Briefkolumne

„Ja, ich will!“ – das Eheversprechen liegt seit der Pandemie statistisch wieder im Trend. Woran liegt das? Und wie stehen die Brieffreunde zur Hochzeit?

Briefmarken mit Illustrationen
Illustration: Elisabeth Moch

 

Cher Dirk,

in jüngster Zeit geben sich in meinem Umfeld viele das Jawort. Und zwar nicht nur die Kinder von Freunden, sondern auch alte Liebespaare, die plötzlich den Sprung ins Eheleben wagen. Offenbar gibt es in diesen unruhigen Zeiten wieder verstärkt das Bedürfnis, sich zu binden. Womöglich haben sich viele Paare nach zwei Jahren Pandemie mit mobiler Arbeit an das Vollzeitleben zu zweit gewöhnt. Andere erleben die Liebe auf den ersten Blick und die Lust, ihre Liebe zu feiern. „Das Herz hat seine Gründe, die die Vernunft nicht kennt“, so der Aphorismus von ­Blaise ­Pascal (1623–1662), der zur Maxime wurde. Und die Zahlen während der Pandemie bestätigen das: 2021 fanden in Frankreich 220.000 Hochzeiten statt, davon 6.000 gleichgeschlechtliche. Das sind insgesamt 42 Prozent mehr als 2020. Längst gibt es – nach US-amerikanischem Vorbild – auch in Frankreich den Beruf des Wedding Planners. Je nach Größe der Träume und des Budgets wird der sogenannte schönste Tag des Lebens durchorganisiert. Interessant ist das Durchschnittsalter: 36,6 Jahre bei den Frauen und 39,1 Jahre bei den Männern, was zeigt, dass sich Millennials mit dem Jawort mehr Zeit lassen als meine Boomer-­Generation. Als Kind hatte ich mir geschworen, nie in ein weißes Kleid zu steigen. Es ging so weit, dass ich eines Tages sagte: „Dein ganzes Leben mit demselben Mann? Arme Mama!“ Da war ich neun Jahre alt. Mit 21 – Bingo! – verrückt vor Liebe und schwanger, wurde ich schließlich heimlich auf dem Standesamt verehelicht. 14 Jahre und drei Kinder später ließen wir uns scheiden. Es folgten eine weitere Heirat, ein viertes Kind – und wieder mischte sich das Schicksal ein. Heute erlebe ich eine glückliche Teilzeitbeziehung, diesmal ohne Hochzeit. Alles hat seine Zeit. Und Du, lieber Dirk, bist Du verheiratet? Einmal? Zweimal? Ist die Ehe in Deutschland auch wieder im Trend?

Herzlich, 

Colombe

 

Liebe Colombe,

die Zahlen zuerst: In den vergangenen zehn Jahren wurden in Deutsch-
land jeweils gut 400.000 Ehen ge-schlossen – rund ein Zehntel mehr als um 2000, aber nur halb so viel wie um 1950. Die klassische Ehe scheint sich, langfristig betrachtet, auf dem Rückzug zu befinden, die wilde Ehe hat sich hingegen etabliert: 6,5 Millionen Menschen leben hierzulande unverheiratet zusammen – so auch meine Freundin und ich. Wenn ich auf einem amtsdeutschen Formular meinen sogenannten Familienstand angeben muss, dann kreuze ich also „ledig“ an. Ein seltsam ambivalentes Adjektiv, finde ich, dieses „ledig“. Es ist sowohl in „Endlich habe ich meine Steuererklärung erledigt“ enthalten als auch in „Puh, ich bin total erledigt!“. Es kommt vom altnordischen „liðugr“, einem bäuerlichen Begriff, und hatte schon immer zwei Bedeutungen: leer und lose. Ein Feld konnte ledig, also brach, liegen; zugleich sprach man von einem ledigen Rind, wenn es sich von seinem Pflock losgerissen hatte. Bin ich also, frage ich mich, eine menschliche Brachfläche, ein durchs Dorf marodierender Ochse, vor dem die Leute sich fürchten müssen? Bei aller Bescheidenheit: Das möchte ich verneinen. „Ledig“ ist nicht nur ein unschöner Begriff, er verfehlt meine Lebenswirklichkeit. Ich bin seit 14 Jahren mit meiner Freundin zusammen, wir haben zwei Kinder. Wir sind nicht „leer und lose“, sondern voll von Liebe und fester aneinander gebunden, als ein standesamtliches oder kirchliches Prozedere es bewirken könnte. Sie „Freundin“ zu nennen, entspricht nicht meinem Gefühl: Sie ist meine Frau, ich ihr Mann. Gleichwohl überlegen wir, doch noch zu heiraten – auch um im Krankenhaus nicht betteln zu müssen, damit wir zum anderen vorgelassen werden. Dass Unverheiratete in solche Beweisnot geraten können, dass ihre Beziehung per Gesetz als minderwertig angesehen wird – woran mag das liegen? Ich als Lediger wünsche jedenfalls allen Verheirateten, dass sie sich auch in ihrer Ehe nicht angebunden fühlen wie ein Rind.      

Liebe Grüße!

Dein Dirk