Es heißt, Catherine Deneuve wäre die ultimative Hitchcock-Blondine gewesen. So kühl, so proper, so makellos frisiert – eine Heldin in der Tradition von Tippi Hedren und Kim Novak. Tatsächlich soll das der Plan gewesen sein, als Alfred Hitchcock und Deneuve sich irgendwann in den 1970er Jahren in Paris trafen. Beim Mittagessen besprachen sie eine Spionagegeschichte namens „The Short Night“, die in Finnland spielen sollte, womöglich mit Deneuve in der weiblichen Hauptrolle. Man hätte sich das gut vorstellen können: Catherine Deneuve in nordischer Landschaft, vielleicht im Trenchcoat oder mit Pelzmütze. Es hätte ins Bild der reservierten Lady mit Hang zum Geheimnis gepasst, das die Schauspielerin kultiviert, dem sie aber auch oft widersprochen hat. Letztlich kam es nicht zu der Zusammenarbeit, denn die Gesundheit des Regisseurs war zu diesem Zeitpunkt schon so angeschlagen, dass das Studio das gesamte Projekt zu den Akten legte. Nicht, dass Deneuve den Ritterschlag aus Hollywood gebraucht hätte. Sie hatte da schon mit François Truffaut, Luis Buñuel und Agnès Varda gedreht, mit Jean-Paul Belmondo, Jack Lemmon und Burt Reynolds. Als eine der wichtigsten Schauspielerinnen des französischen Kinos verstand sie es, den großen Auftritt zu pflegen und den Traum zu verkaufen, ohne allzu viel von sich selbst preiszugeben. Geändert hat sich daran bis heute wenig.
Dass sie eine gute Freundin von Yves Saint Laurent war, dass sie ihr Gesicht der Nationalfigur Marianne lieh, dass es auf Briefmarken gedruckt wurde und als Büste in den Rathäusern des Landes stand, verdeutlicht, dass sie stets in anderen Sphären unterwegs war. Sie würde das womöglich anders sehen . „Ich möchte das Gefühl haben, dass mir noch etwas passieren kann, Gutes wie Schlechtes“, sagte sie einmal im Gespräch mit der Filmemacherin Anne Andreu. „Ich will nicht die Kirsche auf der Torte sein.“
Fast scheint es, als wäre Catherine Deneuve auch die Schauspielerei einfach zugestoßen. Eigentlich war es ihre Schwester Françoise Dorléac, die ins Rampenlicht drängte, Theater spielte, zum Film ging. Sie überredete die junge Catherine in den Schulferien zu einem ersten Auftritt vor der Kamera, weil sie für einen Dreh eine Filmschwester brauchte. „Ich habe eher zufällig angefangen und bin dann eher zufällig dabeigeblieben“ – so lapidar hat Deneuve ihren Werdegang beschrieben. Besonders weit hergeholt wirkt die Berufswahl dann aber doch nicht, schließlich wuchs sie in einer Pariser Künstlerfamilie auf, als eine von vier Schwestern. Der Altersunterschied zwischen Catherine und Françoise, den Sandwich-Kindern in der Mitte, betrug bloß ein Jahr. Weil sie einander ähnlich sahen, spielten die beiden im Musical „Die Mädchen von Rochefort“ (1967) ein Zwillingspaar: die eine blond, die andere brünett, beide mit miniberockter Ausgelassenheit. Im gleichen Jahr starb Françoise bei einem Autounfall. Catherine Deneuve, die als Schauspielerin den Geburtsnamen ihrer Mutter benutzte, blieb vom Duo übrig.
Es war dann auch vor allem der Riss in der Fassade, der sie interessierte: als Prototyp junger, traumwandlerisch umhertreibender Frauen. Da war die paranoide Kosmetikerin in Roman Polańskis „Ekel“ (1965; ab dem 1. Oktober in der ARTE-Mediathek), die die Aufdringlichkeiten von Männern derart verstören, dass sie zur Mörderin wird. Oder die reiche Hausfrau, die sich in „Belle de Jour“ (1967) als Hobbyprostituierte betätigt. Immer lag das Rätsel im Widerspruch zwischen dem Außen und dem aufgewühlten Inneren, in ihrer Fähigkeit, auf der Leinwand irgendwie anwesend und abwesend zugleich zu sein.
Dabei war Deneuve auf anderem Terrain berühmt geworden, 1964 mit dem Musikfilm „Die Regenschirme von Cherbourg“. Als 21-Jährige spielte sie darin eine Verkäuferin, deren Verlobter in den Algerienkrieg zieht. Mit fast außerirdischer Schönheit verkörperte sie das ultimative Bild des Jungseins. Nie stimmte mehr, was ein britischer Journalist einmal schrieb: dass man sich direkt besser fühle, wenn man ihr ins Gesicht schaue, bloß, weil es so vollkommen sei. Da hatte sie schon die Aura des Unerreichbaren, die eine Art Markenzeichen werden sollte. Ob dahinter schlicht Zurückhaltung steckte, ist eigentlich egal. Denn das ist ja sehr clever: als Sinnbild kontrollierter Eleganz wahrgenommen zu werden und zugleich ein zutiefst unkonventionelles Leben zu führen. Mit allzu bürgerlichen Vorstellungen hatte es Catherine Deneuve nämlich nicht. „Ich bin eher unvernünftig“, sagte sie einmal. „Und mir sind Menschen lieber, die auch unvernünftig sind.“ Als 18-Jährige zog sie von zu Hause aus und bekam einen Sohn mit dem Regisseur Roger Vadim, später noch eine Tochter mit dem italienischen Schauspieler Marcello Mastroianni. Sie blieb unabhängig, wehrte sich gegen gesellschaftliche Regeln. Mit anderen Frauen unterschrieb sie 1971 ein Pamphlet, in dem sie einräumte, illegal abgetrieben zu haben. Als sie 1965 den Fotografen David Bailey heiratete, tat sie es in Schwarz und hielt beim Anschneiden der Torte eine Zigarette in der Hand. Wie übrigens in so vielen anderen Situationen auch, denn man scheint ihr das Dauerrauchen nachzusehen, wie man es hierzulande bloß bei Helmut Schmidt tat. Schließlich ist es Teil der Rolle, die sie am längsten spielt: die der Catherine Deneuve.
Ich will nicht die Kirsche auf der Torte sein
DAS EIGENE IMAGE AUFS KORN NEHMEN
Es war François Truffaut, der ihr 1980 mit „Die letzte Metro“ die vielleicht wichtigste Frauenfigur schrieb. Eine, die selbstbestimmt und pragmatisch ist, eine Macherin unter widrigen Umständen. „Ich habe immer gedacht, dass sie sehr gut eine Fabrik leiten könnte oder ein Modehaus“, sagte der Regisseur damals. Für ihre Rolle als Marion Steiner, die im besetzten Paris der frühen 1940er Jahre ihren jüdischen Ehemann versteckt und sein Theater führt, verlieh man ihr den César. Seitdem hat Catherine Deneuve eigentlich alles verkörpert. Sie war eine Vampirin in „Begierde“ (1983) an der Seite von David Bowie und Susan Sarandon, eine Fabrikarbeiterin in Lars von Triers „Dancer in the Dark“ (2000). Für ihren Part als Plantagenbesitzerin im Kolonialschinken „Indochine“ (1992) bekam sie eine Oscar-Nominierung. In den Filmen von André Téchiné, mit dem sie oft gearbeitet hat, entwickelte sie in den 1990er Jahren eine neue Durchlässigkeit.
Vor ein paar Jahren sorgte Catherine Deneuve dann für medialen Wirbel der unangenehmeren Art. 2018 unterschrieb sie mit anderen einen offenen Brief zur MeToo-Bewegung, der sich „die Freiheit, belästigt zu werden“ ausbat. Unnötig zu sagen, dass sie damit viele Frauen vor den Kopf stieß. Die Schriftstellerin Virginie Despentes ließ sich prompt zu einer Figur inspirieren: einem schönen Filmstar, der nicht ganz nachvollziehen kann, was es mit diesem neuen Feminismus auf sich hat, schließlich war für sie immer alles gut gelaufen. Deneuve selbst entschuldigte sich in der Zeitung Libération und spricht seitdem nicht mehr über das Thema. Eine Abhak-Attitüde, frei nach der Queen: „Never complain, never explain.“
Schaut man sich nun, kurz vor ihrem 80. Geburtstag, Catherine Deneuves Werk an, wird aber auch eines klar: dass sie sich und ihr Image gar nicht besonders ernst nimmt. Sie scheint sogar Gefallen daran zu finden, damit zu spielen. In François Ozons „8 Frauen“ (2002) etwa, der sie als Grande Dame im Leopardenmantel zeigt. In der Komödie, gehalten im Stil der 1950er Jahre, würfelt der Regisseur große französische Schauspielerinnen als dysfunktionale Familie zusammen. Wenn Deneuves Gaby ihrer Schwester Augustine, dargestellt von Isabelle Huppert, gelangweilte Gemeinheiten an den Kopf wirft und sich mit Fanny Ardant über den Teppich wälzt, ist das tatsächlich sehr lustig. Weil die Herrscherinnen des Kinos sich und die Rollen, die sie gespielt haben, selbst dekonstruieren. Catherine Deneuve heute zuzusehen, ist auch deshalb so interessant, weil jedes Mal so viele Bilder mitschwingen. Selbst wenn sie, wie in Ozons „Schmuckstück“ (2010), im Jogginganzug Tierreime dichtet. Das muss man erst mal schaffen.