Nie wieder toxisch

Zur Jahrtausendwende war sie die populärste Sängerin der USA – dann kam der Absturz. Dennoch fasziniert Britney Spears bis heute Millionen. Was steckt dahinter?

Popstar Birtney Spears mit wehendem Haar und bauchfreiem Top.
Popstar Britney Spears fasziniert bis heute Millionen. Foto: Andrew Eccles/August Images

Wer über Britney Spears’ Schaffen auf dem Laufenden bleiben will, für den gilt ihr Instagram-­Account als die zuverlässigste Quelle. Den steuern auch die Macher von „­Britney ohne ­Filter“ an und stoßen gleich zu Beginn ihrer fünfteiligen Dokureihe auf einen bemerkenswerten Post: die Sängerin mit Leinwand und Staffelei bei der Aquarellmalerei im Innenhof ihres Anwesens. „Als ich 2017 auf dieses Video stieß, musste ich zugeben, dass ich etwas verunsichert war“, sagt eine Frau aus dem Off und gesteht, dass sie dennoch fasziniert gewesen sei.

Damit ist sie nicht allein. Die Faszination scheint weltweit ungebrochen, auch wenn die heute 43-jährige Künstlerin den Pinsel nach allem, was man weiß, inzwischen wieder zur Seite gelegt hat. Schon seit geraumer Zeit liegt ihr Schwerpunkt vor allem auf Tanz. ­Britney ­Spears in unvorteilhafter Perspektive und unvorteilhaft knapper Wäsche vor der Kamera ihres Smartphones, das Bewegungsabläufe festhält, die ihr gerade so in den Sinn kommen. „Ich habe so viele Tänze, die die Leute niemals sehen werden“, schreibt sie am 22. November und postet dazu ein Bild von ihren Füßen.

Googelt man Spears’ Namen, gibt es knapp 1,5 Milliarden Einträge, Tendenz steigend. Dabei ist es acht Jahre her, dass sie mit „Glory“ überhaupt ein Album veröffentlicht hat. Ihre letzten Singles waren 2022 ein Duett mit ­Elton John und 2023 noch eins mit US-Rapper Will.i.am – keines der Lieder macht den Eindruck, als sei sie musikalisch in irgendeiner Weise überhaupt daran beteiligt gewesen. Sowieso scheint sie sich spätestens seit ihrem mit Abstand besten Album „Blackout“ von 2007 aktiv aus ihrem musikalischen Schaffen verabschiedet zu haben. Seit ihrer Zeit als Kinderstar und elfjährige Moderatorin des „Mickey Mouse Club“ ist ihr Leben beinah lückenlos dokumentiert. Erfolge, Abstürze, Beziehungen, Trennungen, Kinder, Scheidungen und Nervenzusammenbrüche. Sie war das All-American-Girl, das zur Jahrtausendwende mit unverwüstlichen Pophits wie „… Baby One More Time“ (1999) und „­Toxic“ (2004) die Welt eroberte, mit ihrer scheinbar keuschen Beziehung zu ­Justin ­Timberlake die Herzen der Fans rührte, hinterher eine abrupte Verwandlung zum Vamp machte und schließlich unter der Last von Ruhm und Erfolgsdruck öffentlichkeitswirksam den Dienst verweigerte. Sie rasierte sich den Schädel, machte innerhalb von fünf Wochen drei Entziehungskuren, beging Fahrerflucht, sprach plötzlich mit englischem Akzent und verdrosch aufdringliche Fotografen mit dem Regenschirm. Kurzum, sie rebellierte mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln gegen ihre Rolle als millionenschwerer Popstar – mit der Folge, dass sie 2008 von ihrem Vater ­Jamie Spears kurzerhand entmündigt wurde, auf dass es fortan nicht mehr zu unerwünschten Geschäftsunterbrechungen kommen möge.

Britney ohne Filter

5-tlg. Dokureihe

ab 15.1. in der
Mediathek

Man kann rückblickend sagen, dass ihr Vater finanziell alles aus Britney Spears rausgeholt hat, was möglich war. Über eine Milliarde US-Dollar soll er bis zur Aufhebung der Vormundschaft 2021 mit ihr verdient haben. Er schickte sie mehrfach auf Konzertreise um die Welt, ließ sie insgesamt 250 Mal in Las Vegas auftreten, platzierte sie als Jurorin in der Talentshow „The X ­Factor“ und brachte insgesamt 17 Parfüms unter ihrem Namen heraus – für all das erhielt ­Britney Spears ein Taschengeld von 2.000 US-Dollar pro Woche.

Irgendwann dämmerte es auch der Öffentlichkeit, dass an dem Arrangement etwas nicht stimmte. Die #FreeBritney­-Bewegung formierte sich im Internet und machte die Künstlerin zur prominentesten Gefangenen der Welt. Zu all den Ideen, die man bis dahin zu ­Britney Spears im Kopf haben mochte, kam noch eine weitere hinzu.

Mann mit Free Britney Schal
Treue Fans: Ein Unterstützer von ­Britney Spears während einer #FreeBritney­-Kundgebung 2021 in London. Die Aktivisten forderten ein Ende der Vormundschaft vom Vater des Popstars. Foto: Kate Green / Getty Images

DIE MANIFESTIERUNG DES DEFIZITS

Ungezählte Journalisten, Pop-Philosophen und Soziologen haben seither versucht, das Phänomen Britney Spears zu deuten. Was hat sie, was andere nicht haben? Ist es die Stimme, das Aussehen, die Aura oder die Bühnenpräsenz? Ist es ihre Persönlichkeit, der Sexappeal oder gar die Musik? Es könnte sein, dass das Geheimnis darin liegt, dass es nichts von alledem ist, so als sei die Manifestierung des Defizits ihre künstlerische Position. Selbst wenn sie in den vergangenen Jahren auf der Bühne stand, hatte man selten den Eindruck, als sei sie präsent, auch ihre Stimme klingt schon lange nicht mehr nach ihr selbst. Abwesenheit wurde gewissermaßen zum Schlüssel ihres Ruhms.

Doch wo Britney Spears als Person nie zu greifen war, gab es stets Bilder. Sie erlebte als Dreh- und Angelpunkt die letzte Hochphase der Paparazzi-Kultur mit, war mit der Serie „Britney and Kevin: Chaotic“ an den Anfängen des Reality-TV beteiligt und ist heute mit knapp 42 Millionen Followern auf Instagram auch ein Social-Media-Star. Die Folge ist ein vielstimmiger Chor an Meinungen, in dem Bewunderung, Mitleid und die generelle Faszination fürs Abgründige eine eigenwillige Harmonie bilden. Die gängigen Lesarten können dabei so widersprüchlich sein wie zugleich auch allesamt wahr. Was sie selbst dazu denkt, bleibt schwer zu sagen. Es scheint sie auch nicht zu kümmern, weil sie einfach weiter tanzt.