Lieben die Schwulen deshalb so die Oper, weil sie auf rauschende Roben stehen, extravertiert sind und auch im täglichen Leben gern für sich den großen Auftritt reservieren? Achtung: Klischeefalle! Um nicht reinzutappen, sollte man hierzu vielleicht eine Sängerin befragen. In Rosa von Praunheims Doku „Operndiven – Operntunten“, die ARTE im April zeigt, äußert sich Edda Moser dazu, eine der größten Mozart-Sopranistinnen des 20. Jahrhunderts. Sie erzählt erst anschaulich von den vielen treuen, schwulen Fans, die sie in aller Welt besaß und noch immer besitzt, um dann direkt auf die Frage zu antworten: „Homosexuelle haben einfach einen Bezug zu Drama, Pathos und Tragödie, der Otto Normalverbraucher schlichtweg abgeht.“
Man könnte auch sagen: Der gewöhnliche heterosexuelle Mann hat anderes zu tun, als sich mit koloraturgesättigten Wahnsinnsarien oder traurigen Liebestoden abzugeben. Er ist im Zweifel stark eingebunden in ein Korsett aus gesellschaftlichen Normen und Verpflichtungen, die der schwule Mann – zumindest meiner Generation – in diesem Ausmaß gar nicht kennt.
Zum „Triumph des Paria“, wie der französische Schriftsteller Dominique Fernandez einen seiner Schwulenromane überschrieb, hat es von jeher gehört, dass er zwar seit Jahrhunderten mal mehr, mal weniger ausgegrenzt, gedemütigt, stigmatisiert wird, aber sich in seiner Nische, wenn er’s geschickt anstellt, Freiräume zu erkämpfen imstande ist, von denen ein Heteromann nur träumen kann. Dazu gehört nicht nur die unkomplizierte promiske Sexualität, sondern auch die Tatsache, dass er nicht „männlich“ rüberkommen muss. Zumindest einem geouteten Schwulen nimmt kein Mensch übel, wenn er sich verspielt und manieriert, extravagant und snobistisch, elitär und effeminiert gibt. Im Gegenteil: Auf diese Weise konkurriert er nicht mit dem „Normalmann“ um die Frauen, ist gewissermaßen erotisch neutralisiert. Je mehr sich ein schwuler Mann als „künstlich“ inszeniert, umso lieber hat ihn die heterosexuelle Mehrheitsgesellschaft.
Ästhetische Überhöhung – gegen den Frust
„Künstlich“ ist das Stichwort. Denn von allen Kunstformen ist sicherlich die Oper am künstlichsten. Sie will die Wirklichkeit nicht nachahmen. Sie will ihr vielmehr ein Paralleluniversum gegenüberstellen, in dem Menschen, anstatt miteinander zu sprechen, sich gegenseitig ansingen. Und oft genug dabei ein „Kraftwerk der Gefühle“ (Werner Schroeter) entfesseln, für das im wirklichen Leben nie und nimmer Platz wäre. Damit steht die Oper Rausch und Entgrenzung näher als jener
Welt der Bildung oder bürgerlichen Respektabilität, in welche sich zum Beispiel literarische Interessen so gut integrieren lassen.
Natürlich gibt es auch viele Menschen, die aus Gründen des Distinktionsgewinns in die Oper gehen. Aber wenn sie ehrlich sind, empfinden sie eine fünfstündige Oper von Richard Wagner oder Richard Strauss als langweilige Zumutung, unterbrochen, wenn’s hochkommt, von ein paar schönen Stellen, die man mitsummen kann. Für den echten Opernfan, die echte Operntunte, kann eine Oper hingegen gar nicht lang genug sein, denn er oder sie will ja bis zur Selbstauslöschung eintauchen in die Musik, will „unbewusst höchste Lust“ genießen, wie es am Schluss von Richard Wagners „Tristan und Isolde“ so treffend heißt.