Toni Morrison ist eine Figur der Weltliteratur. Und so hat es auch den Anschein, als gedenke ihrer die ganze Welt, als sie am 5. August 2019 stirbt. Die Schriftstellerin Jesmyn Ward und der Autor Ta-Nehisi Coates betonen Morrisons Einfluss auf ihr eigenes Schaffen. Salman Rushdie und Margaret Atwood schreiben über sie in der New York Times. Roxane Gay, Colson Whitehead und andere Autorinnen und Autoren der jüngeren Generation würdigen sie in Essays. Die afro-britische Schriftstellerin Zadie Smith schreibt: „Auch ich bin Toni Morrisons Tochter.“ Ihre nigerianische Kollegin Chimamanda Ngozi Adichie ehrt sie als Wegbereiterin einer ganzen Generation und einer neuen literarischen Ära. Und im Berliner Literarischen Colloquium betonen afrodeutsche Autorinnen, unter ihnen die Ingeborg-Bachmann-Preisträgerin Sharon Dodua Otoo, den Einfluss von Morrisons Leben und Werk auf die internationale Schwarze Community.
Die Schriftstellerin zählt zu den bedeutendsten Stimmen der US-amerikanischen Literatur. 1993 wurde sie als erste Schwarze Autorin mit dem Nobelpreis ausgezeichnet, ihr Werk strahlt weit über sie selbst hinaus. Toni Morrison würde das gut gefallen. Sie selbst hat es einmal als „Village Property“ bezeichnet, als Besitz der Schwarzen Community.
Geboren wird Morrison 1931 als Chloe Wofford in Lorain, Ohio. Im Teenageralter übernimmt sie die Kurzform ihres Taufnamens Anthony – Toni. Früh vermitteln ihr die Eltern einen Sinn für afroamerikanische Kultur. Sie liest viel, doch in der High School gehört Literatur von Schwarzen nicht zum Kanon. Nach dem Studium der Anglistik unterrichtet sie an verschiedenen Universitäten. Als alleinerziehende Mutter zweier Söhne beginnt sie 1964, zur Zeit der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, ihre 16-jährige Tätigkeit als Lektorin beim Verlag Random House. Dort fördert sie viele Schwarze Autorinnen und Autoren. Morrison sieht in Literatur und Sprache eine wichtige Waffe im Kampf für Gleichberechtigung. Sie freundet sich mit James Baldwin und mit der Bürgerrechtsaktivistin Angela Davis an. Letztere ermutigt sie, ihre Autobiografie zu schreiben.
Das Privileg der Schriftstellerin
Es ist der Beginn von Morrisons Transformation von der Frau, die andere Stimmen auf ihrem Weg begleitet, zu der, die ihre eigene findet. Über ihr erstes, 1970 veröffentlichtes Buch wird sie später sagen: „Ich habe meinen ersten Roman geschrieben, weil ich ihn lesen wollte.“ Sein Titel: „Sehr blaue Augen“. Er erzählt die tragische Geschichte eines Schwarzen Mädchens, das glaubt, blaue Augen könnten ihm ein besseres Leben bescheren. „Dieser Boden ist schlecht für eine bestimmte Art von Blumen“, heißt es am Ende. In „Sula“ (1973) thematisiert Morrison die komplexe Freundschaft zweier Schwarzer Frauen. Den internationalen Durchbruch erzielt die Autorin vier Jahre später mit „Solomons Lied“, einer Familiensaga. Darin, ebenso wie in „Teerbaby“ (1981), webt sie afroamerikanische Mythen und Legenden ein. Für „Menschenkind“ (1987) erhält sie den Pulitzer-Preis. Die Geschichte der entflohenen Sklavin Sethe, die ihre kleine Tochter lieber tötet, als sie erneut versklavt zu sehen, beruht auf einer wahren Begebenheit. Immer wieder greift Morrison das Thema Sklaverei auf: etwa in „Gnade“ (2008) und „Jazz“ (1992). In Letzterem erscheint es in Rückblenden. Im Mittelpunkt stehen darin das New York der 1920er Jahre, persönliche Träume – und die Musik. Die Vielstimmigkeit des Jazz bestimmt auch die Struktur und die Sprache des Romans. Es folgen Erzählungen, Dramen, Essays, ein Libretto, Kinderbücher und weitere Romane. Wie schon in „Paradies“ (1997), der Geschichte einer autonomen Schwarzen Community, und in „Liebe“ (2003) setzt sich Morrisons letzter Roman, „Gott, hilf dem Kind“ (2015), mit der Absurdität des Rassismus sowie mit den destruktiven weißen Schönheitsidealen, einengenden Geschlechterrollen und patriarchalen Machtstrukturen auseinander.
Auch wenn die Autorin sich nicht als Feministin bezeichnet, stehen Schwarze Frauen im Mittelpunkt ihres Werkes. In ihrer Essaysammlung „Im Dunkeln spielen“ (1992) schreibt sie: „Meine Arbeit fordert von mir, dass ich stets daran denke, wie frei ich als afroamerikanische Schriftstellerin in meiner in Geschlechter eingeteilten, sexualisierten und völlig auf ‚Rasse‘ fixierten Welt sein kann.“ Morrisons Lebenswerk besticht durch seine wunderbare poetische Sprache und ist gleichzeitig der literarische Ausdruck einer Black-Lives-Matter-Bewegung von der Sklaverei bis zur Gegenwart. 2012 wird sie von Barack Obama mit der Presidential Medal of Freedom geehrt. Es sei nicht neu, sagt sie 2015, dass unschuldige Schwarze von weißen Polizisten erschossen werden. Nur sei mittlerweile die mediale Beachtung größer. Dazu hat auch sie ihren Teil beigetragen. Ihr „Village Property“ ist zu einem Weltkulturerbe geworden.