Briefkolumne

SPRACHE Unser Kolumnistenpaar sinniert über anmutige wie abfällige Worte. Von schönem  Klang, wildem Slang und verdrehten Silben.

Illustration: Uli Knörzer

Liebe Colombe,

manche deutschen Wörter haben es nicht leicht. Sie werden von ihren Synonymen verfolgt wie von einem Betrunkenen, der sie pausenlos beleidigt. Dem Buch etwa ist die Schwarte auf den Fersen, dem Dorf das Kaff und dem Hund die Töle. Vor allem Berufsbezeichnungen leiden unter ihrer Nähe zu sinnähnlichen, jedoch abfälligen Vokabeln. Wer den Lehrern Böses will, nennt sie Pauker, die Polizisten Bullen, die Ärzte Quacksalber. Auch unsere Branche wird durch ein hässliches Synonym herabgewürdigt: Wir sind die Schreiberlinge. Ich verachte dieses Wort. Es unterstellt eine geistige und körperliche Verkümmerung, als würden wir, blass und verzagt, in unterirdischen Behausungen hocken und unsere kargen Gedanken in trockenes Laub ritzen.
Phonetisch ist es zu allem Überfluss auch noch eng verwandt mit dem Engerling, der unsympathischen Käferlarve. Wir beide wissen, liebe Colombe, wie wenig das mit uns zu tun hat, nicht wahr? Doch so sehr ich den Schreiberling ablehne, so schön finde ich den Schmetterling. Ja, es ist sogar mein liebstes deutsches Wort. Hier treffen weiche auf harte Konsonanten, die wieder auf weiche treffen ‒ und es klingt fast so, wie es aussieht, wenn ein Schmetterling über eine Wiese flattert: ein wenig hektisch, beinah ungeübt, dennoch wundersam elegant. Vielleicht würden wir genauso fliegen, wenn es uns eines Tages gelänge, den Gesetzen der Schwerkraft zu trotzen. Wenn man genau hinschaut, sieht das Wort sogar aus wie ein Schmetterling: zwei Flügel links und rechts, in der Mitte der Rumpf, der Kopf, die Fühler. Es kommt vom alten Wort für frisch geschlagene Butter, von der manche Arten sich anlocken lassen. Sein Synonym lautet: Sommervogel. Ich hoffe, ich konnte Dich für dieses deutsche Wort gewinnen. Nun interessiert mich Folgendes. Ist die Kreation negativer Ersatznamen womöglich ein typisch deutscher Brauch? Ich habe nämlich gehört, dass ihr etwa für das Wort „Pauker“ kein Pendant habt. Und hast auch Du ein französisches Lieblingswort? Oder gar ein deutsches?

Dein Schreiberling,

Dirk

Karambolage

Magazin
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Cher Dirk,

Du möchtest wissen, was mein französisches Lieblingswort ist? Also da „stellst du mir einen Kleber“ hin, wie Schüler hierzulande über schwierige Fragen sagen. Beziehungsweise „nagelst du mir den Schnabel zu“, wie es in Frankreich so schön heißt. Letzteres wäre für jemanden wie mich, die einen Vogelnamen zum Vornamen hat – Colombe heißt, wie du vielleicht weißt, auf Französisch Taube –, womöglich ein zu simples Wortspiel, jedoch die ideale Gelegenheit, um mich „mit einer Pirouette aus der Affäre zu ziehen“. Eine weitere Redewendung in meiner Heimat. Warte mal, das ist es – Pirouette! Es ist ein Wort, dessen Melodie ich liebe und dessen Aussage in diesem Kontext, nämlich sich zwecks Flucht um sich selbst zu drehen, mir sehr gefällt. Was das Deutsche angeht, verstehe ich zwar einiges, spreche es aber leider nicht. Ich erinnere mich aber an eine Trauerfeier in Lübeck, bei der es, wenn ich mich auf Dein Lieblingswort beziehen darf, außer Frage stand, herumzuflattern. So saß ich in der Wohnzimmer­ecke, wo ich nicht lang alleine blieb. Doch dank des wunderbaren deutschen Wortes „genau“ – leicht aussprechbar und je nach Stimmung meines Gegenübers entweder mit einem Lächeln oder mit ernster Miene einsetzbar – gelang es mir, mich ahnungslos, doch elegant zu unterhalten. Noch heute amüsieren mein Liebster und ich uns über diese Situation. „Genau“ ist zu unserem Codewort geworden. In puncto negative Synonyme können wir diesseits des Rheins sicherlich mithalten. Zum Beispiel erlaubt uns das „argot“, der französische Slang, unser Lexikon fantasievoll zu erweitern. Ursprünglich eine Sprache der Unterwelt, in der Wörter wie „Frau“, „Geld“ oder „Sex“ 1.000 Varianten haben. Seit einiger Zeit steht uns auch das „verlan“ zur Verfügung, eine codierte Jugendsprache, bei der die Silben vertauscht werden. Ins Deutsche übertragen würde es somit Sikmu statt Musik heißen oder zarrbi statt bizarr. Sehr ücktverr und ziertkompli zu übersetzen! Also mach ich lieber mal die Gebie, sprich die Biege und verbleibe freundschaftlich.

Colombe