Zur Verabredung in seinem Lieblingscafé im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg kommt August Diehl mit dem Fahrrad. Er bestellt einen Cappuccino, raucht eine Zigarette. Zuletzt wurde der Schauspieler in Cannes für seine Rolle in „Ein verborgenes Leben“ gefeiert, dem neuen Film von US-Regisseur Terrence Malick. In den Sphären von Hollywood ist Diehl schon seit gut einem Jahrzehnt unterwegs. Man denke nur an „Inglourious Basterds“ (2009) von Quentin Tarantino. Auf ARTE ist der 43-Jährige nun in der Serie „Die Neue Zeit“ von Lars Kraume als Bauhaus-Gründer Walter Gropius zu sehen. Dieser komme „nicht nur gut weg“, so Diehl. Denn: Trotz moderner Visionen sei er ein ambivalenter Charakter gewesen.
Herr Diehl, haben Sie eigentlich Bauhaus-Möbel zu Hause?
August Diehl: Leider nein. Aber der Stil gefällt mir sehr gut – Marcel Breuers frei schwingende Stühle zum Beispiel. Aber auch ganz kleine Sachen wie Kannen und Besteck. Das sind fabelhafte Designs.
Die meisten davon sind in Dessau entstanden. „Die Neue Zeit“ aber beleuchtet die Anfänge der Bauhaus-Schule in Weimar von 1919 bis zum Umzug nach Dessau 1925. Was ist an dieser Periode so interessant?
August Diehl: Von den ersten Bauhaus-Jahren in Weimar weiß man weitaus weniger als von den späteren in Dessau. Dabei ist ja das gesamte Konzept der Hochschule, nämlich Kunst und Handwerk zusammenzubringen, dort entstanden. Die Idee, anders zu bauen und eine neue Art der Architektur zu entwickeln, kristallisierte sich als Folge des Ersten Weltkriegs heraus. Dazu zählte in der Architektur die Abschaffung der Antike, Monumentales wurde weggelassen und dafür durch Praktisches ersetzt. Das hatte zu Beginn auch ganz stark esoterische Züge. Architekten sollten zum Beispiel durch Räume tanzen, um Diagonalen zu fühlen. Die Menschen wollten sich neu erfinden.
Dagegen gab es auch Widerstände.
August Diehl: Die gibt es ja immer. Menschen, die nicht wollen, dass sich Dinge ändern. Weimar ist eine sehr kleine Stadt, in der damals das altansässige Bürgertum das Sagen hatte. Und dann kam auf einmal diese Schule, deren Studenten nackt in der Ilm badeten und laute Partys feierten. Die Stadt muss wirklich Kopf gestanden haben.
Was hat Sie daran gereizt, den Bauhaus-Gründer Walter Gropius zu spielen?
August Diehl: Gropius war ein Visionär. Er konnte nicht einmal zeichnen und wurde dennoch zu einem der erfolgreichsten Architekten seiner Zeit. Es heißt, er habe sich durch nichts von seinem Weg abbringen lassen. Nicht einmal von seiner Frau Alma Mahler, die mit vielen wichtigen Männern ihrer Zeit liiert war. Jeden einzelnen soll sie beeinflusst und geprägt haben. Jeden, außer Walter Gropius. Ich finde, das sagt sehr viel über ihn aus. Und das fand ich interessant.
Obwohl Sie in einem Interview einmal sagten, Sie fänden es „bescheuert, wenn jemand jemanden nachspielt“?
August Diehl: Das habe ich gesagt? Nein, ich finde nur die reine Nachahmung einer realen Person nicht sonderlich aufregend. Bei diesen Rollen geht es für mich darum, wie ich mich selbst einbringen kann. Die Charaktere sind schließlich fiktiv und nicht dokumentarisch. Aber natürlich hat man auch eine große Verantwortung, wenn die Figur tatsächlich existiert hat.
Die Serie thematisiert den Vorwurf, Gropius hätte Frauen am Bauhaus unterdrückt. Was steckt dahinter?
August Diehl: Walter Gropius hatte viele Kämpfe mit dem Weimarer Bürgertum auszufechten. Es war ihm zunächst ganz egal, woher seine Studenten kamen, welcher Religion sie angehörten oder welches Geschlecht sie hatten. Es ging ihm primär um die Kunst. Doch er musste sich sehr bald sehr vielen Kompromissen beugen, weil ihm sonst der Etat gekürzt worden wäre. Und so setzte er die Frauen an den Webstuhl; sie strickten und häkelten, während die Männer mit Eisen oder Glas arbeiten durften. Für damalige Verhältnisse war das ja sogar normal.
Viele der Frauen haben dennoch rebelliert.
August Diehl: Ebendieser feministische Kontext ist so spannend: Das 20. Jahrhundert wacht plötzlich auf – mit Forderungen nach Emanzipation und Gleichberechtigung – und stellt sich gegen das vergangene 19. Jahrhundert. Und Walter Gropius steht irgendwo dazwischen. Für mich war er ein Mann des 19. Jahrhunderts, der zwar fortschrittliche Visionen hatte, aber zugleich in alten Konventionen feststeckte.
Der rote Faden der Serie ist eine umstrittene Affäre zwischen Walter Gropius und seiner Studentin Dörte Helm, die damals von einem Ehrengericht untersucht wurde. Der Vorwurf: Machtmissbrauch eines Lehrers gegenüber seiner Studentin. Im Hinblick auf die Persönlichkeitsrechte der Frau wirkt das recht progressiv.
August Diehl: Es stimmt, aus heutiger Sicht könnte man dahinter eine #MeToo-Geschichte vermuten, allerdings ging es glaube ich eher darum, dass viele Leute Gropius einen Strick daraus drehen wollten. In „Die Neue Zeit“ entwickelt sich eine Liebesgeschichte – zwischen einer jungen, kämpferischen Künstlerin und dem Direktor, einem Mann in einer Machtposition. Der feministische Ansatz bleibt dabei aber immer die Wirbelsäule der Erzählung.
Wenn es darum ging, von den Frauen am Bauhaus zu erzählen, hätte man das nicht auch ohne eine romantische Liaison mit einem mächtigen Mann tun können?
August Diehl: Doch, natürlich. Aber zum einen hat diese Spannung zwischen den beiden Hauptfiguren großen Unterhaltungswert. Und zum anderen würde man sich heute bestimmt nicht an Dörte Helm erinnern, wenn es Walter Gropius nicht gegeben hätte.
Auch heute sind Frauen auf dem Kunstmarkt noch eine Minderheit, die Kunstwerke von Männern sind mehr wert. Was glauben Sie, woran das liegt?
August Diehl: Frauen werden auf der ganzen Welt benachteiligt, nicht nur in der Kunstwelt. Die Emanzipation ist leider noch lange nicht abgeschlossen. Erst heute Morgen habe ich gehört, wie ein Vater seiner Tochter erklärt hat, wie viele Meter sie für ein Abzeichen schwimmen muss und wie viel weiter Jungs schwimmen müssen. Denn natürlich spielt das Körperliche eine Rolle, Männer werden erst mal als stärker wahrgenommen. Und das zieht sich dann durch alle Lebensbereiche: Männer kommen als Erste dran, verdienen mehr … Aber mal ehrlich, ich kenne Tausende Frauen, die tausendmal stärker sind als ich – auf verschiedenste Weisen.
Über die Künstlerinnen am Bauhaus – Dörte Helm, Gunta Stölzl, Alma Siedhoff-Buscher – weiß man nach wie vor nicht so viel wie von ihren männlichen Kollegen Oskar Schlemmer, Wassily Kandinsky oder Marcel Breuer. Und doch feiern wir die Kunstschule heute als modern und zeitlos. Idealisieren wir die Bewegung zu sehr?
August Diehl: Für die damalige Zeit war die Schule und alles, für das sie stand, schon sehr fortschrittlich. Gerade in Weimar waren die Studenten geradezu Punks. Man darf aber auch nicht vergessen, dass die Emanzipation erst angefangen hatte, die Rolle der Frau war noch sehr traditionell. Und unter anderem durch die Serie werfen wir jetzt etwas mehr Licht auf dieses Thema. Ansonsten frage ich mich, wie das Bauhaus in der Öffentlichkeit überhaupt wahrgenommen wird. Als wir anfingen zu drehen, dachten viele, es ginge um eine Baumarktkette …
Was Walter Gropius wohl darüber denken würde, wenn er wüsste, dass eine Baumarktkette den Namen seiner Schule trägt?
August Diehl: Das fände er wahrscheinlich gut.