»Kontroversen haben mich nie gekümmert«

Charlotte Rampling hat keine Angst vor kniffligen Rollen. Auch nach Jahrzehnten im Rampenlicht wirkt die Britin unergründlich – es ist ihr ganz recht.

Porträt von Charlotte Rampling
Foto: Philip Sinden / CAMERA PRESS / laif

Sie ist die wohl französischste unter den britischen Schauspielerinnen. Seit den 1970er Jahren lebt ­Charlotte Rampling, geboren in Essex als Tochter eines Offiziers und einer Künstlerin, in Frankreich. Von dort aus hat sie eine außergewöhnliche Karriere hingelegt, Spezialgebiet: intensive Charaktere. Da war etwa die Industriellengattin auf der Flucht vor den Nazis in ­Luchino ­Viscontis „Die Verdammten“ (1969). Eine mies gelaunte Schriftstellerin in „Swimming Pool“ (2003) von François Ozon. Selbst als Wahrsagerin in ­Denis ­Villeneuves Science-­Fiction-Epos „Dune“ (2021) blieb ­Rampling unverkennbar – dabei trug sie Schleier. Schuld war ihr viel beschriebener, durchdringender Blick, der sie auch zum Lieblingsmotiv zahlreicher Fotografen gemacht hat: von ­Helmut ­Newton bis Juergen Teller, für den sie im Louvre nackt vor der „Mona Lisa“ posierte. Berührungsängste: Fehlanzeige. Ein Anruf in ihrer Pariser Wohnung.

ARTE Magazin Frau Rampling, in den 1960ern galten Sie als Gesicht des „Swinging London“. Sie stammen aus einer Offiziersfamilie, wie fand man dort den lockeren Lebensstil?

Charlotte Rampling Nun, hindern konnte man uns ja nicht. Zu Beginn war es auch sehr unschuldig. Wir waren Mädchen und Jungen ohne Lebenserfahrung. Kurz nach dem Krieg geboren, als alles im Wiederaufbau begriffen war – das war eine ruhige Jugend, ohne Fernsehen, es gab nicht mal besonders viel Musik. In London war die Stimmung aufregend und sehr fröhlich, zumindest für eine kurze Zeit, vielleicht sechs oder sieben Jahre lang. Wir dachten, wir könnten die Welt ändern. Für eine junge Generation ist es sehr prägend, wenn sie das Gefühl hat, dass die Gesellschaft ihr das erlaubt.

ARTE Magazin Sie waren befreundet mit den Beatles und ­Jimi ­Hendrix. Was ging in der Szene vor?

Charlotte Rampling Bei genauer Betrachtung war sie eigentlich sehr überschaubar. Alles geschah in einem kleinen Gebiet, wo ich zu der Zeit lebte, im Stadtteil Chelsea. Dort versuchten die Menschen, Film und Musik, aber auch Mode und Fotografie anders zu machen. Ich habe mir gerade noch einmal einen Film mit ­Rita ­Tushingham angesehen, der etwa zur gleichen Zeit entstand, als ich „Georgy Girl“ drehte. Das war 1963. Unsere Rollen waren lebendig, voller Hoffnung, Ehrgeiz und Ideale. In den ersten Jahren gab es keine Dunkelheit.

ARTE Magazin Wann änderte sich das?

Charlotte Rampling Als immer mehr Drogen ins Spiel kamen. Irgendwann begannen die Beatles, stark mit LSD und anderen Psychedelika zu hantieren. Zu dieser Zeit verschwand die Unschuld. Man kann den Wandel in den Filmen von damals gut beobachten, sogar in den Gesichtsausdrücken der Leute. Die Atmosphäre wurde düsterer.

ARTE Magazin Was reizte Sie selbst daran, Abgründe auszuloten? Sie wurden mit komplexen und oft provokativen Rollen berühmt.

Charlotte Rampling Dahinter steckte eine persönliche Erfahrung. Vielleicht hätte ich sonst einen ganz anderen Weg eingeschlagen. Aber wenn einem eine Tragödie zustößt, dann verändert das die Wahrnehmung völlig.

ARTE Magazin Sie sprechen vom Tod Ihrer Schwester, die 1967 in Argentinien Selbstmord beging.

Charlotte Rampling Da war ich 20 Jahre alt. Plötzlich nahm ich das Leben in einem anderen Licht wahr. Von nun an wollte ich keine Unterhaltung mehr machen, sondern ernsthaft verstehen, warum solche Dinge passieren. Und nicht mehr nur die fröhliche Seite des Lebens zeigen.

ARTE Magazin Jahre später spielten Sie in „Unter dem Sand“ von François Ozon eine Frau, deren Mann beim Strandurlaub spurlos im Meer verschwindet. Es geht also um den unvermittelten Verlust eines geliebten Menschen. Fürchteten Sie, dass das Ihrer Geschichte nahekommen würde?

Charlotte Rampling Ich habe zunächst gar nicht darüber nachgedacht. Diese Parallele ging mir erst viel später auf. Komisch, für andere Menschen ist so etwas immer offensichtlicher. Meine Familie hat meine Schwester nicht beerdigt, auch sie war einfach verschwunden, von einem Tag auf den anderen. Wir haben sie nie wieder gesehen. Bestattungszeremonien dienen dazu, solch einen Verlust zu akzeptieren, aber wenn man keinen Körper hat, ist das schwierig. Während des Drehs mit Ozon war mir diese Verbindung nicht klar, sie lief unbewusst ab.

ARTE Magazin Finden Sie, es ist Aufgabe des Kinos, etwas im Menschen aufzurütteln?

Charlotte Rampling Das habe ich anfangs, in den 1960ern, gedacht. Bei den großen amerikanischen Filmen der 1950er Jahre ging es bloß um große Unterhaltung, obendrein gab es tausend Regeln und Dinge, die man nicht tun durfte. Das änderte sich mit der Nouvelle Vague in Frankreich. In England gab es die sogenannten Kitchen Sink Dramas. Mit ihnen wollten wir das wahre Leben zeigen, ohne es aufzuhübschen.

ARTE Magazin Ihre Karriere begannen Sie gleich bei einem Meister des Kinos: Als 22-Jährige drehten Sie mit Luchino Visconti „Die Verdammten“ über die Verstrickung einer Industriellenfamilie im Nationalsozialismus.

Charlotte Rampling Dabei kannte ich ihn gar nicht! Ich hatte wenig Ahnung vom Kino. Dann landete ich in Italien in dieser opulenten Umgebung. Visconti schuf Filme auf sehr opernhafte Weise. Wunderschöne Kulissen. Es war eine magische Welt.

ARTE Magazin Wie hat es Sie geprägt, in diesen Kosmos von Dekadenz und Finsternis einzutreten?

Charlotte Rampling Es hat mir gezeigt, dass dies die Dinge sind, mit denen ich mich auseinandersetzen will. Ich wollte das Leben kennenlernen. Mehr über Geschichte wissen. Ich war keine Intellektuelle, aber ich besaß einen guten Verstand und gute Sinne. Durch die Arbeit hatte ich die Möglichkeit, etwas über die dunklen Seiten des Menschseins herauszufinden. Filme wie dieser brachten mich an Orte, die ich kennenlernen musste.

ARTE Magazin Stört es Sie, wenn manche Sie für distanziert halten, weil Sie gerne komplizierte oder kühle Frauen spielen?

Charlotte Rampling Nein, wieso sollte es? Es spielt keine Rolle, was die Leute über mich sagen. Ich weiß, wer ich bin. Ich bin niemand, der ständig Komplimente braucht.

Rätselhafte Charlotte Rampling: Porträt einer Kultschauspielerin

Porträt

Sonntag, 25.6. — 21.45 Uhr
bis 22.9. in der Mediathek

Porträt in schwarz-weiß von Charlotte Rampling
Intensiv: Sie habe früh begriffen, dass ihr Gesicht auf Fotos gut funktioniert, sagt ­Charlotte ­Rampling. Hier 1970 fotografiert von Clive Arrowsmith. Foto: laif / CAMERA PRESS / Clive Arrowsmith

ARTE Magazin In „Der Nachtportier“ verkörperten Sie 1974 eine Holocaust-Überlebende, die ein Verhältnis mit ihrem früheren Wärter eingeht. Bei dem Thema ist die Kontroverse schon eingebaut.

Charlotte Rampling Über Kontroversen habe ich mir nie einen Kopf gemacht, der Gedanke hat mich nicht beunruhigt. Ich habe Filme gedreht, um Dinge zu erfahren: eine andere Form der Realität, die man selbst nicht erlebt hat. Es ging darum, sich auf das Abenteuer einzulassen.

ARTE Magazin Die Kritikerin Pauline Kael vom New Yorker zerriss den Film als „menschlich und ästhetisch anstößig“. Ließ Sie solche Empörung kalt?

Charlotte Rampling Die Kritik war wie ein Weckruf. Ich verstand die Macht des Kinos, das ein großes Echo hervorrufen kann. Man kann es nicht jedem recht machen. Vielleicht mögen die Leute einen nicht; das tut in dem Moment weh, ist aber vermutlich auch eine gute Lektion fürs Leben.

ARTE Magazin Ihr Partner in diesem Film, der britische Schauspieler Dirk Bogarde, wurde ein Freund und Mentor, was verband Sie beide?

Charlotte Rampling Wir waren wie Seelenverwandte. Ich hatte das Gefühl, dass er Dinge wusste, die ich noch nicht begriffen hatte. Das war hilfreich, denn ich fühlte mich zu dieser Zeit sehr allein. Ich hatte meine Schwester verloren und meine Mutter war sehr krank. Mein Vater sagte: Du musst dein Leben leben, ich kümmere mich um deine Mutter. Und Dirk wurde eine große Stütze für mich.

ARTE Magazin Erinnern Sie sich an einen Rat, den er Ihnen gegeben hat?

Charlotte Rampling Wir haben viele lange Gespräche geführt. Was das Filmemachen angeht – ich fühlte mich oft ausgelaugt, weil ich in jede Szene meine ganze Kraft steckte. Dann heulte ich und war genervt. Dirk sagte: Du musst lernen, mit deiner Energie zu haushalten. Die Strapazen sieht am Ende niemand. Alles, was sie sehen, ist der eine Moment, wenn du auf der Leinwand bist. Den Rest musst du einfach aus dem Weg räumen. Das hat sich bei mir eingebrannt.

ARTE Magazin Hat ein Leben in den Hügeln von Hollywood Sie gereizt? Immerhin haben Sie mit Sidney Lumet, Paul Newman und Woody Allen gearbeitet.

Charlotte Rampling Nein, die amerikanische Welt ist nicht meine. Ich fahre gerne mal hin, aber ich würde dort nicht meine Seele hineinstecken. Ich habe einmal kurz in den USA gewohnt, etwa ein Jahr lang. Aber Hollywood ist mir ein bisschen zu hollywoodmäßig. Die Hälfte der Zeit wusste ich nicht, wo ich war!

Hollywood ist mir ein bisschen zu hollywoodmäßig

Charlotte Rampling, Schauspielerin
Porträt von Charlotte Rampling
„Unter dem Sand“ hatte 2000 Ramplings Comeback eingeläutet. Foto: Jean-Claude Moireau / ARTE F

ARTE Magazin Als jemand, der von ­Helmut ­Newton fotografiert wurde und auf den Titeln unzähliger Magazine war: Wie wichtig ist Ihnen Ihr Aussehen?

Charlotte Rampling Nun, ich fühle mich immer noch sehr schön, es ist nur eine andere Art von Schönheit. Junge Schönheit ist außergewöhnlich, aber ich habe das Glück gehabt, dass sie mir nicht ganz abhandengekommen ist. Und ich habe nie etwas an meinem Gesicht machen lassen.

ARTE Magazin Was halten Sie vom Boom der Schönheitschirurgie, der selbst junge Menschen packt?

Charlotte Rampling Sie denken vermutlich, sie könnten die Natur verbessern, was ich gefährlich finde. Das hat mich davon abgehalten. Ich hatte auch ein gutes Gesicht, man könnte sagen, dass ich es nicht gebraucht habe, aber jeder denkt wohl in irgendeinem Stadium mal darüber nach. Ich hatte jedoch zu viel Angst, die Natur herauszufordern. Andere können natürlich tun, was sie möchten – auch wenn ich nicht unbedingt finde, dass man am Ende besser aussieht als vorher.

ARTE Magazin Gibt es etwas, das Sie gerne früher im Leben gewusst hätten?

Charlotte Rampling Vieles! Es bringt nichts, sich zu wünschen, jemand anderes zu sein. Man muss mit dem leben, was man hat: etwas Gutes daraus machen, die schlechten Zeiten überstehen. Und weitergehen.

Unter dem Sand

Drama

Sonntag, 25.6. — 20.15 Uhr

Zur Person: Charlotte Rampling, Schauspielerin
Die 1946 geborene Britin hat in mehr als 100 Filmen gespielt, darunter „Der Nachtportier“, „Das Fleisch der Orchidee“ und „Melancholia“. Für „45 Jahre“ war sie 2016 für einen Oscar nominiert.