Radikal elegant

Ihr Name wurde zur Marke: Coco Chanel schuf ein Modeimperium und trat eine gesellschaftliche Revolution los. Warum ihr Mythos bis heute nachwirkt.

schwarz-weiß Porträt von Coco Chanel
Coco Chanel (1883–1971) hat das Leben und den Stil ihrer Zeitgenossinnen für immer verändert. Foto: IMAGO / Photo News

Noch bevor sie ihren Salon in der Pariser Rue Cambon betrat, versprühte traditionell jemand Chanel No. 5. Es war ­Coco ­Chanel wichtig, dass ihr Duft schon vor ihr da war. Die Gründerin des Pariser Luxuslabels etablierte mit ihren Kreationen ein Weltimperium. Die Geschichte ihres Aufstiegs gleicht einem Märchen, mit all seinen Licht- und Schatten­seiten: „Mein Leben ist eine Legende, dem will ich gerecht werden“, sagte Chanel. 2023 erzielte das Unternehmen, das ihren Namen trägt, einen Jahresumsatz von knapp 20 Milliarden US-Dollar. Wie wurde aus ­Coco Chanel eine der berühmtesten Modeschöpferinnen aller Zeiten? Und was macht heute, mehr als 100 Jahre nach der Gründung, den Reiz der Marke aus?

Chanel No. 1: Das Waisenkind

Gabrielle Bonheur „Coco“ Chanel kam am 19. August 1883 als uneheliche Tochter in einem Armenhaus in der westfranzösischen Kleinstadt Saumur zur Welt. Über ihre Vergangenheit hielt sie zeitlebens vieles geheim, bekannt ist jedoch: Ihre Mutter kümmerte sich als Wäscherin um die fünf Kinder, während ihr trinkender Vater als Hausierer durchs Land zog. Als ihre Mutter starb, war ­Coco Chanel elf Jahre alt. Der Vater brachte sie in ein von Nonnen des Zisterzienserordens geführtes Waisenhaus im Kloster Aubazine und verschwand für immer aus ihrem Leben. ­Chanel blieb sechs Jahre in dem Kloster und lernte dort nähen. „­Ihre Ästhetik, die Vorliebe für schwarz und weiß, hat ihre Ursprünge eindeutig im Habit der Nonnen“, sagt die Autorin ­Justine ­Picardie im Dokumentarfilm „­Coco ­Chanel – ­Leben, ­Lügen und ­Legenden“, den ­ARTE im September ausstrahlt. Auch das doppelte, verschränkte „C“, das Logo für ihr späteres Modehaus, findet sich in den Klosterfenstern. ­Chanel verstand es früh, sich auf sich selbst zu verlassen. Während die meisten Frauen damals von Männern abhängig waren, hatten die Mädchen, die das Waisenhaus verließen, einen Beruf erlernt. Mit 18 wurde ­Chanel Näherin in der Kleinstadt Moulins. Nebenbei sang sie im Varieté – darunter das Lied „Qui Qu’a Vu Coco“ über einen Hund, dem sie wohl ihren Spitznamen verdankt. Die 1,62 Meter kleine Frau mit kurzen, holzbraunen Haaren, grauen Augen und tiefer Altstimme war von Männern umschwärmt. Schließlich wurde die damals schon pragmatische ­Chanel zur Geliebten von ­Étienne ­Balsan, einem Offizier der Kavallerie, der sie mit auf sein Schloss bei Paris nahm. Im Kreis seiner aristokratischen Freunde verliebte sie sich in den Engländer ­Arthur „Boy“ ­Capel, über den sie später sagte: „Er ist der einzige Mann, den ich je geliebt habe. Er hat mich zu dem gemacht, was ich bin“, und zog mit ihm in sein vornehmes Pariser Apartment. Mithilfe eines Kredits von Capel eröffnete sie 1910 in der Rue Cambon ihre erste Hutboutique.

Chanel No. 2: Die Geschäftsfrau

Mit der neuen, minimalistischen Schlichtheit ihrer Designs machte sich Chanel schnell einen Namen. In Deauville lancierte sie eine Sportbekleidungslinie aus Jerseystoff, aus dem bislang nur Herren­unterwäsche gefertigt worden war. „Für mich ist Einfachheit der Schlüssel zur wahren Eleganz“, betonte die Modeschöpferin. Aus simplen Stoffen erschuf sie Luxuriöses, männliche Kleidung interpretierte sie feminin. Die beste Werbung für ihre Entwürfe war sie selbst. Ihre Kundinnen wurden „schlank wie Coco“ und schnitten sich die Haare ab: „Die Frauen wollten aussehen wie ­Chanel. Sie ist früh zu ihrer eigenen Marke geworden“, sagt ­Picardie, die das Buch „­Chanel – Ihr Leben“ verfasst hat. Die Designerin trug Hosen, während andere Kleider trugen, und stand für Kleidung, in der Frauen ein unabhängiges Leben führen konnten. Ihr Erfolg war auch ihrer Radikalität geschuldet. „Sie trat mit ihrer Mode eine gesellschaftliche Revolution los“, urteilt die US-amerikanische Modehistorikerin ­Valerie ­Steele. In ihrem Pariser Couture-Haus in der Rue Cambon 31, das sie 1918 erwarb, befinden sich heute noch eine Boutique und Ateliers. Pro Jahr entwarf die Designerin etwa 400 Kleidungsstücke. „Sie war schwierig und sehr launisch. Das hat auch den Reiz ausgemacht“, blickt das ehemalige Chanel-­Model ­Betty ­Catroux zurück.

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Coco Chanel – Leben, Lügen und Legenden

Dokumentarfilm

Sonntag, 22.9.
— 22.00 Uhr
bis 5.11. in der
Mediathek