»Dunkle Seiten ausloten«

Was braucht es für eine Weltkarriere? Talent, klar. Daniel Brühl musste sich außerdem erst mal von seinem Image befreien.

Foto: Pascal Bünning

Schon als Kind suchte sich Daniel Brühl ein Publikum – und stellte sich zum Schrecken seiner Eltern gerne mal tot, um es zu bekommen. Inzwischen ist der Schauspieler ein Weltstar, der in Hollywood ebenso reüssiert wie in deutschen, französischen und spanischen Autorenfilmen. Wie ihm das gelang, beleuchtet das Porträt „Daniel Brühl: Der Reiz des Bösen“, das ARTE zur Berlinale zeigt. Für das Interview mit dem ARTE Magazin schaltete sich der 44-jährige Deutsch-Spanier entspannt von der Terrasse seines spanischen Wohnsitzes zu.

Daniel Brühl: Der Reiz des Bösen

Porträt

Montag, 20.2. — 22.10 Uhr
bis 20.5. in der Mediathek

ARTE Magazin Herr Brühl, vor 20 Jahren kam „Good Bye, Lenin!“ ins Kino, einer der ersten Filme mit einem deutsch-deutschen Thema. Der Erfolg war gigantisch. Woran lag das?

Daniel Brühl Ich glaube, dass der zeitliche Abstand zur Wende genau richtig war. Die Reaktionen weltweit waren unglaublich: Egal, auf welchem Festival wir waren, immer kamen die Lacher an der richtigen Stelle. Die Leute sind begeistert mitgegangen und waren gerührt. Die Sympathie galt der Figur, die ich spiele, dem Sohn, der seine schwerkranke Mutter beschützen will. Es hatte noch einen anderen Nebeneffekt: Alle Mütter von Rom bis Miami liebten mich. 

ARTE Magazin Sie wurden schlagartig berühmt, an Ihnen klebte fortan aber auch das Image des netten Jungen von nebenan. War das Fluch oder Segen?

Daniel Brühl Der Film ist ein Klassiker, auf den ich immer stolz sein werde. Dass uns das gelungen ist, war Glückssache – so etwas kann man nicht vorhersehen. Alles andere wäre vermessen.  

ARTE Magazin Der Film nimmt die ostdeutsche Perspektive ein, dennoch sind sowohl Regisseur als auch Hauptdarsteller Westdeutsche. Fanden Sie das damals problematisch?

Daniel BrühlVor dem Casting hieß es, dass ich es als Rheinländer schwer haben würde, weil die Rolle eigentlich mit einem Ostberliner besetzt werden sollte. Als ich die Rolle nach etlichen Vorsprechen hatte, habe ich alles, was ich mir an Themen aneignen konnte, aufgesogen. Katrin Sass, die im Film meine Mutter spielt, hat mir von ihrer Zeit in der DDR erzählt. Echte Lebensgeschichten sind für mich am aufschlussreichsten, besser als Bücher und Dokumentationen. Aber Druck, ob das funktioniert, hatte ich trotzdem.

 

Schauspieler Daniel Brühl in Goodbye Lenin!
2003 stand ­Daniel Brühl dann als überfürsorglicher Sohn in „Good Bye, Lenin!“ vor der Kamera. Foto: Beta Film/ARD

ARTE Magazin Eine Stärke von „Good Bye, Lenin!“ ist die Sensibilität, mit der der Film die Umbrüche der Wendezeit thematisiert. Heute fehlt sie im Ost-West-Verhältnis ja oftmals …

Daniel Brühl Bei allem Komödiantischen hat sich ­Wolfgang ­Becker dem Thema mit Respekt und Gewissenhaftigkeit genähert. Ihm wurde nachträglich Ostalgie vorgeworfen, aber das war nicht seine Absicht. Im Gegenteil, ich bewundere sein Fingerspitzengefühl, etwa bei der Filmmusik von ­Yann ­Tiersen. Dieses Zarte und Melancholische passt ganz wunderbar zum Film – und brachte etwas angenehm Undeutsches in diese deutsch-deutsche Geschichte. 

ARTE Magazin Auf der Berlinale wurden Sie mit dem „Shooting Star“ ausgezeichnet – aber damals von der Security nicht zur eigenen Filmparty eingelassen. Was war da los?

Daniel Brühl Das war absurd! Ich war 24, ­Dennis ­Hopper überreichte mir den Preis auf der großen Bühne. Meine Familie war da, es herrschte ein ungeheurer Trubel. In meiner Euphorie war ich zu spät dran, der ganze Tross war schon auf der anschließenden Party. Als ich hineingehen wollte, die Trophäe noch in der Hand, stand da ein Typ und sagte: „Nee, du kommst nicht rein.“ Und ich so: „Das ist meine Premiere.“ Und er: „Tut mir leid, wir haben heute wichtigen Besuch aus Hollywood, da versucht jetzt jeder, reinzukommen.“ Später, als ich endlich doch drinnen war, kam mir Nicolas ­Cage entgegen. Und ich dachte: „Wegen diesem Typen komme ich nicht auf meine eigene Party?“ Es war dann trotzdem ein gutes Fest. 

ARTE Magazin Früher schrieben Kritiker, Ihre größte Auffälligkeit sei Ihre Unauffälligkeit. Ist das immer noch so?

Daniel Brühl Nein, und selbst wenn, ist mir das gar nicht so unrecht. Das hat mir mein Vater mitgegeben, er sagte: „Immer schön fuffzig fahren.“ Es ist tendenziell besser, unauffällig zu sein, dann hat man einen längeren Atem. Wenn man sich zu schnell verbrennt und den lauten Zampano spielt, geht man den Leuten irgendwann auf den Keks. 

ARTE Magazin Der Preis Ihrer Beliebtheit war, dass Fans Ihnen oft distanzlos begegneten …

Daniel Brühl Das stimmt, obwohl es ja gar nicht so war, dass ich immer nur den braven Sohn spielte. Aber „Good Bye, Lenin!“ war eben der Film, den sehr viele Menschen gesehen hatten; der hat mir einen Stempel aufgedrückt. Vielleicht war das der kleine Fluch, von dem wir eben sprachen. Heute ist es anders: Ich werde häufig in Bösewicht-Rollen besetzt, gerade im Ausland.

ARTE Magazin Nur wenigen deutschen Schauspielern gelingt der Sprung ins Ausland, insbesondere in die USA. Wie wurde Hollywood auf Sie aufmerksam?

Daniel Brühl Für mich war die Möglichkeit, mit Quentin Tarantino zu arbeiten, eine riesige Chance. Er hatte „Die fetten Jahre sind vorbei“ sehr gemocht; da saß er in der Jury in Cannes, als wir im Wettbewerb waren. Für „Inglourious Basterds“ hatte er mich 2009 für die spezifische Rolle gleich auf dem Schirm.

ARTE Magazin Sie spielen darin den deutschen Scharfschützen Fredrick Zoller, der sich fürs Kino interessiert … 

Daniel Brühl … den einzigen – vermeintlichen – Sympathieträger in einer Gruppe von Nazis. Wenn ich darüber nachdenke, war das der perfekte Übergang, weil er die ganze Problematik beinhaltete, die mir wichtig war: Endlich durfte ich nicht immer nur der Nette sein, sondern richtig perfide. In Deutschland hätte mir niemand diese Rolle gegeben. 

ARTE Magazin Ausgerechnet Hollywood, das für Typecasting berüchtigt ist, ermöglichte es Ihnen, ambivalente Figuren zu spielen. Warum?

Daniel Brühl Weil sie genau hinschauen! Es geht mir gar nicht so sehr darum, ob die Figur, die ich spielen soll, gut oder böse ist. Das wäre zu simpel. Aber als Darsteller macht es großen Spaß, auch mal dunklere Seiten auszuloten. Die schlummern in jedem von uns, nur hält man sie meist unter Verschluss. Das Böse fasziniert einfach.

 

Daniel Brühls Regiedebüt
Im Regiedebüt „Nebenan“ (2021) rechnet er mit seinem Image ab. Foto: Reiner Bajo/dpa/Warner

Good Bye, Lenin!

Komödie

Montag, 20.2. — 20.15 Uhr
bis 21.3. in der Mediathek

ARTE Magazin Inzwischen haben Sie selbst Regie geführt. „Nebenan“ (2021) zeigt, wie schon „Good Bye, Lenin!“, die Kluft zwischen Ost- und Westdeutschen. Beschäftigt Sie die Thematik also bis heute? 

Daniel Brühl Ich weiß nicht, ob das ohne „Good Bye, Lenin!“ so passiert wäre. Während der Drehzeit für den Film in Berlin habe ich mich in diese Stadt verliebt. Ich habe meine Sachen gepackt und bin umgezogen. Seitdem interessiere ich mich sehr für den Osten der Stadt und für meine Nachbarschaft. 

ARTE Magazin Sie spielen in „Nebenan“ auch die Hauptrolle, den Schauspieler Daniel, der mehrere Sprachen spricht und in einer schicken Berliner Dachgeschoss-Wohnung lebt. Alles nah dran an Ihrem Privatleben. Was war der Reiz an diesem Spiel mit Wahrheit und Fiktion?

Daniel Brühl Mich hat ein Duell zwischen zwei Männern gereizt, die aus unterschiedlichen Realitäten und Schichten kommen, aber im selben Haus in einer Großstadt wohnen. Und ich dachte: Warum lasse ich nicht selbst die Hosen runter? Ich bin doch das Paradebeispiel eines Zugezogenen. Dann fing das an, richtig Spaß zu machen. Als meine Frau den Film sah, fand sie meine Figur unerträglich. Ich habe das als Kompliment genommen – sonst wäre sie ja nicht mehr mit mir zusammen. 

ARTE Magazin War das ein Risiko? Das deutsche Publikum liebt Sie schließlich als netten, bodenständigen Helden.

Daniel Brühl Ja klar. Das ist eine schön böse Komödie, zum Glück wurde sie von den allermeisten richtig gesehen – auch von meiner ostdeutschen Nachbarschaft. 

ARTE Magazin Der Schriftsteller Daniel Kehlmann hat Ihnen die Rolle buchstäblich auf den Leib geschrieben. Wie lief die Zusammenarbeit? 

Daniel Brühl Erst hatte ich den vermessenen Wunsch, das Drehbuch selbst zu verfassen – bis ich merkte, dass ich nicht schreiben kann. Kehlmann ist brillant. Wir trafen uns zum Kaffee. Bei etwas so Persönlichem, von dem man hofft, dass es ankommt, macht man sich ja sehr angreifbar. Hätte er mir das um die Ohren gehauen, hätte mich das geschmerzt. Er meinte schnell, das sei komplett sein Ding. Beim Schreiben hat er immer wieder gefragt: Wird das nicht zu peinlich? Ich fand aber, das muss wehtun. 

Das Böse fasziniert. Es schlummert in jedem von uns

Daniel Brühl, Schauspieler

ARTE Magazin Hat man als Regisseur mehr Autonomie?

Daniel Brühl Projekte proaktiv in die Hand zu nehmen, erfüllt mich, auch als Produzent. So schön mein Leben als Schauspieler ist – immer nur aufs klingelnde Telefon zu warten, ist furchtbar.

ARTE Magazin Sie sprechen Deutsch, Spanisch, Englisch und Französisch. Können Sie in jeder Sprache gleich gut spielen?

Daniel Brühl Französisch fällt mir nicht ganz so leicht wie Spanisch oder Deutsch. Im Englischen fühle ich mich inzwischen sehr wohl. Allerdings war ich vor Kurzem bei einer Drehbuchlesung in London – da ging mir schon die Pumpe, weil dort alle Kollegen einfach zum Schreien komisch sind.

ARTE Magazin Sie standen mehrfach für die amerikanische Superhelden-Saga aus dem Marvel-Universum vor der Kamera. Wie fühlt es sich an, dieses Archetypische, Große zu spielen?

Daniel Brühl Das mit Würde zu füllen, ist gar nicht so einfach. Es reicht nicht, jemanden in ein Kostüm zu stecken. Man muss für sich den richtigen Ton finden – wenn man das nicht ernst nimmt, funktioniert das nicht. Deshalb braucht es wahnsinnig gute Schauspieler, wie Robert Downey Jr. oder Scarlett Johansson.

ARTE Magazin Spüren Sie, wenn Sie eine Figur erfasst haben?

Daniel Brühl Das ist immer unterschiedlich. Mein Werdegang war ja etwas anders – bei mir begann es hauptsächlich mit dem Hörspiel. Also ging es immer über die Stimme, das hat sich bis heute gehalten. Was mir Halt gibt und wo der Rest sich dann herausschält, ist, wenn ich die Sprache der Figur gefunden habe.

ARTE Magazin Als erfolgreicher Schauspieler erhält man sicher viel Bestätigung. Kann es auch zu viel davon geben?

Daniel Brühl Da muss man auf der Hut sein. Man darf sich weder Lob noch Kritik zu sehr zu Herzen nehmen, die permanente Beurteilung hält man sonst nicht durch. Es wundert mich nicht, dass viele Kollegen bei Drogen oder in Depressionen landen. Durch die sozialen Medien wird es nicht besser. Um sich da wieder auszutarieren, hilft eine gesunde Familie.

ARTE Magazin Also ertappen Sie sich nicht dabei, im Alltag die Figur „erfolgreicher Schauspieler Daniel Brühl“ zu performen?

Daniel Brühl Bestimmt ist mir das ab und zu passiert, als ich jünger war – heute schreckt mich das eher ab. Eitelkeit ist aber ein spannendes Thema: Es wäre falsch, zu sagen, ich wäre nicht eitel. Alle Schauspieler sind es – in unterschiedlicher Ausprägung.

ARTE Magazin Dann hilft wahrscheinlich Selbstironie?

Daniel Brühl Das ist das Allerwichtigste. Deshalb bin ich immer auf der Suche nach Komödien – das ist vielleicht das Genre, das mich am meisten reizt.