Es ist ein bizarrer Moment: Die jugendliche Désirée Nosbusch steht mit entrücktem Blick in der Küche und leckt ein blutbeflecktes Messer ab. Vor ihren Füßen liegt ein Teenie-Idol, der Sänger „R“ – soeben ermordet aus verschmähter Liebe. Diese Szene aus dem Horrorthriller „Der Fan“ (1982) wurde von der Kritik als geschmacklos gerügt. Größeren Medienrummel löste jedoch etwas anderes aus: Die damals 16-jährige Désirée Nosbusch ist in dem Film mehrere Minuten lang nackt zu sehen. Voyeuristisch aufgeladene Szenen, die die 58-jährige Schauspielerin bis heute beschäftigen, wie Nosbusch in ihrer Autobiografie „Endlich noch nicht angekommen“ (2022) schildert. Bereits mit zwölf Jahren wurde die Tochter eines Lkw-Fahrers und einer Schneiderin entdeckt und avancierte zum Kinderstar. Sie moderierte eine Radiosendung und wurde von der ARD als Reporterin engagiert. Später absolvierte Nosbusch eine Schauspielausbildung in New York und moderierte internationale Großveranstaltungen wie den „Grand Prix Eurovision de la Chanson“, Preisverleihungen und Galas. Dabei profitierte die gebürtige Luxemburgerin auch von einer besonderen Begabung: Sie spricht sechs Sprachen. Grenzüberschreitungen und Übergriffe habe es in ihrer Karriere seitdem viele gegeben, schreibt Nosbusch. Und es habe lange gedauert, bis sie als Schauspielerin nicht mehr nach ihrem Äußeren beurteilt wurde.
Heute sieht man sie in komplexen Rollen, wie der der traumatisierten Star-Anwältin in der Serie „Conti – Meine zwei Gesichter“, die ARTE im April ausstrahlt. Als Verteidigerin übernimmt sie das Mandat einer jungen Mutter, die ihr Kind getötet haben soll. Conti will für Gerechtigkeit kämpfen, wird aber immer wieder von ihrer eigenen Vergangenheit eingeholt. Nosbuschs Weg zu solchen Charakterrollen war lang. In frühen Jahren warfen ihr Kritiker oft Oberflächlichkeit vor. Talksendungen wie „Désirée darf das“ verpassten ihr damals das Etikett des frechen Fernsehmädchens, Der Spiegel betitelte „die Désirée“ gar als „hübsches Nichts“. Nosbusch bekam einen Bravo-Starschnitt und Wäschekörbe voller Post; Fans zelteten vor dem Haus ihrer Eltern. Bereits mit 16 Jahren verließ sie die Schule und zog mit ihrem damaligen Manager Georg Bossert zusammen – trotz eines Altersunterschieds von 26 Jahren. „Das war nicht nur der Alptraum meiner Eltern, das war auch mein Alptraum“, sagte Nosbusch rückblickend und erhob schwere Missbrauchs- und Vergewaltigungsvorwürfe gegenüber Bossert. Von 1981 bis 1990 hatte er als ihr Manager fungiert und sich als ihr Lebenspartner gesehen; fünf Jahre nachdem sich Nosbusch von ihm losgesagt hatte, starb er infolge einer Gewalttat.
ENDLICH SELBSTBESTIMMT
Die missbräuchliche Beziehung zu Bossert machte Nosbusch erst im Zuge ihrer Rolle in der Erfolgsserie „Bad Banks“ (2018/2020) öffentlich. Für die Figur der manipulativen Investmentbankerin Christelle Leblanc erhielt sie 2019 den Grimme-Preis. Zuvor war es für einige Jahre ruhig um die Schauspielerin gewesen. Nach zahlreichen TV-Produktionen in den USA, Italien und Deutschland hatte sie sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, ein Regiestudium abgeschlossen, eine Produktionsfirma gegründet. Als die Zusage für die Rolle in „Bad Banks“ kam, habe sie vor Freude geweint, so Nosbusch in einem Interview mit dem –Münchner -Merkur: Endlich bot sich die Chance, sich von den Klischees der frühen Karrierejahre zu befreien; endlich war da „eine Rolle, hinter der die Désirée verschwinden kann“.
Es sei eine Befreiung, anspruchsvolle Rollen spielen zu können und nicht länger auf ihr Äußeres reduziert zu werden, schreibt Nosbusch in ihrer Autobiografie. Sie schildert die misogynen Auswüchse, die ihr als junger Schauspielerin begegneten: Wie sie mit 15 Jahren nach einem Interview mit dem zudringlichen Klaus Kinski vom Balkon seines Apartments flüchtete, wie sie von Moderator Joachim Fuchsberger zur besten Sendezeit nach einer kritischen Antwort vermeintlich spielerisch übers Knie gelegt wurde, weil sie „wieder frech war“, die alltäglichen anzüglichen Witze. Heute sei sie dankbar für die Chance, sich schauspielerisch und persönlich noch einmal neu erfinden zu dürfen, so Nosbusch. Eine Sache wisse sie nach alldem sehr genau über sich selbst: Sie sei „keine, die aufgibt“.
Endlich eine Rolle, hinter der die Désirée verschwinden kann