Sie sind unsere Super-Sinnesorgane: Nahezu nonstop nehmen die Ohren Reize wahr, das ausgefeilte System erkennt 400.000 verschiedene Töne und kann Geräusche noch dazu genau verorten. Bei manchen Menschen, Synästhetikern, verbindet sich Hören sogar mit Farben. Orientierung, Gleichgewicht – alles liegt im Ohr. Und es startet früh: Als unser erstes Tor zur Welt bildet sich das Gehör schon im Mutterleib heraus, zur Halbzeit der Schwangerschaft lauscht der Fötus nach draußen. Ein evolutionäres Bravourstück, höchst empfindsam und empfindlich, wie die ARTE-Doku „Das Wunder des Hörens“ zeigt.
Auch Tiere trumpfen mit ihren auditiven Fähigkeiten auf – und manche übertrumpfen den Menschen dabei noch. Fledermäuse beispielsweise, die in Ultraschall-Frequenzen von bis zu 200.000 Hertz kommunizieren. Für unsere Ohren ist in der Höhe bei 20.000 Hertz Schluss, nach unten bei etwa 16 Hertz. Darunter beginnt der Infraschall. Ausgerechnet die Taube hört tiefste Töne mit 0,1 Hertz, für die der Mensch schlicht taub ist. Elefanten verbindet Infraschall-Sprache über viele Kilometer. Die Tiere empfangen sie mit Druckrezeptoren an Rüssel und Füßen. Die im Brustraum erzeugten Laute sind laut, sehr laut sogar: mehr als 100 Dezibel, annähernd Presslufthammer-Niveau. Weil sie im Frequenzbereich unterhalb des menschlichen Hörspektrums liegen, belasten sie unsere Ohren trotzdem nicht.
Ganz anders der Alltagslärm: Donnern im Straßenverkehr Lastwagen mit 100 Dezibel vorbei, ist das purer Stress für die Ohren, auf Dauer drohen Hörverluste. Vor allem Jüngere muten sich freiwillig noch mehr schädigenden Schalldruck zu, wenn sie Musik im Kopfhörer richtig aufdrehen. 110 bis 120 Dezibel fordern das Gehör dabei bis an die Schmerzgrenze. Mehr als eine Milliarde 12- bis 35-Jährige weltweit riskierten so Schwerhörigkeit und Ohrgeräusche wie Tinnitus, warnt die Weltgesundheitsorganisation (WHO). 2015 startete sie eine Kampagne dagegen, pünktlich zum „Welttag des Hörens“ am 3. März. Insgesamt gelten heute fast fünf Prozent der Weltbevölkerung, 450 Millionen Menschen, als hörgeschädigt – darunter 34 Millionen Kinder und Jugendliche.
Medikamente gegen Hörverlust
„Es mangelt uns wahrscheinlich an Vorstellungskraft, dass der Prozess des Hörverlusts schon in jungen Jahren beginnen kann. Er ist sehr langsam und dadurch heimtückisch“, erläutert Prof. Charles E. McKenna in der ARTE-Doku „Das Wunder des Hörens“. Der Chemiker forscht an der University of Southern California in Los Angeles an einer Medikamententherapie gegen Schwerhörigkeit. Dabei sollen zerstörte Nervenzellen im Innenohr wiederbelebt werden. Schwierig, weil der Behandlungsort – die Cochlea, deutsch: Hörschnecke – flüssigkeitsgefüllt ist und Präparate einfach weggespült werden können. Eine neue Wirkstoff-Kombination soll das verhindern.
Bereits im Einsatz sind Cochlea-Implantate. Sie ersetzen die Funktion eines geschädigten Innenohrs mit elektrischen Impulsen – anders als herkömmliche Hörgeräte, die Töne lediglich verstärken und funktionierende Übertragungswege vom Ohr zum Hirn voraussetzen. Allerdings decken die bisherigen Cochlea-Implantate mit bis zu zehn Kanälen nur ein geringes Frequenzspektrum ab. Auch hier stellen die komplexen Vorgänge im Ohr Forscher noch immer vor große Herausforderungen. Ein stark verfeinertes künstliches Hörerlebnis versprechen sich Wissenschaftler von neuen optogenetischen Implantaten. Sie wandeln Töne in digitale Lichtsignale um, „Schalter“ oder Rezeptoren steuern dann Gehörnervenzellen und Synapsen.
Während das künstliche Hören mit Licht ein noch junges Feld der Neurowissenschaft ist, verbinden sich für manche Menschen Hören und Farben von Geburt an. Das Gehirn von Synästhetikern, zu denen etwa vier Prozent der Bevölkerung zählen, kombiniert verschiedenartige Sinneswahrnehmungen auf besondere Weise. Wobei Töne zu visualisieren laut Deutscher Synästhesie-Gesellschaft als eine der häufigsten Varianten gilt. Unter Musikern gibt es etliche Synästhetiker: Popstars wie Lady Gaga und Pharrell Williams oder die Pianistin Hélène Grimaud. Allen Menschen gemein ist, dass das Hören bei ihnen Emotionen auslöst – ein Erbe frühester Entwicklungsgeschichte. Die stets wachen Ohren waren die Alarmanlage unserer Urahnen. Sie nahmen Gefahren wahr, lange bevor sie zu sehen waren. Und sie halfen, zwischen Bedrohung und Besänftigung zu unterscheiden. Umso widersinniger der unheilvolle Satz aus Zeiten körperlicher Züchtigung: „Wer nicht hören will, muss fühlen!“ Denn das eine geht nicht ohne das andere.
Der Prozess des Hörverlusts kann in jungen Jahren beginnen. Er ist sehr langsam und dadurch heimtückisch