Feministische Strahlkraft

Die Regisseurin Leena Yadav schenkt dem indischen Kino starke weibliche Identifikationsfiguren und bricht mit dem Tabu um sexualisierte Gewalt. 

Foto: Shivalaya Entertainment / ZDF

Am Ende des Films fängt ein Mann während eines Ehestreits Feuer an einer Öllampe und geht in Flammen auf. Seine Frau unternimmt einen halbherzigen Versuch, ihn zu retten, doch dann wendet sie sich ab – und rettet sich selbst: Sie verschwindet in der Dunkelheit der Nacht, während ihr Partner bei lebendigem Leibe verbrennt. Ist es das Ende eines Täters, der zuvor jahrelang seine Frau misshandelt hat? Oder das Ende eines Mannes, der – wie alle anderen Bewohner und Bewohnerinnen des fiktiven Wüstendorfs Ujhaas – Opfer seiner Umstände ist? Diesen Fragen geht Leena ­Yadav in ihrem Sozialdrama „Die Zeit der Frauen“ nach, das ARTE im Rahmen des Schwerpunkts „­Indien – 75 Jahre Unabhängigkeit“ ausstrahlt. Die Regisseurin verwebt darin die Schicksale von vier höchst unterschiedlichen Frauen, die ein Umstand besonders verbindet: Sie leiden unter den patriarchalen Verhältnissen, die ihr Leben im Indien des frühen 21. Jahrhunderts nahezu vollständig im Griff haben.

Lajjo (Radhika Apte) glaubt, unfruchtbar zu sein, und wird von ihrem gewalttätigen Ehemann für diesen angeblichen Makel verachtet. Die 32-jährige Witwe ­Rani (­Tannishtha ­Chatterjee) ringt mit ihrem pubertierenden Sohn, der sich in der Rolle des Familienpatriarchen übt. ­Janaki (Lehar Khan) ist erst 15 und glaubt ihr Unglück schon besiegelt – sie soll mit ebendiesem Sohn verheiratet werden. Und die unverheiratete ­Bijli (­Surveen ­Chavla) wird von allen im Dorf geächtet: Sie arbeitet als Tänzerin und Prostituierte in einem Nachtclub. In effektvollen Bildern, eingefangen vom preisgekrönten US-amerikanischen Kameramann ­Russel ­Carpenter („­Titanic“), entwickeln die Frauen im Laufe des Films erste ketzerische Ideen und lehnen sich gegen die Vormachtstellung der Männer auf.

 

Wohin es gehen soll, wollen Lajjo (­Radhika Apte, Foto o.) und ­Rani (Tannishtha ­Chatterjee, Foto r.) in Zukunft selbst bestimmen. Foto: Shivalaya Entertainment/ZDF

Zeit der Frauen

Sozialdrama

Montag, 8.8. — 22.00 Uhr

bis 6.9. in der Mediathek

Die Handlung sei fiktiv, betont ­Leena ­Yadav im Gespräch mit dem ARTE Magazin. Die Protagonistinnen jedoch seien von real existierenden Personen inspiriert. 2012 war die Regisseurin – auf der Suche nach Geschichten – in die abgelegene Wüste von Kutch im nordwestindischen Bundesstaat ­Gujarat gereist, wo über zwei Millionen Menschen in kleinen Dorfgemeinschaften leben. „Sie sind bestimmt von streng patriarchalen Werten, die von Männern dominierte Dorfräte festlegen“, so ­Yadav. Praktiken wie Kinderheirat und Mitgiftzwang gehören bis heute zum Alltag – ebenso Gewalt und Vergewaltigungen in der Ehe. Auf die Filmemacherin, die 1971 im zentralindischen Bundesstaat Madhya Pradesh geboren wurde, wirkte die strikte Unterwerfung der Frauen wie ein Relikt aus einer vergangenen Zeit: „erschreckend altertümlich“. Zurück in Mumbai entwickelte sie Ideen für ein Drehbuch. Je länger sie über die Frauen aus den Dörfern nachgedacht habe, erinnert sie sich, desto klarer wurde ihr: „Ihre Geschichten sind universal.“ Denn die rasante Modernisierung der indischen Metropolen allein bringe noch keine Geschlechtergerechtigkeit; Unterdrückung und Gewalt würden auch dort zum Alltag vieler Frauen gehören. Nur: Darüber zu sprechen, sei tabu. 

Tatsächlich leben Frauen in Indien gefährlicher als an anderen Orten der Welt. Zwar spricht die säkulare Verfassung ihnen formal die gleichen Rechte zu wie Männern. In der Praxis erhalten sie jedoch keinen ausreichenden Schutz. So werden jährlich 25.000 Mitgiftmorde sowie die gezielte Abtreibung von drei bis vier Millionen weiblichen Föten registriert. Laut Angaben der Regierung wird zudem alle 15 Minuten ein Mädchen oder eine Frau vergewaltigt; bis heute gilt die Vergewaltigung innerhalb der Ehe nicht als Straftat. 

Trotz der alarmierenden Statistik gab es bisher nur wenige Filme, die sich mit Frauenhass in Indien beschäftigen. Grund dafür sind mitunter die Zensurgesetze, die unter dem seit 2014 regierenden, hindunationalistischen Premier ­Narendra ­Modi immer mehr verschärft wurden. So greift die Zensur­behörde nicht nur bei politischen Kontroversen wie dem Kaschmir-­Konflikt ein, sondern auch bei vermeintlich anstößigen Themen. Dazu zählen neben der Darstellung von Gewalt und Nacktheit auch Inhalte, die als zu „lady-oriented“ gelten, also: feministische Perspektiven. „Es gibt immer mehr Frauen, die gegen die Zensur protestieren“, sagt Yadav. So verschaffe sich eine junge Generation von Aktivistinnen Gehör, die in der Filmbranche, den Medien oder durch NGOs über Geschlechtergerechtigkeit und das Recht auf sexuelle Selbstbestimung aufkläre. „Man spürt, dass sich etwas bewegt“, so Yadav. Den Anfang einer feministischen Revolte, das zeigt auch ihr Film, bilde immer die Gemeinschaft unter Frauen. 

Modernisierung allein bringt keine Geschlechtergerechtigkeit

Leena Yadav, Regisseurin