis 28.10. in der Mediathek