Briefkolumne

Schlagertexte wünschen meist: Sonne satt! Mit Blick auf den Klimawandel fordern unsere Brieffreunde stattdessen: „Weine nicht, wenn der Regen fällt!“

Briefmarken mit Illustrationen
Illustration: Elisabeth Moch

 

Liebe Colombe,

drei Dinge, auch wenn sie falsch sein mögen, hat mich die deutsche Schlagermusik als Kind gelehrt: Erstens ist eine Liebe entweder überglücklich oder todunglücklich – dazwischen gibt es nichts. Zweitens fahren Züge, obwohl sie vorgeben, ihr Ziel sei Paderborn, Fulda oder Ingolstadt, oft nach Nirgendwo. Und drittens ist Sonnenschein das einzige Wetter, in dem der Mensch existieren kann. In G. G. ­Andersons „Sommer, Sonne, Sehnsucht“ (jeweils mit scharfem S ausgesprochen) heißt es etwa: „ßommer, ßonne, ßehnßucht / Und dann eine Frau wie du / Mein Herz hebt ab vor Liebe / Oh, wie gut das tut!“ Regen, so verstand ich es als zehnjähriger Knirps, tut hingegen gar nicht gut. Er ist, um im Schlagerjargon zu bleiben, das Weinen des Himmels. Und so fühlte ich mich, wann immer es regnete, in die Traurigkeit hineingezwungen. Es hat mich Jahre gekostet, um zu begreifen: Sonne ohne Regen ist die Hölle. Seit geraumer Zeit leiden die Natur und wir nun unter Rekordtemperaturen und Trockenheit, einem fatalen Übermaß an Sonne. In Berlin, wo ich wohne, hat es im März nur 0,7 Liter Regen pro Quadratmeter gegeben, der Mittelwert seit Beginn der Aufzeichnungen liegt bei 37 Litern. Bereits im April bestand Waldbrandgefahr, die Blätter der Bäume krochen bereits herbstlich aus den Knospen. Unlängst las ich die Schlagzeile: „Die Vegetation in Brandenburg hat Ähnlichkeit mit einer Wüste.“ Inzwischen kommt mir jeder regenlose Tag wie ein verlorener vor. Ich sehne den Regen herbei. Wann wohl der Schlager mit einem Paradigmenwechsel reagiert? Singt G. G. ­Anderson bald von „Radiator, Regen, Rooibostee“? Ich möchte es nicht wissen. Lieber zitiere ich den großen Volkssänger ­Karl ­Valentin: „Ich freue mich, wenn es regnet, denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch.“ Und du, liebe ­Colombe – magst du den Regen? Und wovon singen Eure Barden?

Herzliche Grüße,

Dein Dirk

 

Cher Dirk,

im Gegensatz zu Dir habe ich den Regen immer geliebt. Vielleicht wegen meiner englischen und gärtnerischen Seite. Außer als Teenager in den Mary-Quant-Jahren, als neben Miniröcken glattes Haar in Mode war – und sich meins kräuselte. Ich verbrachte Stunden damit, meinen Pony zu glätten, und schlief nachts mit dicken Lockenwicklern. Aber kaum drei Tropfen und – zack! – war die Kräuselung wieder da. Heute verstecke ich meine Haare nicht mehr beim „Singin’ in the Rain“. Als ich bei Regen einmal aus meinem Schlafzimmerfenster auf die Reflexionen der benachbarten Zinkdächer blickte und mich über die Klänge der prasselnden Regentropfen freute, kam mir ein Gedicht von Paul ­Verlaine in den Sinn: „Tränen fallen in mein Herz / wie der Regen auf die Stadt. / Was ist das für eine Sehnsucht, / die mein Herz durchdringt?“ Nun gut, Poesie erhebt die Seele, aber seien wir mal ganz bodenständig: Ja, wir haben eine Rekordhitze erlebt und, ja, die Pariser Kastanienbäume haben ebenfalls bereits ihre Herbstfärbung angenommen. Aber die globale Erwärmung führt leider auch zu verheerenden Regenfällen, die eine Bedrohung für unsere landwirtschaftlichen Betriebe darstellen. In Frankreich gibt es davon mehr als 450.000, womit wir weit vor Deutschland und anderen europäischen Ländern liegen. Umso erstaunlicher: der politische Tornado unserer jüngsten Parlamentswahlen. Während die extreme Rechte 89 Sitze errang (ein Novum), erhielten die Grünen nur 23 der 577 Sitze in der Nationalversammlung. Die Dringlichkeit des Klimaschutzes scheint für die meisten Franzosen – noch – nicht so wichtig zu sein wie ihre Kaufkraft oder das Renteneintrittsalter. So bleiben Menschen, die in ihren Gärten Permakultur praktizieren, um das Ökosystem zu schützen und ­Regen- oder ­Abwasser aufzufangen, wohl vorerst die Ausnahme. Und das Wasser wird weiter ein Doppelleben führen – als lebenspendendes Elixier und unheilvolle Naturgewalt. Hoffentlich vergeht uns die Freude über Sonne und Regen nicht irgendwann vollends.

Optimistische Grüße,

Colombe