Was tun, wenn der Ex-Staats- und Parteichef samt Gattin an der Tür klingelt und als Untermieter Einlass begehrt? Nun, Uwe Holmer quartiert Erich und Margot Honecker ein – und lädt zum gemeinsamen Abendbrot mit der Familie. Holmer ist evangelischer Pfarrer und Leiter der Hoffnungstaler Anstalten Lobetal, einer Betreuungseinrichtung vor den Toren Berlins. Ausgerechnet ein tief im Glauben Verwurzelter gewährt dem jahrzehntelang mächtigsten Mann der DDR und seiner als Bildungsministerin und linientreuen Genossin kaum weniger gefürchteten Frau Obdach.
Die bizarre, aber reale Fußnote der deutsch-deutschen Geschichte liefert den Stoff für das Drama „Honecker und der Pastor“. Unaufgeregt verdichtet der Film die zehn gemeinsamen Wochen im Pfarrhaus – mit komischen Momenten, wenn etwa Edgar Selge als entmachteter, gebrechlicher Honecker eine Schwäche für Kuchen und Sahne zeigt. Die spärlichen Dialoge bei Spaziergängen mit Holmer (Hans-Uwe Braun) offenbaren: Hier begegnen sich Menschen aus einem Land und doch aus zwei Welten.
Als die echten Honeckers am 30. Januar 1990 ins verschlafene Lobetal chauffiert wurden, war die Mauer wenige Monate zuvor gefallen, aber die DDR hatte noch nicht aufgehört zu existieren. Vom Runden Tisch aus regierte in Ost-Berlin übergangsweise SED-Mann Hans Modrow. Die ersten freien – und zugleich letzten – Wahlen zur DDR-Volkskammer standen im März an, am 1. Juli zog mit der Währungsunion die D-Mark ein. Die deutsche Einheit war am Horizont sichtbar, aber noch auszuhandeln.
Dass der im Herbst 1989 von den eigenen Leuten entmachtete Erich Honecker ausgerechnet im Kirchenasyl landete, geschah auf Vermittlung des Rechtsanwalts Wolfgang Vogel. Der hatte viele Jahre im Staatsauftrag politische Häftlinge aus DDR-Gefängnissen gegen Devisen eingetauscht. Der Freikauf durch die Bundesrepublik war lukrativ, Vogel gut vernetzt. Nun zog er wieder Strippen: für einen in Ungnade gefallenen Apparatschik, der nach dem Rauswurf aus der als „SED-Ghetto“ bespöttelten Spitzenfunktionärssiedlung Wandlitz quasi obdachlos war.
Uwe Holmer sah die – durchaus schwierige – Entscheidung, das Ehepaar Honecker im eigenen Wohnhaus aufzunehmen, als christliche Pflicht. Getreu der Botschaft aus dem Vaterunser: „wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“. Einen „Neuanfang ohne Hass und Verachtung“ habe er gewollt, sagte Holmer vor einigen Jahren in einem von der Hertie-Stiftung initiierten Gespräch mit einer seiner Enkelinnen. Bis heute bereut der inzwischen über 90-Jährige die Beherbergung nicht. Angefeindet wurde er in der aufgeladenen Atmosphäre der Wendezeit dafür reichlich. Auch aus Kirchenkreisen kam Unverständnis, warum gerade eine Institution helfend einsprang, deren Angehörige in der DDR staatlichen Repressionen ausgesetzt waren.
Wir wollten einen Neuanfang ohne Hass und Verachtung
Dogmatisch bis zum Ende
Der Pfarrer war fest im Glauben. Honecker wich nicht von seinem Dogma. Nicht im Oktober 1989, als UdSSR-Reformer Michail Gorbatschow mahnte: „Wer zu spät kommt, den be- straft das Leben.“ Nicht im Winter 1990 in Lobetal. Und nicht beim Prozess 1992 in Berlin-Moabit, bei dem sich der krebskranke Angeklagte wegen der Mitverantwortung für die Mauertoten verantworten sollte. In einer langen Erklärung breitete Honecker dort sein unverrückbares Weltbild aus und stilisierte sich zum Opfer einer Siegerjustiz in direkter Nazi-Geschichtslinie. Die DDR sei zwar als Experiment gescheitert, sie habe aber „ein Zeichen gesetzt, dass Sozialismus möglich und besser sein kann als Kapitalismus“. Einer Verurteilung entging er aus gesundheitlichen Gründen und flog 1993 seiner Familie nach Chile hinterher, wo er im Folgejahr starb. Bis zum Ende blieb Honecker bei seinen Überzeugungen. In ein Berliner Grab durfte er sie nicht mitnehmen: In der Gedenkstätte der Sozialisten, Seite an Seite mit Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, wollte ihn die Stadt nicht ruhen lassen.