Air France AF 203 soll am 25. Juli 2000 von Paris nach New York fliegen, als kurz nach dem Start ein lauter Knall die Crew im Cockpit in Krisenmodus versetzt. Zehn Sekunden später, exakt um 14.43 Uhr und 22,8 Sekunden, schrillt der Feueralarm. Die Triebwerke brennen; fieberhaft versuchen der Pilot und sein Team die Maschine zu retten. Bereits 70 Sekunden später geht die Concorde in Flammen auf und stürzt ab. Alle 109 Insassen und vier Gäste eines Hotels in der Nähe der Absturzstelle sterben.
Der tragische Unfall läutet das vorläufige Ende der Ära der Überschallflieger ein. Die in Expertenkreisen als überaus sicher geltende und unter Piloten beliebte Concorde hat aufgrund ihres hohen Treibstoffverbrauchs und infolge sinkender Fluggastzahlen nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 keine Zukunft mehr. Im Jahr 2003 stellen Air France und British Airways ihren schnellen Transatlantikdienst ein.
In der Dokumentation „Die Concorde: Absturz einer Legende“, die ARTE im Juli ausstrahlt, analysiert Regisseur Peter Bardehle das Unglück von Paris und lässt zahlreiche Luftverkehrsexperten und Zeitzeugen zu Wort kommen. Einer von ihnen ist Jean-Louis Chatelain. Mehr als 60.000 Flugstunden verbrachte der Franzose im Cockpit, 46 Mal flog er die Concorde von Paris nach New York und zurück. Und er war Pilot auf dem letzten Flug des High-Speed-Fliegers von Paris nach Karlsruhe/Baden-Baden. „Am 6. Juni 2003 überführten wir die Maschine ins Luftfahrtmuseum Sinsheim“, erzählt Chatelain im Gespräch mit dem ARTE Magazin. „Es war ein sehr emotionaler Moment, denn plötzlich wurde mir klar, dass zum ersten Mal in der Geschichte der Luftfahrt die Entwicklung nicht mehr vorwärtsging, sondern rückwärts. Die fortschrittlichste und schnellste Passagierflugzeug-Klasse der Welt wurde damals eingemottet.“
Zumindest vorübergehend. 20 Jahre später steht eine neue Generation kommerzieller Überschalljets kurz vor der Serienreife. „Als ich davon hörte, schlug mein Herz gleich schneller“, sagt Chatelain. Der inzwischen 74-Jährige, der nach dem Absturz in Paris zur Untersuchungskommission gehörte, wird den Concorde-Nachfolger zwar nicht mehr als Pilot steuern, freut sich aber schon darauf, „dereinst als Passagier an Bord zu gehen“. 2025 sollen die ersten Exemplare vom Typ Overture im Linienverkehr fliegen, entwickelt vom 2014 gegründeten US-Unternehmen Boom. Dessen Angaben zufolge haben mehrere Fluggesellschaften, darunter Virgin Atlantic und Japan Airlines, inzwischen insgesamt 76 Exemplare bestellt.
Boom-Chef Blake Scholl ist zuversichtlich, dass die Coronakrise, die der Luftfahrtbranche stark zusetzt, seine Pläne nicht durchkreuzen wird. Im Gegenteil: „Um wieder aus den roten Zahlen zu kommen, müssen Airlines attraktive Verbindungen jenseits des Billigsegments anbieten“, sagt der Firmengründer, selbst ein begeisterter Pilot. Die Overture sei speziell auf die Business Class zugeschnitten, die „profitabelste Sparte der großen Fluggesellschaften“. Das Segment habe derzeit ein Volumen von 500 Millionen Flügen pro Jahr. Bei einem avisierten Ticketpreis von 5.000 US-Dollar für einen superschnellen Transatlantik- oder Transpazifikflug – die Overture soll Mach 2,2 (2.700 km/h) erreichen, also mehr als die doppelte Schallgeschwindigkeit – dürften vor allem Top-Verdiener zur Klientel zählen. Zum Vergleich: Ein Transatlantikflug mit der Concorde kostete 2003 rund 12.000 Dollar. Einige Hundert Overtures will Scholl bis 2035 verkaufen, jetziger Listenpreis pro Maschine: 200 Millionen Dollar.
Auch Wettbewerber Aerion aus Reno im US-Bundesstaat Nevada will in dem Zukunftsmarkt mitmischen. Dessen für 2024 angekündigter Überschalljet AS 2 soll dank einer speziellen Tragflächen- und Rumpfkonstruktion besonders leise fliegen. „Boomless Cruise“ nennt Aerion-Chef Tom Vice die Technik. Sie erlaube den „Überschallflug über Land, ohne dass Mensch und Tier unter der Lärmbelastung leiden“. Bislang stehen bei Aerion nur Prototypen für kleinere Business-Jets mit wenigen Sitzplätzen im Hangar. In Kürze wolle man aber Modelle für die kommerzielle Luftfahrt vorstellen, so Vice.
Ob die Pläne der ambitionierten Flugzeugbauer aufgehen, hänge letztlich davon ab, wie spritsparend und klimaneutral ihre Überschallmaschinen fliegen, meint Filmemacher Peter Bardehle. Aerion und Boom setzen auf besonders sparsame Triebwerke; Boom arbeitet überdies gemeinsam mit einem Chemiekonzern an einem umweltfreundlichen Treibstoff.„Biokraftstoffe und Elektroantriebe für CO₂-neutrale Flugzeuge stehen erst am Anfang der Entwicklung“, so Bardehle, „doch das Thema beschäftigt derzeit die gesamte Branche.“ Denn nicht nur in Europa, sondern weltweit werden die Emissionskontrollen für Flugzeuge immer strenger. Wer künftig nicht am Boden bleiben will, muss sauber fliegen.
Das fortschrittlichste Passagierflugzeug der Welt wurde damals eingemottet