»Vom Keyboard in die Welt«

Im Jahr 2021 gewann Bruce Liu den renommierten Internationalen Chopin-Klavierwettbewerb – und steht seitdem auf den Bühnen der Welt. Ein Gespräch.

Bruce Liu Starpianist
Foto: Christoph-Köstlin

Ein paar Minuten verspätet schaltet sich ­Bruce ­Liu zum Video-Call dazu. Er habe WLAN-Probleme gehabt, entschuldigt er sich. Der 26-jährige Pianist ist gerade auf Tour und aus Singapur zugeschaltet. 2021 gewann er den Internationalen Chopin-Klavierwettbewerb, zu dessen Gewinnern Klavierlegenden wie ­Martha ­Argerich oder ­Krystian ­Zimerman zählen. Allüren scheinen ihm dennoch fremd zu sein. Entspannt und zugleich konzentriert spricht er mit dem ARTE Magazin über sein erstes elektronisches Keyboard, Rachmaninows große Hände und darüber, was sich seit dem Wettbewerb für ihn verändert hat – und was nicht.

Bruce Liu spielt Rachmaninow: Rheingau Musik Festival 2023

Konzert

Sonntag, 14.1. — 17.40 Uhr
bis 12.4. in der Mediathek

ARTE Magazin Herr Liu, sind Sie der neue Rockstar in der Klassik-Welt?

Bruce Liu Das wurde tatsächlich mal in einem Artikel über mich geschrieben, als ich gerade den Wettbewerb gewonnen hatte. Vorher führte ich ein Studentenleben, übte, ging meinen Hobbys nach. Und plötzlich gebe ich 90 bis 100 Konzerte im Jahr. Der Unterschied ist riesig. Von der „Star“-Kategorisierung halte ich aber recht wenig.

ARTE Magazin Haben Sie sich durch den Wettbewerb verändert?

Bruce Liu Nein, ich bin immer noch derselbe, sowohl persönlich als auch als Künstler. Obwohl sich so vieles um mich herum verändert hat. Meine größte Herausforderung ist es gerade, Zeit zu finden, um mich als Pianist weiterzuentwickeln. Und meinen Hobbys weiter nachzugehen.

ARTE Magazin Sie fingen erst mit acht Jahren an, Klavier zu spielen. Im Vergleich zu anderen sogenannten Wunder­kindern ist das ziemlich spät.

Bruce Liu Ja, ist es. Und ich fing auch nicht direkt an, Klavier zu spielen, sondern elektronisches Keyboard. Das war wie ein Spielzeug und hatte 55 Tasten – ein richtiges Klavier hat 88. Es war einfach eines meiner vielen Interessen …

ARTE Magazin … das sich am Ende durchgesetzt hat.

Bruce Liu Ich war sehr aktiv als Kind und Teenager. Ich spielte Tennis, Fußball, Schach, Computerspiele und schwamm sehr viel. Das Keyboard und spätere Klavier fühlten sich gut an, weil es mich dazu brachte, mal 30 Minuten still zu sitzen. Meine Eltern machten mir auch keinerlei Druck. Als ich 14 war, entschied ich mich dann, die Pianisten-Laufbahn zu verfolgen. Wäre ich Schwimmer geworden – meine Alternative –, wäre meine Karriere in meinem jetzigen Alter schon fast vorbei. Die Reise eines Künstlers dagegen ist sehr lang.

ARTE Magazin Ihre Eltern sind chinesisch, Sie selbst sind in Paris geboren und in Montréal, Kanada, aufgewachsen. Wie hat Sie dieser kulturelle Mix geprägt?

Bruce Liu Durch die vielen Sprachen um mich herum habe ich erst mit zwei Jahren angefangen, zu sprechen. Und ich glaube, die vielen Kulturen haben dazu geführt, dass ich heute eine sehr aufgeschlossene Person bin.

 

Bruce Liu Starpianist
Foto: Ansgar-Klostermann

ARTE Magazin Was ist typisch chinesisch an Ihnen?

Bruce Liu Ich liebe chinesisches Essen.

ARTE Magazin Sie beschreiben Ihre Spielweise als „spontan“. Was heißt das genau?

Bruce Liu Ich spiele fünfzig Mal das gleiche Stück während einer Tour – und finde dennoch jedes Mal neue Inspirationen darin. Auch spielen wir Pianisten ständig auf unterschiedlichen Klavieren, da wir unser Instrument nicht mit uns herumtragen können. Mir bereitet es große Freude, mich jedes Mal auf ein neues Instrument, einen neuen Saal, eine neue Akustik, ein neues Publikum einzulassen. Neben der Technik, die ich natürlich vorher gelernt habe, verlasse ich mich immer gerne auf meine Emotionen. Und die sind eben jedes Mal anders.

ARTE Magazin Auf ARTE spielen Sie das zweite Klavierkonzert von Sergei Wassiljewitsch Rachmaninow. Wie würden Sie Ihre Beziehung zu dem russischen Komponisten beschreiben?

Bruce Liu Sein zweites Klavierkonzert war eines der ersten, die ich als Teenager gespielt habe. Ich habe es danach bestimmt zehn Jahre lang nicht angerührt und war ganz begeistert – zum einen, dass das Concerto nach all dieser Zeit noch immer in meinem Blut war. Und zum anderen, wie es sich dadurch heute beim Spielen anfühlt. Sehr vertraut.

ARTE Magazin Rachmaninow hatte sehr große Hände, er konnte zwölf Tasten auf dem Klavier greifen – können Sie mithalten?

Bruce Liu Zum Glück, ja! Ich schaffe es, elf Tasten zu greifen. Sein Klavierkonzert ist in dieser Hinsicht also kein Problem für mich.

ARTE Magazin Was inspiriert Sie?

Bruce Liu Oh, so vieles. Das kann alles sein, was ich an einem Tag erlebe – ein gutes Essen, ein Buch, eine Person, die ich kennenlerne, oder auch ein neues Hobby. Erst gestern habe ich zum Beispiel einen Zaubertrick gelernt, das war definitiv inspirierend.

ARTE Magazin Was ist mit Musik?

Bruce Liu Neben Klassik höre ich gerne Jazz; erst kürzlich habe ich mir wieder den kanadischen Jazz-Pianisten ­Oscar ­Peterson angehört. Die Improvisationen im Jazz finde ich sehr inspirierend. Ich wünschte, ich könnte improvisieren!

ARTE Magazin Sind Sie ein Naturmensch?

Bruce Liu Wer ist das nicht? Wir alle brauchen die Natur in unserem Leben. Ich habe mir vorgenommen, ab 2027 – wenn es vielleicht etwas ruhiger geworden ist – ab und zu zwei Tage komplett ohne Internet in der Natur zu verbringen. Mal sehen, ob mir das gelingt.

Zur Person
Bruce Liu, Pianist

Der kanadisch-chinesische Pianist war erst 24 Jahre alt, als er 2021 seinen Durchbruch beim Internationalen Chopin-Wettbewerb in Warschau feierte. Seitdem begeistert der gebürtige Pariser Kritiker und Publikum gleichermaßen.