Er ist auf der Flucht, kommt aber nicht schnell genug voran. Schwerfällig galoppiert der Afrikanische Büffel durch die Savanne, umgeben von hungrigen Löwinnen, die sich gefährlich nähern. Die scharfen Zähne mehrerer wendiger Raubkatzen versus 900 Kilogramm Büffelmasse samt spitzen Hörnern. Lassen sich die Löwinnen abschütteln? Szenenwechsel. Ein reißender Fluss, durch das ein Zebra schwimmen muss. Es verliert den Halt, wird abgetrieben. Neben den Mäulern der Krokodile droht ihm nun noch das Ertrinken. Ein Zebrahengst am Ufer trabt panisch auf und ab, kann nicht helfen.
Der wahre Krimi steht nicht im Drehbuch – er spielt sich im Leben ab, ständig. Vor allem in den Weiten der unberührten Natur: Wie in der Serengeti im Osten Afrikas, wo sich zwischen Leoparden, Giraffen, Krokodilen und Elefanten der ursprüngliche Charakter des Kontinents bis heute erhalten hat. Hier drehte der britische Dokumentarfilmer John Downer die Reihe „Serengeti“, die ARTE im April ausstrahlt – und kommt den Tieren der Savanne beeindruckend nah.
Der studierte Zoologe hat zahlreiche Naturfilme produziert, unter anderem die BBC-Dokumentarfilmreihe „Spione im Tierreich“ (2017), für die er mit Kameras ausgestattete Tierroboter, sogenannte Animatronics, verwendete. Bereits im Jahr 2000 kamen in seinem Film „Lions: Spy in the Den“ als Felsblock getarnte Kameras zum Einsatz, später baute er Tier-Attrappen nach. Der 71-Jährige gilt als Begründer dieser sogenannten Spy-Technik. Deren Ziel: Tiere in ihrer natürlichen Umgebung zu beobachten, ohne sie zu stören. In der mehrfach ausgezeichneten BBC-Miniserie „Pinguine hautnah“ (2013) setzte Downer 50 seiner Spy-Kameras ein. In manchen Szenen sind sie sogar auf dem Bildschirm zu sehen – etwa der auf dem Bauch liegende Pinguinroboter, der von den Tieren erst skeptisch beäugt und kurze Zeit später akzeptiert wird.
Auch für „Serengeti“, gedreht zwischen 2019 und 2021, nutzte Downer ausgefeilte Methoden: „Um in die Welt der Tiere einzutauchen, haben wir neben modernster Spy-Technik auch stabilisierte Kamerasysteme der neuesten Generation und Drohnen eingesetzt“, sagt der Regisseur. „So konnten unsere Filmteams eine Vielzahl ferngesteuerter Kameras ins Feld schicken und sicherstellen, dass wir jeden erdenklichen Blickwinkel einfangen.“ Auf diese Weise wurde das Filmteam oft unsichtbar – und die Tiere gingen ungestört ihrem gewohnten Alltag nach.
Dennoch ist „Serengeti“ keine lose aneinandergereihte Sammlung faszinierender Bilder. Vielmehr entsteht eine Geschichte, mit deren tierischen Protagonisten man zu Hause vor dem Bildschirm mitfiebert. Inwieweit lassen sich Tierfilme vorab planen? Gibt es ein Drehbuch? Und wenn ja, wie nah kann es an den letztlich gefilmten Aufnahmen sein? „Bevor wir mit dem Filmen beginnen, erstellen wir einen Plan. Dieser orientiert sich an dem bekannten Verhalten der Tiere und den Ereignissen, die sich natürlicherweise während der Drehzeit abspielen“, sagt Downer. Während der Aufnahmen werde der Plan laufend angepasst, etwa wenn die Filmteams neben dem erwartbaren Verhalten auch überraschende Elemente beobachten. „Sobald die unerwarteten Momente die erwarteten übertreffen, fangen die Tiere an, ihr eigenes Drehbuch zu schreiben. Unser Job ist es dann, ihre verschiedenen Geschichten in einer stimmigen Erzählung zu vereinen, welches das Drama ihres Alltags und das damit verbundene Wesen ihrer Beziehungen zeigt.“
Seltenes Naturschauspiel der Serengeti
Während der Produktion von „Serengeti“ kam es zu einer besonders überraschenden Begebenheit: Ein Wetterphänomen sorgte 2019/2020 für deutlich stärkeren Niederschlag, heftige Überschwemmungen in der Savanne waren die Folge. In derselben Zeit wurde Australien von extremer Dürre und großflächigen Buschbränden heimgesucht. „Die Überschwemmungen beim Dreh in der Serengeti waren ein sehr seltenes Schauspiel. Durch den menschengemachten Klimawandel werden solche Extreme aber immer häufiger eintreten“, betont Downer.
„Unsere Autos blieben im Matsch stecken, durch die Feuchtigkeit streikte das Kamera-Equipment, und binnen kurzer Zeit waren Straßen und Brücken davongespült“, erinnert sich der Filmemacher. Trotz der extremen Wetterbedingungen gelang es der Crew, zu filmen. Und fing so einzigartige Bilder ein: von Tieren, die mit heftigen Überschwemmungen zu kämpfen haben und sich in neuen Lebenssituationen bewähren müssen. Ein dramatisches Zeitzeugnis – und damit ein Krimi, fesselnd und authentisch zugleich.