Nur ein Schritt in das Berliner Atelier von Nik Nowak – schon steht man im Chaos. Mannshohe Musikanlagen wie der von ihm kreierte weiße Panzer mit eingebauten Boxen, dazu Zeichnungen, Modelle, Schallschutzplatten an den Wänden. Mittendrin Nik Nowak selbst, der sich für das kreative Durcheinander entschuldigt. Ein rot-grünes Plakat mit koreanischen Schriftzeichen springt ins Auge – ein Überbleibsel von dem vielleicht ungewöhnlichsten Projekt seiner Karriere, von dem Nowak heute erzählt: Zusammen mit anderen Künstlern reiste der Berliner 2017 für einen kreativen Austausch nach Pjöngjang. Ein einmaliges Erlebnis, festgehalten in der Dokumentation „Nordkorea – Kunst im Schatten der Bombe“, die im August auf ARTE läuft.
Zehn Tage verbrachten die Kreativen – darunter Teilnehmer aus Dänemark, Frankreich, Irland und China – in der nordkoreanischen Hauptstadt. Der Norweger Morten Traavik hatte das Projekt ins Leben gerufen und die Künstler für das Symposium „Demilitarized Zone Akademie“ mit Studierenden der Universität der Schönen Künste Pjöngjang zusammengebracht. Ein problematisches Vorhaben: Niemand durfte die Gruppe verlassen, die meisten geplanten Veranstaltungen fanden nicht statt. „Man war so abhängig vom Wohlwollen seiner Aufpasser. Das hat das Stresslevel total ausgereizt“, erzählt Nowak.
Seit 15 Jahren beschäftigt sich der Klangkünstler mit Nordkorea, seine Schwerpunkte sind Propaganda und Musik als Waffe. Für Nordkorea entwickelte der 38-Jährige die „Symphonie der Stille“: Zwei Propaganda-Lautsprecherwagen sollten sich an der Demarkationslinie zwischen Nord- und Südkorea gegenüberstehen. Beide würden einen identischen, aber phaseninvertierten Sound erzeugen, sodass sich die Klangwellen aufheben. Das Ergebnis: Stille. „Ich dachte, ich könne erst mal das Unmögliche denken, um in den Dialog zu treten. Denn um diesen Austausch ging es ja.“ Doch künstlerische Freiheit gilt in Nordkorea als hochgradig staatsgefährdend und so lehnte der sogenannte Ausschuss für kulturelle Beziehungen das Vorhaben ab. Vorgeschlagen wurde stattdessen eine „Vereinigung mit einer Stimme“, bei der die Lautsprecher nur nordkoreanische Klänge spielen sollten. Was blieb, ist das Plakat mit Schriftzeichen, das Nowak malte.
Vielsagende Anekdoten über eine Begegnung frei von Dialog. Nicht alles kommt in der Doku vor, auch wenn die Stimmung darin insgesamt gut abgebildet sei, wie Nowak meint. „Was man nicht sieht, ist etwa, wie wir nonstop mit nordkoreanischer Kunst überfrachtet wurden und wie oft wir in Propagandamuseen waren. Immer ging es um den Führerkult und explizite Angriffe auf die USA.“ Plakate mit den Vereinigten Staaten, getroffen von der Atombombe, das Pentagon im Fadenkreuz. „Das war so vehement und aggressiv, so häufig hätte man es im Film gar nicht zeigen können.“
„Neugier ist gefährlich“
Auch Gespräche am Rande konnte die Kamera nicht immer einfangen, etwa mit einem Einheimischen über Massenveranstaltungen in der Nazizeit und kollektive emotionale Erfahrungen. „Solche Momente haben zu Reflexionen geführt, aber auch dazu, dass viele am nächsten Tag auf Distanz gegangen sind“, so Nowak. „Wie das Regime sich zwischen die Menschen drängt, war stark zu spüren.“
Kann Kunst in einem totalitären System überhaupt funktionieren? Nik Nowak zögert. Er spricht von den Künstlern, denen sie begegnet sind, die akribisch Tiger von Vorlagen abmalten. „Kreativität verstehe ich als Herstellung von Neuem. Experimentieren, Spielen. Aspekte, die in der nordkoreanischen Kultur keine Rolle spielen. Das Ungewisse, die Intuition, das Risiko, das fehlt dort. Neugier ist untugendhaft. Und sogar gefährlich“, so Nowak. Gefährlich wurde es für die Künstlerdelegation indes an anderer Stelle: Als die Regierung von Kim Jong-un den Test einer Wasserstoffbombe verkündete, saßen Nowak und seine Kollegen fest. Jeder versuchte, seine Botschaft zu kontaktieren, niemand konnte die Situation abschätzen. „Wir bekamen mit, dass die Amerikaner ihre Touristen schon Tage vorher aus dem Land geholt hatten“, erinnert sich Nowak. „Da malt man sich das Schlimmste aus.“
Die Lage blieb angespannt, aber ruhig. Spätestens mit dem Atombombentest kamen alle am nervlichen Limit an. „Ich wollte nur weg. Als ich in China ankam, dachte ich: endlich in der freien Welt! Dabei geht die Regierung dort ja ebenso gegen ihre Leute vor, aber es ist nicht so stark spürbar“, so der Berliner. „Die Abgeschirmtheit in Nordkorea war bedrückend. Das Gefühl, dass man die, die man liebt, nicht anrufen kann. Und man ständig fragen muss: Dürfen wir, können wir?“
In seinem lichtdurchfluteten Atelier denkt Nowak darüber nach, ob er ein solches Projekt wiederholen würde. Er lässt den Blick durch den Raum schweifen, schaut kurz auf das rot-grüne Plakat – und nickt. „Als Künstler waren wir wie freie Fehler im System unterwegs. Trotz der Einschränkungen konnten wir im Verhältnis zu Touristen etwas ausprobieren. Die vielen Situationen dort hätte man ohne uns als Spiegel dokumentarisch nie abbilden können.“