Mohamedou Slahi saß 14 Jahre im Gefangenenlager Guantanamo, weil US-Geheimdienste ihn für einen Drahtzieher der Terroranschläge vom 11. September 2001 hielten. Während der Haft wurde er schwer gefoltert, 2016 aber schließlich in sein Heimatland abgeschoben, nachdem ihn ein US-Gericht freigesprochen hatte. In der ARTE-Dokumentation „Slahi und seine Folterer“ bringt Investigativjournalist John Goetz den Mauretanier mit seinen einstigen Peinigern zusammen – und wird dabei Zeuge eines kathartischen Moments.
arte magazin Laut einer internen Statistik des Lagers Guantanamo war Mohamedou Slahi dort der meistgefolterte Häftling. Was hat er darüber erzählt, Herr Goetz?
John Goetz Seine Schilderungen waren einsilbig, aber in seinem Tagebuch hat er die Methoden detailliert beschrieben.
arte magazin Um welche Methoden ging es?
John Goetz Um die sogenannten Enhanced Interrogation Techniques, die US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld seinerzeit abgesegnet hatte: Schlafentzug, Waterboarding, Insekten auf der Haut, Dunkelhaft, andauernde Beschallung und weitere Qualen, die keine sichtbaren Verletzungen hinterließen. Auch der damalige US-Präsident George W. Bush hatte die Methoden genehmigt. Klar ist indes: Die Verantwortlichen in Guantanamo wussten, dass sie gegen die Genfer Konventionen verstießen, wonach Gefangene würdevoll behandelt werden müssen.
arte magazin Wie kamen Sie auf die Idee, Slahi mit seinen Peinigern zu konfrontieren?
John Goetz Das war im Grunde sein Vorschlag. Bereits in seinem 2015 erschienenen Buch „Das Guantanamo-Tagebuch“ hatte Slahi geschrieben, dass er seine Folterer einladen wollte, ihn in Mauretanien zu besuchen. Allerdings hatte er keinen Kontakt zu ihnen und wusste nicht, wie er sie erreichen konnte.
arte magazin Sie waren also Slahis Spürhund, der die Verantwortlichen in seinem Auftrag finden sollte?
John Goetz Wir hatten gemeinsame Interessen. Sein Fall sprach meinen Rechercheinstinkt an. Investigative Geschichten faszinieren mich seit Langem. Es war eine Art Win-win-Situation; wir profitierten beide davon.
arte magazin Wie sind Sie bei der Suche vorgegangen?
John Goetz Der Fall ist relativ gut dokumentiert, und es gibt Tausende Seiten Gerichtsakten dazu. Zudem konnte sich Slahi an das Aussehen einiger Leute erinnern, denen er in Guantanamo ausgeliefert war. Viele der dort im Verhördienst tätigen Militärangehörigen waren zwar maskiert, aber mit der nötigen Akribie und etwas Glück gelang es uns, die Identität einiger Personen zu ermitteln …
arte magazin … um sie wegen ihrer damaligen Taten zur Rede zu stellen und um Grüße von Slahi auszurichten?
John Goetz Genau. Wobei das Ausmaß der Verstörtheit über die Kontaktaufnahme unterschiedlich groß war: Einer der Peiniger, er nannte sich Mr. X, wirkte regelrecht dankbar, dass ihn endlich jemand dazu befragte. In den Jahren nach seinem Dienst in Guantanamo hatte er zusehends die Kontrolle über sein Leben verloren und war zeitweilig in psychiatrischer Behandlung. Eine Frau hingegen, die damals die Verhörstrategie plante, war sehr verunsichert. Während des Gesprächs, das sie per Videotelefon mit Slahi führte, hatte ich den Eindruck, sie würde gleich den Boden unter den Füßen verlieren, weil ihr plötzlich bewusst wurde, dass es keine moralische Legitimation für ihr damaliges Handeln gab. Letztlich hat sie sich wohl gewünscht, dass Slahi sein unter Folter erzwungenes Geständnis nicht widerrufen hätte und nicht freigesprochen worden wäre. So hätte ihr Auftrag in Guantanamo eine Bedeutung gehabt.
arte magazin Wie verhielt sich Slahi während der Videotelefonate mit den Folterern?
John Goetz Ausgesprochen souverän. Ich konnte ihm anmerken, dass er sich in einer Position der Stärke befand – und diese Situation sichtlich genoss. Nachdenklich gestimmt hat mich freilich sein Credo, wonach Vergebung die stärkste Art der Rache sei. Das musste ich mir erst mal in aller Konsequenz vor Augen führen: Da saß ein Mann seinen einstigen Folterern gegenüber, die ihn zuvor an Körper und Seele brutal geschunden hatten – und vergab ihnen. Er hielt ihnen zwar nicht die sprichwörtliche andere Wange hin, um noch mehr Qualen zu ertragen, ließ sie aber durch seine Vergebung spüren, dass ihre Mission gescheitert war, weil er die Folter überlebt hatte und juristisch nicht mehr belangt wurde. Da schwang auch ein leises „Ihr hattet eure Chance!“ mit – und eine Spur Genugtuung, wenn nicht gar Schadenfreude.
arte magazin Gibt es dennoch Zweifel an Slahis Unschuld?
John Goetz Für einige der mit dem Fall betrauten Ermittler sicher, sie konnten jedoch keine Beweise liefern. Offiziell, also von Rechts wegen, liegt nichts gegen ihn vor. Nach Großbritannien, wo er im Juli einige Vorträge hielt, darf Slahi inzwischen wieder einreisen. Nach Deutschland aber, wo seine Ehefrau und der gemeinsame Sohn leben, weiterhin nicht. Sein Antrag auf Familienzusammenführung liegt hierzulande auf Eis. Das Auswärtige Amt stuft Slahi noch immer als Gefährder und al-Qaida-nahen Terrorhelfer ein.