Hoch oben schwebt er, blickt majestätisch auf die Prärie, das Tal, den Fluss. Plötzlich fliegt er hinab, fixiert die glänzende Oberfläche, erreicht mehr als 100 Stundenkilometer – und erwischt einen der auftauchenden Fische im Colorado River. Der Weißkopfseeadler, seit 1782 das Wappentier der USA, steht neben anderen Spezies seit mehr als 80 Jahren unter Artenschutz. Neben dem imposanten Raubvogel leben im Grand Canyon im US-Bundesstaat Arizona fast 200 Tierarten – unter ihnen Berglöwen, kalifornische Kondore, Klapperschlangen, Großhornschafe, Präriehunde. Ihr Lebensraum wird bewahrt durch ein besonderes Schutzkonzept, das in den USA seinen Anfang nahm und von dort aus über Australien, Kanada und Neuseeland nach Europa kam: der Nationalpark. 63 derartige Gebiete gibt es in den Vereinigten Staaten, vom Lake-Clark-Nationalpark in Alaska bis zum Acadia-Nationalpark in Neuengland im Nordosten der USA. Die gesamte Fläche dieser Schutzräume entspricht mehr als 210.000 Quadratkilometern.
Der US-amerikanische Schriftsteller und Umweltaktivist Wallace Stegner (1909–1993), der 1972 für seinen Roman „Angle of Repose“ den Pulitzer-Preis erhielt, erkannte seinerzeit die Bedeutung von Naturschutz und hielt fest: „Nationalparks sind die beste Idee, die wir jemals hatten. Absolut amerikanisch, absolut demokratisch, zeigen sie unsere besten Seiten, nicht unsere schlechtesten.“ Im Dokumentarfilm „‚Amerikas beste Idee‘: 150 Jahre Nationalparks in den USA“, den ARTE im Februar ausstrahlt, führen die Filmemacher in eindrucksvollen Bildern durch acht dieser Parks, beginnend bei brodelnden Geysiren im US-Bundesstaat Wyoming: Dort wurde mit Yellowstone 1872 der erste Nationalpark der Welt gegründet.
Bereits zuvor, in den 1850er Jahren, reisten Künstler wie der US-amerikanische Fotograf Charles Leander Weed (1824–1903) in das Yosemite-Tal in Kalifornien und zeigten in ihren Werken die Schönheit der dortigen Natur: die schroffen Felsen, das klare Wasser der Seen, die gigantischen Bäume. Nach und nach interessierten sich Touristen für die Region. Aus Sorge vor der Zerstörung der Natur kam es unter US-Präsident Abraham Lincoln (1809–1865) im Jahr 1864 zur Unterzeichnung des Gesetzes „Yosemite Grant“. Damit stellte Lincoln inmitten des Amerikanischen Bürgerkriegs das Yosemite-Tal und die dortigen seit Jahrmillionen wachsenden Mammutbäume unter Schutz. Das tat er nicht ausschließlich zum Erhalt der Biodiversität, sondern vor allem um den touristischen Wert zu fördern. Und dennoch: Die Idee zum Schutz eines bedrohten Lebensraumes war geboren – eine Art Vorstufe künftiger Nationalparks, in den USA und in der Welt.
Das Gleichgewicht halten
Es sollte acht Jahre dauern, bis schließlich der Yellowstone-Nationalpark entstand. Hinzu kamen weitere Areale; 1890 etwa Yosemite als dritter Nationalpark der USA, 1919 der Grand Canyon. Seit 1916 verwaltet der National Park Service als öffentliche Einrichtung die Nationalparks. Das Gleichgewicht zwischen Naturschutz und Tourismus zu halten, ist angesichts der wachsenden Besuchermassen eine Herausforderung: Rund 300 Millionen Touristen bereisen die Parks jedes Jahr. Zwischen Wanderwegen, Straßen und Campingplätzen gewann im 20. Jahrhundert der Tierschutz zunehmend an Bedeutung. So darf der Weißkopfseeadler seit 1940 nicht mehr gejagt werden. Und im Rahmen des „Endangered Species Act“, unterzeichnet vom US-Präsidenten Richard Nixon (1913–1994), wurden 1973 zahlreiche bedrohte Tier- und Pflanzenarten unter Schutz gestellt.
Mittlerweile gefährdet vor allem die Klimakrise die faszinierende Flora und Fauna: Von den einst 150 Gletschern im Glacier-Nationalpark in Montana gibt es heute nur noch knapp 25 Exemplare. Forscher vermuten, dass bis 2030 der letzte verschwunden sein wird. Die Everglades, das größte Sumpfgebiet der USA und Heimat von mehr als 2.000 Tier- und Pflanzenarten, könnten durch steigende Meeresspiegel versalzen. Daneben bedrohen Trockenperioden das Gebiet. Und auch die Bäume im Yellowstone-Nationalpark könnten vermehrt Waldbränden zum Opfer fallen.
Noch sind die bestehenden Nationalparks der USA Zufluchtsorte für Tiere – und Menschen. 1960 schrieb der Autor Wallace Stegner: „Wir brauchen die Wildnis, denn sie war die Herausforderung, die uns Menschen geformt hat.“ Eine Erinnerung daran und das beruhigende Gefühl, dass sie noch da ist, sei gut für unsere mentale Gesundheit. „Sind wir jung“, so Stegner weiter, „brauchen wir die Natur, die eine unvergleichliche Klarheit in uns schafft. Sind wir alt, ist es wichtig, zu wissen, dass die Natur einfach da ist. So simpel diese Idee ist, so wichtig ist sie für uns Menschen.“