Eine Französin erklärt Deutschland

Die Schriftstellerin Germaine de Staël ist die wohl bedeutendste Brückenbauerin zwischen Deutschen und Franzosen. Ihr Beispiel zeigt, wie wichtig Kultur für die Annäherung der Nachbarländer ist.

Porträt von Mme de Stael
Zum 20. Sendejubiläum widmet sich „Karambolage“ einer beispiellosen Grenzgängerin der deutsch-französischen Kultur: der Schriftstellerin Germaine de Staël. Als frühe Feministin nahm sie es sogar mit Napoleon auf und begeisterte Literaten ihrer Zeit, darunter Johann Wolfgang von Goethe. Foto: Darchivio / picture alliance / opale photo

Das, was sonst enorme politische Anstrengungen kostet, gelang der Französin mit den dunklen Locken allein unter Einsatz ihrer literarischen Fähigkeiten: Mit dem 1813 veröffentlichten Buch „Über Deutschland“ („De l’Allemagne“) schlug die Schriftstellerin Germaine de Staël (1766–1817) eine unverhoffte Brücke zwischen Deutschen und Franzosen. Plötzlich interessierten sich die Nachbarn begeistert füreinander und hatten einen gemeinsamen kulturellen Nenner.

Literatur und Kultur sind wirkmächtige Treiber im interkulturellen Austausch. Vieles, was wir über andere Nationen zu wissen glauben, entstammt Erzählungen oder Bildern. So entstehen Stereotype, werden aber genauso wieder zerschlagen und als solche entlarvt. „Literatur kann die Sichtweise auf andere Länder sehr stark vereinfachen. Die Literatur, die das Gegenteil tut, also Verständnis weckt für andere Länder, sie in ihrer Vielschichtigkeit und in Bezug auf ihre Menschen abbildet, kann aber vermitteln und neuen Austausch anregen“, sagt Literaturwissenschaftlerin Sandra ­Richter, die das Deutsche Literaturarchiv Marbach leitet, im Gespräch mit dem ARTE Magazin. Ein solches Momentum des internationalen Dialogs erzeugte die Französin ­Germaine de Staël. Mit ihrem Buch „Über Deutschland“ gelang es ihr, im französischen Nachbarland ein neues Deutschlandbild zu erschaffen. Die Veröffentlichung löste im napoleonischen Frankreich eine regelrechte Deutschland-Manie aus. ARTE widmet dem Leben der Madame de Staël genannten Schriftstellerin als kritische Vordenkerin und liberale Frau im März zwei „Karambolage“-Sendungen.

Ausgangspunkt ihres in zahlreiche Sprachen übersetzten Buchs waren die Reisen nach Deutschland, die Staël zwischen 1803 und 1808 unternommen hatte. Dort traf sie bedeutende Literaten der Aufklärung und Klassik wie ­Christoph ­Martin ­Wieland, ­Johann ­Gottfried ­Herder, ­Friedrich ­Schlegel, ­Friedrich ­Schiller und ­Johann ­Wolfgang von ­Goethe. Auf 800 Seiten hielt sie ihre Eindrücke fest, beschrieb Klima, Sitten und Feste – und zeichnete ein facettenreiches, aber natürlich höchst subjektives Porträt der Deutschen. Indem sie zahlreiche Werke analysierte und die deutsche Sprache und Kunst lobte, machte sie den Mythos von Deutschland als Land der „Dichter und Denker“ populär. Dabei fielen ihre Beschreibungen keinesfalls rein positiv aus: Ihrer Ansicht nach fehlte es den Deutschen ihrer Zeit unter anderem an einem Gespür für die Kunst der Konversation. Außerdem bezeichnete sie sie als gemütlich und politisch rückständig.

ZIVILISATORISCHE ABSICHTEN

Dennoch initiierte Madame de Staël einen Dialog zwischen den Nationen: Werke Schillers und Goethes wurden ins Französische übersetzt, der deutsche Romantiker E. T. A. ­Hoffmann avancierte zum französischen Star, Weimar galt plötzlich als Treffpunkt der Weltliteratur. ­Goethe lobte de Staëls Buch dann auch als „mächtiges Rüstzeug, das in die chinesische Mauer antiquierter Vorurteile, die uns von Frankreich trennte, sogleich eine breite Lücke durchbrach“. Verfasst worden war „Über Deutschland“ zu der Zeit, in der ­Napoleon seine imperiale Herrschaft über Europa ausdehnte: Während der Kaiser Krieg gegen die Deutschen führte, beschrieb ­de Staël detailreich deren Lebensart – das barg Zündstoff. „Über Deutschland“ durfte in Frankreich zunächst nicht veröffentlicht werden.

Unbeirrt davon brachte de Staël in ihrem Salon im schweizerischen Coppet Intellektuelle aus vielen europäischen Ländern zusammen. Sie wollte ihren Zeitgenossen die Vielfalt der europäischen Kulturen im gegenseitigen Respekt nahebringen. Sandra ­Richter betont im Gespräch: „­Madame de Staël hatte zivilisatorische Absichten. So wie im Römischen Reich einst Tacitus über Deutschland als Vorbild und Negativbild schrieb, wollte sie so etwas auch für die Franzosen schaffen. ,De ­l’Allemagne‘ ist ein Appell an das eigene Land, in die Breite zu schauen.“ Vergleichbare Werke wären im heutigen Europa ebenfalls dringend notwendig, so die Literaturwissenschaftlerin. „In Zeiten polarisierter Staaten können Kunst und Kultur einen gemeinsamen Verständigungsraum abseits vom Politischen oder Nationalen schaffen.“

Als Grenzgängerin zwischen den Kulturen war Germaine de Staël stets hellhörig für die Literatur anderer Nationen und glaubte trotz Differenzen an den internationalen Dialog. Ihr Buch ebnete genau deshalb einer neuen gesamteuropäischen Bewegung den Weg, die das 19. Jahrhundert prägen sollte: der Romantik. 

Zur Info: Deutsch-französischer Dialog

Die ARTE-Sendung trägt seit 2004 zum interkulturellen Austausch bei: Spielerisch und humorvoll werden dabei kleine und große Unterschiede und Eigenarten zwischen Deutschen und Franzosen erläutert.

Karambolage: Karambolage wird 20!

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Sonntag, 10.3.
— 18.25 Uhr
bis 25.12.26 in der Mediathek