Um Großtrappen in freier Wildbahn zu sehen, braucht es vor allem Glück. Das liegt nicht daran, dass sie gut getarnt wären – ihr Gefieder ist auffällig getigert und ein Trappenhahn kann mit einem Gewicht von bis zu 17 Kilogramm so viel wiegen wie ein Reh. Damit zählen die Tiere zu den schwersten flugfähigen Vögeln der Welt. Glück braucht man, weil Großtrappen extrem scheu sind und noch dazu sehr rar auf deutschen Feldern. Mitte der 1990er Jahre standen sie kurz davor, auszusterben. Dass es nicht so weit gekommen ist, verdanken die Vögel dem Engagement einiger weniger Tierliebhaber. Eines der letzten Refugien der Trappe befindet sich heute im 5.500 Hektar großen Naturschutzgebiet rund um das Havelländische Luch. Um von Berlin aus dort hinzukommen, geht die Fahrt 70 Kilometer Richtung Westen – zu Äckern, deren Anblick einen deutlich spüren lässt: Dieses Land ist fest in der Hand von Großbauern, den Agrarindustriellen.
Dass die Artenvielfalt in intensiv bewirtschafteten Landschaften leidet, ist nichts Neues. Dass Vögel und ihre Gelege besonders gefährdet sind, auch nicht. Angekommen im brandenburgischen Havelland, lässt sich jedoch erfreulicherweise beobachten, wie ein Naturschutz-Projekt es schafft, der industrialisierten Landwirtschaft zu trotzen. Gemeint ist der 1978 gegründete Förderverein Großtrappenschutz in Nennhausen. Wie die ARTE-Dokumentation „Die Odyssee der Großtrappen“ zeigt, durchkämmen Mitglieder des Vereins die Wiesen im Havelländischen Luch regelmäßig, um die Riesenvögel zu zählen und vor allerlei Gefahren zu bewahren. Neben dem Luch leben Großtrappen heute nur noch in zwei weiteren Gebieten in Brandenburg und Sachsen-Anhalt: in den Belziger Landschaftswiesen und im Fiener Bruch. Derzeit beläuft sich der Bestand auf insgesamt 347 Tiere, was einer Versechsfachung seit dem Tiefstand in den 1990ern gleichkommt. Wurden bei der ersten Zählung um 1940 noch 4.000 Trappen gesichtet, waren es 1996 nur noch 57 Exemplare. „Um die Population zu stabilisieren, planen wir ein viertes Einstandsgebiet im Zerbster Land in Sachsen-Anhalt. Das wäre nach England weltweit das zweite Wiederansiedlungsprojekt“, sagt Marcus Borchert, Vorsitzender des Fördervereins Großtrappenschutz. Damit sich die Vögel in einer neuen Heimat niederlassen, benötigen sie vor allem Ruhe. „Trappen sind anspruchsvolle Tiere. Sobald sie gestört werden, hören sie auf, zu balzen und zu brüten“, erklärt Borchert.
Aus diesem Grund sind mehrere umzäunte Flächen rund um die Staatliche Vogelschutzwarte in Nennhausen mehr oder weniger exklusiv reserviert: „Lebensraum gefährdeter Vogelarten. Betreten und Befahren verboten“, warnen Schilder. Hier können die Großtrappen jederzeit ein- und ausfliegen und sind vor Menschen und Raubsäugern geschützt. Die spektakuläre Balz, bei der sich die Trappen-Männchen bis zur Erschöpfung verausgaben, ist auf den Schutzflächen zu beobachten. „Ihr Herz beschleunigt bis auf aberwitzige 900 Schläge in der Minute“, sagt Marcus Borchert. Eine Fitnessbotschaft an die Hennen. In der Brutzeit ab Mitte April überwachen die Tierschützer die Gelege, denn es lauern Nesträuber. Tanzen diebische Kolkraben um einen Nistplatz, kommen die Eier in den Brutapparat und werden durch Holzeier ersetzt.
Teuerster Vogel der Welt
Warum die Population der Großtrappen im 20. Jahrhundert massiv zurückgegangen ist, hat viele Gründe. Sicher ist laut Borchert: Die Bewirtschaftung der Äcker mit Kunstdünger und Pestiziden hat die Zahl der Insekten deutlich reduziert – und damit das Vogelfutter. Auch Bejagung und der Ausbau der Infrastruktur haben den Lebensraum der sensiblen Tiere gefährlich schwinden lassen. Zweifelhafte Berühmtheit erlangte die Trappe 1994 als „teuerster Vogel der Welt“. Hintergrund waren kostspielige Schutzmaßnahmen zum Ausbau einer ICE-Strecke, die mitten durch das Trappenland führt. Unversehens wurde sie so zum Wahrzeichen des Brandenburger Artenschutzes.
Auch ohne den Menschen leben Trappen auf gefährlichem Fuß. Die Liste ihrer Feinde ist lang: Füchse, Waschbären, Seeadler, Habichte und Krähen haben es auf sie abgesehen. Mithilfe von Jägern hält der Nennhausener Förderverein die Raubtiere fern. Ein Engagement, das nicht nur den Trappen nutzt. Geht man rund um die Schutzgebiete spazieren, hört man Grauammern singen, sieht Kiebitze brüten und Riesenweihen nach Beute suchen. Auch seltene, verschollen geglaubte Tier- und Pflanzenarten verbreiten sich offenbar rasch in der geschützten Vegetation. Explodiert die Biodiversität im Windschatten der Riesenvögel? Mit viel Glück und Geduld könnte die Geschichte der Trappen womöglich noch enden wie im Märchen.