DER FALSCHE FISCH

ESSKULTUR Von der Delikatesse zum Allerweltsfisch: Aquakulturen stillen unseren Riesenhunger nach Lachs – zu Lasten der Umwelt. Was sind die Alternativen für dieses Dilemma?

Foto: secret agent mike/Getty Images

Rosig soll er aussehen, unter dem Druck der Gabel zerfallen und natürlich zart schmecken: der Lachs auf deutschen Tellern. Fast drei Kilo essen Deutsche im Jahr – mehr als jede andere Sorte Fisch. Lachs gilt als besonders gesund. Kein Wunder, wenn man sich vorstellt, wie er Fjorde durchschwimmt und wilde Flussläufe in Richtung Quelle emporspringt – die reine, kraftstrotzende Natur. Doch weit gefehlt. Ein Großteil der Lachse, die wir verzehren, wird in Gefangenschaft gezüchtet. Wie die ARTE-Dokumentation „Die Gier nach Lachs“ zeigt, verbrachten die meisten Lachse ihre Kindheit in Süßwassercontainern. Im Erwachsenenalter schwimmen sie zwar im Meer, allerdings in Netzkäfigen. Die wenigen verbliebenen Wildlachse werden geschützt und landen deshalb selten auf dem Teller. In Norwegen, dem weltweit größten Lachsexporteur, stehen inzwischen vier Millionen Zuchtlachse 530.000 Wildlachsen gegenüber. Wohin aber führt dieser künstlich genährte Fischkonsum?

Status quo: volle Käfige, leere Meere
Seit Mitte des 20. Jahrhunderts hat die industrialisierte Lachszucht – angeführt von Ländern wie Norwegen, Chile, Schottland und Japan – stark zugenommen. Wurden 1981 noch etwa 22 Tonnen Lachs in Aquakulturen gezüchtet, waren es 2014 über 2,3 Millionen Tonnen. Laut Umweltorganisationen wie Greenpeace führen die Aquakulturen zu massiven Umweltproblemen. Durch die dafür verwendeten Netzkäfiganlagen sind Küsten mit Fischfarmen zunehmend verschmutzt. Fäkalien, aber auch Futterreste und giftige Rückstände aus den Anlagen übersäuern das Meer. Noch gefährlicher sind die Zuchtlachse selbst. Immer wieder brechen Hunderte, manchmal sogar Tausende aus. In Norwegen werden sie so zur Konkurrenz für Wildlachse. Und zur Bedrohung: In der Zucht verbreitete Parasiten und Krankheiten übertragen sich. Im schlimmsten Fall paaren sich die Zuchttiere sogar mit den Wildlachsen und verunreinigen so das Genmaterial. In Chile, dem zweitgrößten Lachsproduzenten der Welt, bringen Zuchtlachse das ganze Ökosystem aus dem Gleichgewicht. Eigentlich ist Lachs auf der Südhalbkugel nicht heimisch, doch schon bei einem einzigen Unwetter im Juli 2018 entwichen fast 700.000 Fische aus einer Farm in Südchile. Sie wieder einzufangen, ist unmöglich.

Eine nachhaltige Aquakultur
Eine Lösung für die Probleme mit dem Zuchtlachs: Produktionsanlagen an Land. In ihnen ließen sich grundsätzlich „sehr gute“ Haltungsbedingungen etablieren, betont ­Florian ­Antony, Biologe am Öko-­Institut Freiburg. „Wassertemperatur und pH-Wert lassen sich beispielsweise gut kontrollieren“, sagt er. Der Nachteil: Die Anlagen sind teurer als Netzkäfige – in Bau und Betrieb. Vor allem, weil für Lachse getrennte Kreisläufe mit Süß- und Salz­wasser für Aufzucht und Mast nötig sind. ­Reinhold ­Hanel vom Thünen-­Institut für Fischereiökologie in Bremerhaven sieht deshalb nur eine Möglichkeit: „Nachhaltigkeit ist auch ökonomische Nachhaltigkeit. Deshalb müssen Umweltbelastungen durch Netzkäfige bepreist werden.“ Nur so werden Kreislaufanlagen rentabel.

Foto: DeAgostini/Getty Images

Die Gier nach Lachs

Dokumentarfilm
Dienstag, 9.6. • 20.15 Uhr
bis 8.7. in der Mediathek.

Die Rückkehr der Wildlachse
Und nur, wenn der Zuchtlachs der Natur fernbleibt, kann der Wildlachs überleben. Sein Bestand ist auch ohne die Konkurrenz aus der Zucht schon bedroht – durch Überfischung. Deutschland ist ein mahnendes Beispiel: 1967 wurde der letzte Lachs aus dem Rhein geangelt. Seit den 1980er Jahren versucht man, ihn wieder anzusiedeln. Doch das ist kompliziert: „Flüsse sind oft nicht durchgängig, weil Menschen sie verändert haben – durch Wehre zum Beispiel“, erklärt ­Antony. Sie verhindern, dass Lachse zum Laichen den Fluss hinaufschwimmen können. Es muss also auch die Umgebung renaturiert werden, damit der Lachs zurückkommen kann.

Kein Lachs – was dann?
Ob Wildlachs oder Zuchtlachs – kann man den Fisch überhaupt noch guten Gewissens verzehren? Biologe ­Antony hat eine klare Antwort: „Aus ökologischer Sicht sollten wir definitiv deutlich weniger Lachs essen.“ Alternativen gebe es zur Genüge. Karpfen oder Forellen zum Beispiel: Sie werden in Deutschland gezüchtet und sind weniger anspruchsvoll, was ­Wasser- und Nahrungs­qualität angeht. Die Berliner Autorin und Köchin ­Sophia ­Hoffmann sieht ebenfalls die Menge des Lachskonsums als Problem und plädiert für mehr Achtsamkeit: „Wenn man sich anschaut, zu welchen Preisen Lachs auf den Markt geschmissen wird, gerade in billigen Fertigprodukten – das steht in keinem Verhältnis mehr zu dem Lebewesen, das dafür sterben muss.“ Als Veganerin ist sie davon überzeugt, dass pflanzliche Alternativen in diesem Bereich sinnvoll sind – und gut schmecken: Mit Räucheraromen und Meeresalgen ließen sich aus Karotten oder roter Bete leckere Alternativen zubereiten.

Aus ökologischer Sicht sollten wir definitiv deutlich weniger Lachs essen

Florian Antony, Biologe