Wie ein Wellenreiter

Dirigent Christian Thielemann kommt nach einer bewegten Zeit wieder in seiner Heimat an und gibt sein Antritts­konzert bei der Staatskapelle Berlin.

Christian Thielemann mit Dirigentenstab in der Hand
Christian Thielemann ist ab der Saison 2024/24 Generalmusikdirektor der Staatsoper Berlin. Foto: Matthias Creutziger

Vor vielen Jahren konnte man ­Christian ­Thielemann und Daniel Barenboim spät am Abend in einem Münchner Luxushotel ein Klavier durch die Gänge schieben sehen. Das Instrument stand in der Suite von ­Thielemann – aber ­Barenboim wollte üben. Also betätigten sich die beiden kurzerhand als Möbelpacker. ­Thielemann hat diese Geschichte damals gern erzählt, um Gerüchte über Streitereien zwischen den beiden Dirigenten zu zerstreuen: Alles Quatsch! Alles Lüge!

Dabei lag die Spannung zwischen ­Thielemann und ­Barenboim Anfang der 2000er Jahre allgemein spürbar in der Berliner Luft. Barenboim leitete damals schon die Staatskapelle Berlin, das einstige Vorzeigehaus des Ostens, und ­Thielemann das Orchester der Deutschen Oper, des Giga-­Musikdampfers im Westen. Während ­Barenboim auf internationale Tourneen ging und seine Musikerinnen und Musiker gut bezahlt wurden, kämpfte ­Thielemann gegen die Benachteiligung seines Ensembles. 2004 riss ihm der Geduldsfaden: Der Dirigent kündigte seiner Heimatstadt Berlin und verschwand zornig zu den Münchner Philharmonikern.

Wenn er nun als Chefdirigent der Staatskapelle Berlin – und damit als Nachfolger von ­Daniel ­Barenboim – zurückkehrt, hat das also eine besondere Bedeutung. Vorletzte Weihnachten hatten sich die beiden in einem Restaurant getroffen, einander tief in die Augen geschaut, und ­Barenboim hatte seinen Wunschnachfolger gefunden. ­Thielemann erzählt, dass beide erkannt hätten, wie ähnlich ihre musikalischen Ideale seien: Was uns beide besonders geprägt hat, war unsere Arbeit bei den Bayreuther Festspielen.

Christian Thielemann dirigiert Mendelsson Bartholdy und Schönberg

Konzert

Sonntag, 13.10.
— 17.00 Uhr
bis 11.11. in der
Mediathek

 

Über Bayreuth zurück nach Berlin

Tatsächlich gab es auch in Bayreuth eine Zeit, in der sie eher beste Feinde als gute Freunde waren. Es heißt, dass Barenboim nicht mehr auf dem Grünen Hügel dirigieren wollte, solange er – gemeint war Thielemann – dort als Musik-direktor arbeitete.

Überhaupt war Thielemann bekannt dafür anzuecken: in Berlin mit der Kulturpolitik, in München mit dem Intendanten. Bei der Sächsischen Staatskapelle in Dresden ging es dann ziemlich lange gut, bis das Orchester auch hier bei der letzten Vertragsverlängerung nicht mehr für Thielemann stimmte. Zeitgleich wurde er auch seinen Job als Musikdirektor in Bayreuth los (hier wurde Thielemann vorgeworfen, Dirigenten wie Andris Nelsons bevormundet zu haben). Und dann haben sich die Berliner Philharmoniker auch noch für Kirill Petrenko als Nachfolger von Sir Simon Rattle entschieden – und nicht für Thielemann.

Als der Dirigent im Tal seiner Karriere steckte, schien sich plötzlich eine neue Lässigkeit bei Christian Thielemann zu entwickeln. Er sagte, dass das Freisein ein vollkommen neues Gefühl für ihn sei und dass er neugierig auf das wäre, was kommen würde. Thielemann verglich den Wartezustand mit seinen Bayreuther Touren durch die fränkische Provinz, die er gern bei Tempo 30 in seinem Porsche unternimmt: Langsam, aber mit Qualität käme man am besten ans Ziel.

Thielemann hat nie viele unterschiedliche Orchester dirigiert, aber sein Repertoire ist eher eng gefasst. Er ist Spezialist für die deutsche Romantik von Richard Wagner bis Richard Strauss. Thielemanns Kritiker erkennen darin Bequemlichkeit, Fans sagen, dass Musikmachen für ihn das ständig weitere Hinabsteigen in die Tiefen der jeweiligen Partituren bedeute. Nur weil Thielemann so viel Wagner dirigiert habe, würde kein anderer Dirigent Wagner so verkörpern wie er.

Tatsächlich gibt es Stücke, in denen Christian Thielemann absolut einzigartig ist – die Opern Wagners gehören dazu. Sein Dirigierstil ist eine Paarung aus genauem Wissen um die Partitur und gleichzeitigem Zulassen von gezügelter Emotionalität. Thielemann dirigiert wie ein Wellenreiter: Er setzt sich auf die tragenden Bögen, surft auf den einzelnen Stimmen, lässt sich (und damit den Klang) immer weiter tragen, oft knapp bevor die Gischt über ihm zusammenbricht. Diese Art des Musikmachens erzeugt einen unverwechselbaren, ganz eigenen Sog.

Nach einem fulminanten Einspringer-Konzert und einer Tournee haben sich nun auch die Musikerinnen und Musiker der Staatskapelle für den als nicht immer ganz einfach geltenden Dirigenten Christian Thielemann entschieden – und ihn damit zurück in sein geliebtes Berlin geholt. Ausgerechnet an jenes Haus, das er früher als Konkurrenz verstanden hat. Ausgerechnet als Nachfolger von Daniel Barenboim. Es gibt Stimmen, die sagen, dass Christian Thielemann auf seiner Reise von Berlin nach Berlin zahmer geworden ist. Dass seine Lust am Streit einem Bedürfnis nach Harmonie gewichen sei. Daniel Barenboim hat die Staatskapelle Berlin zu einem genialen Allround-Orchester gemacht. Und das ist eine Konstellation, in der – im besten Falle – beide voneinander profitieren könnten: Thielemann von der Kapelle und die Kapelle von ihrem neuen Chefdirigenten.

Was uns geprägt hat –unsere Arbeit bei den Bayreuther Festspielen

Christian Thielemann, Dirigent