Naturbelassene Farben, geometrische Formen: Constantin Brâncuși zählt zu den einflussreichsten Bildhauern des 20. Jahrhunderts. Inspiriert von dem französischen Zeichner und Bildhauer Auguste Rodin (1840–1917), den er kannte und schätzte, brach Brâncuși mit der realistischen Darstellung von Motiven durch Reduktion und beeinflusste so die Skulpturkunst der Moderne nachhaltig. ARTE zeigt im April ein Porträt von Brâncuși und das Centre Pompidou in Paris widmet ihm von Ende März bis Juli eine Retrospektive mit 200 Skulpturen, Fotografien, Zeichnungen und Filmen, kuratiert von Ariane Coulondre. Das Herzstück der Ausstellung bildet eine Rekonstruktion von Brâncușis Atelier, das er als Lebensraum, Schaffensort und Ausstellungsfläche nutzte.
Constantin Brâncuși wurde 1876 in Hobița, einem 300 Kilometer von Bukarest entfernten Dorf, geboren. Mit 18 Jahren verließ er das bäuerliche Umfeld seines Elternhauses, um sich erst in Craiova und vier Jahre später an der Kunsthochschule in Bukarest in klassischer Bildhauerei ausbilden zu lassen. Ab 1904 wollte er die großen Städte Europas erkunden – und machte sich zu Fuß auf den Weg über Wien, Budapest, München und Basel nach Paris. Dort ließ er sich nach gut 2.000 marschierten Kilometern nieder und sollte bis zu seinem Lebensende bleiben. Im Jahr 1916 errichtete Brâncuși ein Atelier in der Impasse Ronsin im 15. Arrondissement und schrieb sich an der Pariser Kunstschule École des Beaux-Arts ein. Für einige Monate wurde er Assistent von Auguste Rodin, bevor er feststellte: „Im Schatten großer Bäume wächst nichts.“
VON DER FIGURATION ZUR ABSTRAKTEN SKULPTUR
In seiner frühen Schaffensperiode schuf Brâncuși realistische Skulpturen, die er später eher abschätzig bewertete – darunter „L’Ecorché“ (1902), das Abbild eines anatomisches Körpers, oder „L’Orgueil“ (1905), die Büste eines Mädchens. Seine Werke „Le Baiser“ (1907/08) und „Mlle Pogany“ (1913) markierten hingegen einen radikalen Wendepunkt: Brâncuși vernachlässigte dabei die klassische Figuration, die seit der Renaissance und bis zu -Rodin vorherrschte, zugunsten einer Form der absoluten Abstraktion. Er zog die Imagination, die Vereinfachung und die Stilisierung durch das Weglassen von Details vor. Brâncuși drückt es in Bezug auf sein Werk „Princesse X“ (1915/16) so aus: „Es ist so schade, ein schönes Material zu verschwenden, indem man kleine Löcher für die Augen, das Haar oder die Ohren in das Material gräbt.“ Der Bruch, den Brâncuși in die Geschichte der Skulptur brachte, war in dreifacher Hinsicht spürbar: „Es war eine Revolution der Geste, der Form und des Raums“, so die Kunsthistorikerin Ariane Coulondre im Interview mit dem ARTE Magazin. Seine Suche nach der reinen Form entspreche dem Willen, über Erscheinungen hinauszugehen, und der Suche nach dem Wesen der Dinge. Indem er seine Sockel, die traditionell der Präsentation von Skulpturen dienten, ohne Hierarchie in eigenständige Kunstwerke verwandelte, habe er dazu beigetragen, den Begriff der Kunst zu erweitern. Brâncușis „Säule der Unendlichkeit“ (1937/38), ein 30 Meter hohes Denkmal im rumänischen Târgu Jiu, das aus einem bescheidenen Sockel entstand, sollte den Weg für die abstrakte Skulptur und die Minimalkunst der 1960er Jahre ebnen.
Brâncușis neue Art der Bildhauerei inspirierte Designer wie Isamu Noguchi (1904–1988), der etwa die berühmten, aus weißen Papierformen bestehenden Akari–Lampen erfand. Gleichzeitig rief sie mitunter heftige Reaktionen hervor: 1920 wurde Brâncușis Bronzeskulptur „Princesse X“ im Pariser Salon des Indépendants wegen vermeintlicher Pornografie verboten. Sechs Jahre später verhinderte der US-amerikanische Zoll die Einfuhr der Skulptur „L’Oiseau dans l’espace“ (1923) mit der Begründung, ohne Beine und Federn könne es sich bei dem Kunstwerk nicht um einen Vogel handeln. Brâncuși wurde verdächtigt, das Metallobjekt lediglich als Kunst auszugeben, um sich die Einfuhrzölle zu sparen.
In der Nachkriegszeit schuf der Künstler kaum noch neue Skulpturen, lieber konzentrierte er sich auf ihre Anordnung in seinem Pariser Atelier. Verkaufte er ein Werk, ersetzte er es durch einen Gips- oder Bronzeabguss, um die Einheit des Ganzen zu wahren. „Obwohl einige Atelierbesucher die Atmosphäre im Atelier mit der eines heiligen Tempels verglichen, war der Künstler kein Asket. Er war berühmt für ausschweifende Partys, die er dort mit Musikern und Künstlerfreunden veranstaltete“, erzählt Ariane Coulondre.
Als Brâncuși 1957 starb, vermachte er sein Atelier, in dem das Weiß von Gips und Marmor vorherrschte, dem französischen Staat, inklusive 137 Skulpturen, 87 Sockeln sowie zahlreichen Zeichnungen, Gussformen, Gemälden und mehr als 2.300 Fotografien. „Das Atelier ist als eigenständiges Werk konzipiert, heute würde man sagen: eine Installation, in der alles von der Hand des Künstlers gefertigt wurde, bis hin zu Möbeln, Hockern, dem Kamin und den Werkzeugen.“
Im Schatten großer Bäume wächst nichts