Der weibliche Blick

Während die Südstaaten gegen die Nordstaaten kämpfen, bricht in einem Mädchenpensionat ein Krieg ganz eigener Art aus. Sofia Coppola zeigt ihn aus Frauenperspektive.

Die US-Regisseurin Sofia Coppola, 49, wurde bereits mit vielen internationalen Filmpreisen ausgezeichnet. Sie beschäftigt sich bevorzugt mit weiblichen Figuren und deren Perspektiven. Foto: Julien Mignot Contour Getty Images

Ein Mädchen mit einem Korb allein im Wald verheißt nichts Gutes. Das haben wir gelernt. Auch nicht im Jahr 1864, in dem ­Sofia ­Coppolas „Die Verführten“ (2017) spielt. Zu dem Zeitpunkt tobt der Amerikanische Bürgerkrieg bereits seit drei Jahren. Vor der Kulisse einer märchenhaft anmutenden Wildnis irgendwo in der Südstaaten-­Hochburg Virginia und begleitet vom sommerlichen Grillen­zirpen summt eine Kinderstimme den Song „­Lorena“, ein zur Zeit des Sezessionskriegs populäres Liebeslied.

Kaum erblicken wir als Zuschauer das Mädchen zur Stimme – die elfjährige ­Amy (­Oona ­Laurence) beim Pilzesammeln – ahnen wir, dass sie im Dickicht noch etwas anderes finden wird. Da schreckt sie auch schon zurück: Auf dem Boden liegt der schwer verletzte John ­McBurney (­Colin ­Farrell) – ein Corporal der Nordstaaten-­Armee. Nach erstem Zögern hilft sie ihm, zu ihr nach Hause zu humpeln: in Miss ­Martha ­Farnsworths (­Nicole ­Kidman) Pensionat für junge Damen.

So beginnt Coppolas starbesetztes Bürgerkriegsdrama, für das sie 2017 in Cannes den Preis für die beste Regie gewann. Es ist eine Neuverfilmung von Don ­Siegels „Die ­Betrogenen“ (1971), der wiederum auf ­Thomas P. ­Cullinans Roman „A Painted Devil“ basiert. Eigentlich hasse sie Remakes, sagte die Regisseurin in einem Interview mit Die Zeit. „Aber bei dieser Geschichte konnte ich nicht anders, als sie noch einmal auf meine Weise zu erzählen, aus einer weiblichen Perspektive.“

Zwar ignorierte ­Siegel keineswegs die Sicht der Frauen, doch bei ihm wirkt ­McBurney allein durch das demonstrativ maskuline Auftreten von Darsteller Clint ­Eastwood dominanter. ­Coppola spricht dabei von „markanter Heterosexualität“. Ihr wollte sie mit ­Colin ­Farrell eine „ambivalentere Männerfigur“ entgegensetzen, eine, die auch ihren schwulen Freunden gefiele, sagt sie. Zudem zeigt sich ihre Frauenclique geschlossener, solidarischer. So sehr, dass ­McBurney sie als „verrückte Weiber“ bezeichnet, denen er ausgeliefert sei. Eben diese eingeschworene Gemeinschaft und ihre Kommunikation untereinander sind hierbei zentral.

Die Verführten

Drama

Sonntag, 14.3. — 20.15 Uhr

Miss Farnsworth (Nicole Kidman, 2. v. r.) und ihre Schützlinge (v. l.: ­Elle ­Fanning, ­Oona ­Laurence, ­Addison ­Riecke) fürchten den „Yankee“ (­Colin ­Farrell); ­Edwina (­Kirsten Dunst, r.) jedoch liebt ihn. Foto: Ben Rothstein, Focus Features_ARTE France

Sieben Frauen, ein Haus und ein Mann
Der Gruppe gehören neben Amy die Pensionatsleiterin Miss ­Martha Farnsworth, Lehrerin ­Edwina ­Morrow (­Kirsten Dunst) sowie vier weitere Schülerinnen an. Sie alle leben auf einem Anwesen, das noch von der Pracht vergangener Zeiten zeugt. Einst war es ein Ort für Zusammenkünfte der Großgrundbesitzer und feinen Gesellschaft.

Mittlerweile bröckelt die Fassade, die Sklaven sind schon lange weg. Dennoch ist die Hausherrin bemüht, eine künstliche Idylle aufrechtzuerhalten und den Krieg auszublenden. Für ­Coppola ein Rahmen, der aus zweierlei Hinsicht interessant ist: zum einen, weil die Mädchen mit Stick-, ­Französisch- und Musik­unterricht auf ein Leben vorbereitet werden, das es für sie so nicht mehr gibt. Zum anderen, weil er die Überlebensstrategien dieser isolierten Frauen fokussiert.

Colin ­Farrell als der „Yankee“ in „Die Verführten“

Gleichzeitig handelt „Die Verführten“ vom Mysterium zwischen den Geschlechtern. Denn die Anwesenheit ­McBurneys sorgt nicht nur für Aufregung , weil er ein „Yankee“ ist, sondern auch, weil er ein Mann und damit Bedrohung sowie willkommene Abwechslung zugleich ist. Seine Ankunft versetzt die Bewohnerinnen in einen Konkurrenzkampf um seine Gunst. Der Verletzte macht mit und hofft, bleiben zu dürfen. Klar, dass das nicht gut ausgehen kann. Wer wen verführt hat, bleibt offen.

­Sofia ­Coppolas Vorliebe für den Blick weiblicher Figuren hat viel mit ihrer Biografie zu tun. Sie wuchs als Mädchen unter Jungs auf – Brüdern wie Cousins. Auch mit ihrem, wie sie ihn nennt, „lauten“ Vater, dem großen ­Francis Ford ­Coppola, der mit dem Mafia-­Epos „Der Pate“ berühmt wurde. Als Tochter wollte sie nach ersten Schauspielrollen – etwa in dessen Filmen – und vielen Verrissen ihren eigenen Weg gehen, hinter der Kamera und abseits von Action-­Stoffen. Ihr Debütwerk „The ­Virgin ­Suicides“ (1999) handelte ebenfalls von isolierten Mädchen – fünf eingesperrten Schwestern. Mittlerweile hat sie einen Oscar für „Lost in Translation“ (2004) und den Golden Löwen für „Somewhere“ (2010) gewonnen. Sie drehte „­Marie ­Antoinette“ (2006), „The Bling Ring“ (2013) und „On the Rocks“ (2020).

Für neue Projekte sei sie stets auf der Suche nach visueller Inspiration, erzählte sie kürzlich in einem Gespräch mit der US-Filmhistorikerin ­und Autorin Annette ­Insdorf. Woher sie die im Corona-­Lockdown bekomme, jetzt, da das Reisen nicht möglich ist? „Durchs Filmeschauen.“