Kleinkariertes Hemd, schlichte Armbanduhr, Allerweltshaarschnitt – wäre der Mann mit der zierlichen Teetasse in der Hand noch Taxifahrer, niemand würde sich wundern. Doch der Schein trügt: Liu Yiqian, der in den Jahren der Kulturrevolution in ärmlichen Verhältnissen in Shanghai aufwuchs, zählt dank geschickter Investitionen in Immobilien und Pharmazeutika zu Chinas Selfmade-Milliardären. Und er hat seine ganz eigene Art von Pomp. Das Tässchen, 500 Jahre alt und aus der chinesischen Ming-Dynastie, ersteigerte er 2014 für 36 Millionen Dollar beim Auktionshaus Sotheby’s in Hongkong – bisheriger Rekord für chinesisches Porzellan. Danach nippte er, umringt von Kameras, genüsslich Tee daraus. Die Kunstwelt hielt den Atem an. Was sollte diese Dekadenz? Liu antwortete lapidar: „Der Kaiser hat doch auch daraus getrunken“ – und bezahlte gleich vor Ort. 24 Mal mussten ein Sotheby’s-Mitarbeiter Lius Kreditkarte durch das Lesegerät ziehen.
Die enorme Kaufkraft, mit der eine wachsende Zahl neureicher Chinesen wie Liu Yiqian ihrer Sammelleidenschaft frönen, hat den internationalen Kunsthandel in den vergangenen Jahren verändert. Plötzlich wandern zunehmend bedeutende chinesische Artefakte sowie Werke von Vincent van Gogh, Pablo Picasso, Francis Bacon und anderen Kunstgrößen für viele Millionen vom Westen in den Osten.
Eine Entwicklung, die sich leicht zeitversetzt zur wirtschaftlichen Öffnung Chinas in den 1990ern anbahnte. „Chinesische Sammler sind seit mindestens 15 Jahren aktiv auf dem westlichen Markt. Mittlerweile leben sie zum Teil in Europa und den USA und unterstützen die dortigen Museen. Gleichzeitig sind die wichtigen Institutionen und privaten Stiftungen in China sehr interessiert, auch westliche Künstler auszustellen. Alles ist in Bewegung und der Austausch ist groß“, sagt Monika Sprüth, eine der international bedeutendsten Galeristinnen. Ihre Galerie Sprüth Magers unterhält Niederlassungen in Berlin, London und Los Angeles sowie ein Büro in Hongkong. „Bezogen auf westliche Kunst haben chinesische Sammler zunächst vor allem ,abgesichert‘ gekauft, also Werke von etablierten Künstlern“, sagt Sprüth. „Durch die Globalisierung entwickelt sich auch in China eine jüngere Sammlergeneration, die stark am kulturellen Austausch teilnimmt. Das heißt, es werden nicht nur klassische Medien wie Malerei und Skulptur für Sammlungen in Erwägung gezogen, sondern auch Techniken mit konzeptuellem Kunstansatz wie Fotografie und Film.“
Laut eines Reports der European Fine Art Fair in Maastricht umfasst der chinesische Kunstmarkt aktuell mehr als 20 große Kunstmessen, fast 1.500 Privatmuseen und gut 4.000 Kunstgalerien. Immer mehr westliche Galerien bauen inzwischen Dependancen in China auf. Und auch die Art Basel, die wichtigste Kunstmesse der Welt, hat bereits seit 2013 einen Standort in Hongkong. Als Iwan Wirth von der Züricher Galerie Hauser & Wirth dort für die ARTE-Doku „Die Supersammler“ interviewt wird, schwärmt er: „China hat einen unglaublichen Aufholbedarf. Hier herrscht eine fantastische, hungrige Atmosphäre mit großer Neugierde.“
Chinas Staatsführung unterstützt den Kunstboom
Um beim Geschäft mit Sammlern aus China erfolgreich zu sein, müssen sich Galerien laut Monika Sprüth darauf einstellen, dass die dortige Museumslandschaft nach einem anderen System funktioniert. „In Europa werden Museen zum größten Teil durch die öffentliche Hand finanziert, in den USA läuft die Finanzierung über private Förderer, die Trustees“, sagt Sprüth. „In China haben wir mehr Erfahrung mit privat geführten Museen, die keinerlei Förderung erhalten. Es ist toll, dass Sammler dort interessante Ausstellungen ermöglichen, die inhaltlich ganz anders sein können als Ausstellungen von staatlichen Museen.“
Dass Chinas Staatsführung das Potenzial des Kunstbooms für die eigenen Zwecke erkannt hat, signalisierte Staatschef Xi Jinping unlängst persönlich. Er ließ im Parteiprogramm festhalten: Nicht allein auf der erstarkenden Wirtschaft solle das Volk seine Identität begründen, sondern auch auf der jahrtausendealten Kultur Chinas. Beim Bau neuer Museen durch Medienmogule, Unternehmer und Investoren unterstützt der Staat diese etwa durch die Vergabe von günstigen Grundstücken. Das Credo dabei: je größer, desto besser. Auch Teetassen-Liebhaber Liu Yiqian nennt drei Museen mit jeweils mehr als 10.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche sein Eigen. Neben traditioneller und zeitgenössischer chinesischer Kunst findet man dort Ausgewähltes aus dem Westen. Darunter: der „Liegende Akt“ von Amedeo Modigliani. Seit Liu das Werk für 170,4 Millionen Dollar ersteigert hat, gilt es als zweitteuerstes Gemälde der Welt.
Chinas jüngere Sammlergeneration nimmt stark am kulturellen Austausch teil.