»Demokratie wird im Netz entschieden«

Immer mehr Frauen erleben Gewalt im Netz – und erhalten kaum Unterstützung. Im Interview spricht die Politikerin Renate Künast als Betroffene über die Macht der Digitalkonzerne.

Illustration, Hass im Netz, Dreckshure
Illustration: Silke Werzinger

Morddrohungen und Vergewaltigungsfantasien gegen Frauen sind im Internet allgegenwärtig. Immer häufiger folgen darauf Gewalttaten. Auch ­Renate ­Künast ist von Hassnachrichten betroffen. 2019 reichte die Politikerin dagegen Klage ein – und scheiterte. Unlängst klagte sie erneut: gegen Falschaussagen bei Facebook.

arte magazin Frau Künast, als Politikerin sind Sie harte Meinungsäußerungen gewöhnt. Was hat Sie dazu bewegt, gegen Hasskommentare im Netz zu klagen?
Renate Künast  Manche meinen, es handele sich dabei nicht um Beleidigungen, man müsse das aushalten. Ich bin überzeugt, dass diese Äußerungen – und das rechtsextreme Netzwerk, das oft dahintersteckt – bekämpft werden müssen. Dazu gehört, straf- und zivil­rechtlich eine rote Linie zu ziehen. Strafprozesse sind notwendig, damit die Vorfälle in den Kriminalstatistiken auftauchen. Nur so erfahren die Institutionen, dass es sich nicht um vereinzelte Fälle handelt – sondern um eine Bewegung mit einer ziemlichen Wucht.

arte magazin Was ist das Ziel der Täter?
Renate Künast  Die Täter sind rassistisch, homophob, antisemitisch, islamophob und frauenfeindlich. Ihr Ziel ist Zersetzung. Sie wollen demokratische Prozesse unterbinden. Dabei suchen sie vermehrt den Kampf gegen einzelne Menschen. Und zwar, indem Verleumdung, Fake-Zitate, Beleidigungen orchestriert werden – insbesondere gegen Frauen. Sie bedrohen ihre Familien oder fantasieren über sexualisierte Gewalt.

arte magazin  Welche Gefahren sehen Sie, wenn der Hass im Netz unbestraft bleibt und verharmlost wird?
Renate Künast  Die digitale und die analoge Welt sind nicht mehr voneinander zu trennen. Filterblasen und Echokammern heizen die Täter im Netz an. Die Algorithmen der Anbieter unterstützen diesen Prozess. Wer stundenlang im Internet infiltriert wird, meint am Ende Recht zu haben – und besorgt sich eine Waffe. Auf Worte, die im digitalen Raum geäußert werden, folgen analoge Straftaten gegen Leib und Leben. Die Zukunft der Demokratie wird auch im Netz entschieden. Wir müssen verhindern, dass erst reale Angriffe wie in Hanau zum Handeln anregen. Wir sind spät dran. Der Verfassungsschutz ist verpflichtet, die Entwicklungen zu benennen. Anstatt später Krokodilstränen zu weinen, muss präventiv agiert werden.

arte magazin Inwiefern spielen Digitalkonzerne eine Rolle bei der Verbreitung von Hass?
Renate Künast  Je mehr Traffic die Plattformen erzielen, desto mehr Werbeeinnahmen kassieren sie. Aufregung provoziert Interaktion. Bei Twitter oder Facebook werden die Inhalte nicht hinterfragt. Damit werden die Konzerne zu einem Marktplatz für strukturelle frauenfeindliche und rechtsextreme Kommunikation.

arte magazin Welche konkreten Maßnahmen sind notwendig im Kampf gegen die digitale Gewalt?
Renate Künast  Wir müssen die Plattformen viel mehr in die Pflicht nehmen. Es darf keine Geschäftsmodelle geben, die demokratische Prinzipien ignorieren. Das würden wir im Analogen auch nicht dulden. Wir benötigen endlich einen europäischen Gesetzesrahmen, der gerade mit dem Digital Services Act verhandelt wird. Denn das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz reicht nicht aus. Auch das Demokratiefördergesetz muss endlich kommen. Wir brauchen eine Online-Anzeigestelle – bei einem Straftatbestand sollten Anbieter direkt darauf hinweisen, wo Anzeige erstattet werden kann. Auch in der Prävention, in der Jugendarbeit müssen wir tätig werden. Bei juristischen Verfahren sind mehr Unterstützung und ein leichterer Zugang zu Informationen erforderlich. Polizei und Staatsanwaltschaften müssen entsprechend ausgebildet sein. Die Schutzplanken, die wir im analogen Leben aufgebaut haben, müssen sinngleich in der digitalen Welt gelten.

arte magazin Warum plädieren Sie für ein Grundsatzurteil zur Verbreitung von Falschaussagen?
Renate Künast  Genau wie Hate Speech zielen Falschzitate darauf ab, Instabilität zu erzeugen. Jemand hat ein Zitat erfunden, das gegen mich eingesetzt wird. Wenn ein Post gelöscht wird, ist die Falschaussage längst gesichert und taucht woanders auf. Es soll dazu dienen, immer wieder Hate Posts gegen mich auszulösen. Ich möchte, dass Facebook dazu verpflichtet wird, nicht nur vereinzelte, sondern alle gleichartigen Desinformationen zu löschen.

arte magazin Hat sich seit der #MeToo-­Debatte bereits etwas getan?
Renate Künast   Frauen sind immer noch genauso betroffen wie zuvor, in aller Schärfe und Abwertung. Allerdings gibt es mehr Bewusstsein.

arte magazin Wie schützen Sie sich als Betroffene davor?
Renate Künast  Wichtig ist, sich mental zu schützen. Zu begreifen, dass man nicht als Person gemeint ist – sondern politische Strategien dahinter stecken. Ich kann Betroffenen nur raten: Reden Sie darüber – und holen Sie sich Hilfe!

#dreckshure

Dokumentarfilm

Mittwoch, 23.6. – 21.50 Uhr
bis 22.7. in der Mediathek