Antonio Banderas hat Schmerzen. Am Vortag hat er drei Stunden auf einer kalten Hotelterrasse in Cannes Interviews absolviert, jetzt plagt ihn eine Rückenverspannung. Dieses Detail an sich besäße wenig Aussagekraft, würde dieses Gespräch nicht zu seinem Film „Leid und Herrlichkeit“ stattfinden. „Ich fühle mich genauso wie meine Figur in der Geschichte“, sagt der spanische Schauspieler im Interview.
Einerseits verarbeitet Regisseur Pedro Almodóvar in dem Drama Schlüsselsituationen seiner Biografie und setzt sich schonungslos mit dem eigenen Altern und den damit einhergehenden körperlichen Beschwerden auseinander. Andererseits stehen Leitthema und Titel des Films repräsentativ für Leben und Schaffen des inzwischen 61-jährigen Schauspielers Banderas. Es gab Phasen in seiner Karriere, da hat ihn Hollywood als Hispanic-Sexsymbol vermarktet, etwa in Filmen wie „Evita“ (1996), „Die Maske des Zorro“ (1998) oder Erotikdramen wie „Original Sin“ (2001). Doch das ist lange her. Nicht zuletzt dank der Zusammenarbeit mit Pedro Almodóvar ist Banderas über die Jahre zum Charakterdarsteller gereift. Ein Prozess, der sich aus immer wiederkehrenden Konfrontationen mit schmerzhaften Erfahrungen aller Art erklären lässt.
Die einzige Gewissheit: Der Tod
Antonio Banderas ist davon überzeugt, dass ihm seine Lebensphilosophie in die Wiege gelegt wurde: „Ich bin gebürtiger Andalusier – so wie Pablo Picasso oder Federico García Lorca – und in unserer Kultur gibt es nur eine Gewissheit: den Tod. Alles andere ist relativ. Und deshalb will ich das Leben voller Neugier auskosten.“ So beschreibt er sich gerne als „locomotora“, als Lokomotive – und das ist auch der Eindruck, den er in persönlichen Gesprächen vermittelt. Er spricht mit Emphase, gestikuliert, fixiert sein Gegenüber mit einem so eindringlichen Blick, als gäbe es für ihn in diesem Moment keine andere Person auf Erden. Sein Englisch ist nicht fehlerfrei, aber er formuliert so lebendig, teilweise in minutenlangen Antworten, dass das keine Rolle spielt. Er scheut auch kein Thema – ob Lust oder Sterben, Religion oder Politik, aber er verhält sich bei seinen freimütigen Auslassungen nicht wie ein narzisstischer Selbstinszenierer, sondern wie jemand, der sich ehrlich mitteilen will.
Um die Herrlichkeit des Daseins zu erfahren, war Banderas immer wieder bereit, die Komfortzone zu verlassen. Wenn er als Jugendlicher sah, dass andere Leute von einer hohen Klippe ins Meer sprangen, dann überwand er seine Furcht und tat es ihnen gleich. Er gab seinen Traum von der Schauspielkarriere nie auf, auch wenn das zu Beginn ein Leben in Armut bedeutete. Im Jahr 1978, das in Spanien noch von der Zensur der Franco-Diktatur geprägt war, wurde er zusammen mit Kollegen verhaftet, als sie eine Protestaufführung zur Unterstützung von bereits inhaftierten Schauspielern veranstalteten.
Auch sein Wechsel nach Hollywood Anfang der 1990er war ein Risiko. Ursprünglich hatte er nicht einmal Lust, Filme zu drehen, weil seine wahre Liebe das Theater war. Das änderte sich mit der Zusammenarbeit mit Pedro Almodóvar, für den er zum ersten Mal 1982 in „Labyrinth der Leidenschaften“ vor der Kamera stand. Als er sich dann auf amerikanische Projekte einließ – sein US-Spielfilmdebüt gab er 1992 in „Mambo Kings“ –, sprach er kaum Englisch. „Ich musste mich durchboxen“, sagt er rückblickend. Dass die Filmindustrie der USA einen guten Schauspieler durchaus unterfordern kann, erkannte der Europäer schnell: „Das US-Kino hat mir viel gegeben, aber man stellt dort in der Regel Fabrikprodukte her. Die Filme sind ein bisschen wie Hamburger, sie sollen möglichst vielen Menschen schmecken. Europäische Filme sind eher wie guter Wein, dessen Herstellung viel Zeit in Anspruch nimmt.“
Schmerzhafte Zäsuren
Weil die Film gewordenen Hamburger seinen künstlerischen Hunger nicht stillten, unternahm er den nächsten unbequemen Schritt: „Mein damaliger Agent brachte mir bei, dass das wichtigste Wort in Hollywood ‚Nein‘ ist.“ Also begann Banderas vor etwas über zehn Jahren, Projekte abzulehnen, um vorzugsweise mit Regisseuren zu arbeiten, die ihm kreative Herausforderungen boten. Dazu passte es, dass er 2011 zum ersten Mal nach 21 Jahren in „Die Haut, in der ich wohne“ wieder mit Pedro Almodóvar drehte.
Auch Banderas’ Privatleben war oftmals geprägt von Gegensätzlichkeiten. Ein Beispiel dafür: die inzwischen geschiedene Ehe mit Kollegin Melanie Griffith, die er 1996 nach der Trennung von seiner spanischen Ehefrau Ana Leza – eine ebenfalls schmerzhafte Zäsur – geheiratet hatte. Bei seinem ersten Hollywood-Aufenthalt 1990 hatte er Griffith bei der Oscar-Verleihung nahezu wie eine Traumvision erlebt: „Ich dachte, das ist die schönste Frau, die ich jemals gesehen habe.“ Doch zu diesen Bildern der Herrlichkeit sollte später eine leidvolle Realität treten – als er Griffith während ihres jahrelangen Kampfs gegen Alkohol- und Tablettensucht unterstützte.
Der nächste – sprichwörtlich – tiefe Einschnitt, der sein künstlerisches wie persönliches Leben maßgeblich prägen sollte, kam 2017: Antonio Banderas erlitt einen Herzinfarkt, den er nur mit Glück überlebte: „Eine Krankenschwester sagte mir, dass ich danach viel emotionaler und trauriger werden würde, und es hat sich bewahrheitet. Ich musste ständig weinen, egal ob ich mir ein Gemälde angesehen oder ein Gedicht gelesen habe.“
Diese neue Gefühlsintensität entging auch Pedro Almodóvar nicht, der in dieser Zeit „Leid und Herrlichkeit“ vorbereitete: „Er meinte zu mir: Du hast dich verändert! Und das darfst du nicht verstecken, sondern musst das in deine Figur einbringen.“ Für Banderas bedeutete das, viele „Instrumente und Tricks“ aufzugeben, die er aus seiner Schauspielarbeit gewohnt war: „Es war sehr schmerzhaft, weil ich meine eingeübten Hilfsmittel nicht einsetzen konnte. Aber nur so kannst du Kunst schaffen. Bei diesem Schöpfungsakt hast du keinerlei Orientierung. Du bist wie im Dschungel.“
So wurde Banderas bei „Leid und Herrlichkeit“ auf zweifache Weise mit der eigenen Sterblichkeit und Verletzlichkeit konfrontiert – zum einen im realen Leben und zum anderen in seiner Filmrolle eines Mannes, der in einem Teufelskreis von gesundheitlichen Problemen gefangen ist. Sein Mut wurde belohnt: Für keinen Film seiner Karriere wurde er so hoch dekoriert – unter anderem mit dem Darstellerpreis in Cannes, dem Europäischen Filmpreis und einer Oscarnominierung. Nach diesem Erfolg wirkt Banderas kompromissloser denn je. So investierte er einen Teil seiner Ersparnisse in ein eigenes Theater in seiner Heimatstadt Málaga, mit dem er auch den nationalen Schauspielnachwuchs fördert: „Das ist der perfekte und romantischste Weg, mich zu ruinieren. Denn Besitztümer interessieren mich nicht mehr.“
Sinnigerweise ist er für Hollywood so interessant geworden wie selten zuvor, was sich an seiner Besetzung in großen Blockbustern wie im nächsten „Indiana Jones“ zeigt. Seine Energie dabei ist ungebrochen, was er auch mystisch erklärt. „Ich habe ein Buch mit dem Titel ‚The Power of Kabbalah‘ gelesen. Darin steht: Es ist Verlangen, was die Welt antreibt. Damit kann ich mich absolut identifizieren.“ Er fürchtet dabei nicht die schmerzvollen Grenzerfahrungen, die ihm das Leben noch bescheren kann. Das hat er als Katholik gelernt, der immer wieder an den Prozessionen der Karwoche von Málaga teilnahm: „Wir Andalusier kennen das Ende der Geschichte. Und das heißt, dass nach der Passion die Auferstehung stattfindet. Und deshalb sind wir glückliche Menschen.“