Es war ein schnell hingekritzelter Satz, notiert Anfang der 1930er Jahre an der Fakultät für Geschichte und Literatur in Oxford, der das literarische Genre Fantasy entscheidend prägen sollte. Der Satz lautete: „In einem Loch im Boden, da lebte ein Hobbit.“ Geschrieben hatte ihn ein junger Dozent, der britische Philologe John Ronald Reuel Tolkien. Im Jahr 1937 stellte er diese Worte an den Anfang seines Kinderbuchs „Der Hobbit oder Hin und zurück“. Das Buch führt die Lesenden auf den fiktiven Kontinent Mittelerde und damit in ein komplexes Paralleluniversum voller Fabelwesen und Magie, für das Tolkien eigene Sprachen, Mythologien und Landkarten entwickelte und das später zum Schauplatz für seine berühmte Romantrilogie „Der Herr der Ringe“ (1954/1955) werden sollte.
Aus der Geschichte um einen Ring, der allmächtige Kräfte verleiht, ist seitdem eine extrem mächtige Industrie hervorgegangen: In den 1960er Jahren löste Tolkiens Epos vor allem in den USA einen Hype aus. Tolkiens Bücher beeinflussten viele Schreibende und Filmschaffende sowie Bands wie Black Sabbath und Led Zeppelin. In Deutschland legten die Romane die Grundlage für das neue literarische Genre High Fantasy – also Plots mit magischen Elementen, die in eigens aufwendig konstruierten Welten spielen. Durch die ikonischen Verfilmungen von Regisseur Peter Jackson Anfang der 2000er Jahre erreichten die Geschichten über Hobbits, Zwerge und Elfen dann endgültig den Mainstream.
Auch den Buchmarkt veränderten sie nachhaltig: Seit den 2000er Jahren gehört das Genre Fantasy zu den stabilsten Segmenten der Branche, wie die Literatur-Forscherinnen Erika Thomalla und Lea Kubeneck 2024 anhand von Spiegel-Bestsellerlisten der vergangenen 24 Jahre aufzeigten. Der Buchwissenschaftler Derek Buker unterscheidet mittlerweile 17 verschiedene Sub-Genres: darunter etwa Dark Fantasy, in dem Plots mit Horror-Elementen im Mittelpunkt stehen, oder Romantasy, in dem eine magische Welt voller Fabelwesen und eine intensive Liebesgeschichte zusammenkommen, wie etwa in der „Twilight“-Reihe (ab 2005) von Stephanie Meyer.
Insbesondere Romantasy ist aktuell auf Erfolgskurs: „Dieser Genre-Mix ist extrem nachgefragt“, sagte Tim Müller, Programmleiter beim dtv-Verlag, in diesem Jahr der Neuen Zürcher Zeitung. Neben der Liebesgeschichte und einem drohenden Kampf zwischen Gut und Böse bilden Sexszenen, die teils sehr explizit geschrieben sind, den Kern der Romane. Erzählt werden die Geschichten zumeist aus der Perspektive von jungen Frauen.
Fantasy-Hype auf Social Media
Diese Zielgruppe ist es auch, die den Trend auf Social Media befeuert: Unter dem Hashtag #BookTok zeigen und bewerten vor allem Leserinnen in millionenfach geklickten Videos auf TikTok ihre Lieblingsbücher. „Der Zusammenhalt der Community und die vordergründig stark wirkenden Frauenfiguren können als wichtige Faktoren für die Popularität des Genres gesehen werden“. Stereotype Geschlechterrollen und schematische Gut-und-Böse-Darstellungen seien jedoch ebenfalls kennzeichnend für die meisten Titel, stellt der Forscher fest. Vielleicht liege auch genau darin der Reiz: „Anders als im Leben gibt es in diesen Storys fast immer ein Happy End.“
Der Vorwurf, Fantasy-Autoren würden dazu neigen, gesellschaftliche Probleme auszublenden und konservatives oder reaktionäres Gedankengut zu verbreiten, ist nicht neu. Geschlossene Weltbilder und klischeehafte Figuren bieten hierfür die Angriffsfläche. Auch Tolkien, dessen komplexe Stoffe sich aus seinem eigenen Leben speisten – etwa aus den Erfahrungen als Soldat während des Ersten Weltkriegs und aus Kindheitserinnerungen –, wurde von Kritikern als Eskapist bezeichnet. Er reagierte in seinem Aufsatz „On Fairy-Stories“ (1947) darauf, in dem er sich für alternative Weltentwürfe aussprach: Die Aufgabe einer Fantasy-Geschichte bestünde darin, Fluchtwege aus einer tristen Realität zu zeigen und Trost zu spenden. Eine Qualität, die das Genre wohl bis heute so beliebt macht.
Fantasie bleibt ein Menschenrecht