Ganz schön abgehoben

Der Film „Dirty Dancing“ entfachte 1987 das Mambo-Fieber. Doch hinter der Erfolgsstory steckt mehr als getanzter Sex und ­Sozialromantik. Eine Annäherung in acht Grundschritten.

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Reiches Mädchen trifft armen Jungen, die Verhältnisse sind gegen die Beziehung, am Ende aber siegt die Liebe. Dazwischen wird sehr viel und sehr erotisch getanzt. So weit die kurze Geschichte von „Dirty Dancing“. Die realen Hintergründe des romantischen Stoffs blieben den Millionen Kinobesuchern, die dem Film vor mittlerweile dreieinhalb Jahrzehnten zu einem völlig überraschenden Kassenerfolg verhalfen, meist verborgen. Die Welt gut situierter jüdischer New Yorker Familien, aus der Drehbuchautorin ­Eleanor ­Bergstein stammte, lieferte den Rahmen: ihre Feriendomizile, ihr gesellschaftlicher Habitus – und die Begeisterung für den Mambo, der nicht nur auf der Leinwand pure Verführung mit Hebefiguren war.

 

In der Dokumentation "Die Zeit meines Lebens: Dirty Dancing in Ost und West" schwelgen Fans, auch aus der früheren DDR, in ihren Erinnerungen. Foto: Screenshot/MDR

 

Ein Plot, keine Autobiografie

In ihrem Drehbuch habe sie Elemente aus ihrem Leben verwendet, erklärte Eleanor Bergstein 2021 in einem Interview mit dem New Yorker Center for Jewish History, „aber es ist nicht die Geschichte meines Lebens“. Die spätere Autorin, Jahrgang 1938, war eher Kind als Teenager, als sie mit ihren Eltern im gediegenen „Grossinger’s“ – Vorlage für das Film-Resort „Kellermann’s“ – urlaubte. Tatsächlich war ihr Vater ein erfolgreicher Arzt, eine Parallele zur Kino-Story.

Urlaub im Borscht Belt

Die Sommerfrische in den Catskill Mountains nördlich der Metropole New York war von den 1920er bis in die 1960er Jahre fest in der Hand jüdischer Gäste. Das trug ihr den Namen „Borscht Belt“ ein. Angelehnt an „Bible Belt“ und „Rust Belt“, stand hier die Rote-Bete-Suppe Pate, deren Rezept mit osteuropäisch-jüdischen Einwanderern in die USA gelangt war. Dass jüdische Amerikaner in den Ferien unter sich blieben, lag an Erfahrungen mit offenem Antisemitismus. Noch bis in die 1930er Jahre hatte es vielerorts in Hotels geheißen: „Keine Hunde, Hebräer oder Schwindsüchtige“.

New York in Virginia

Als „Dirty Dancing“ gedreht werden sollte, war die Zeit längst über die jüdische Urlauberwelt in den Catskills hinweggegangen. -Eleanor -Bergsteins „Grossinger’s“, das 1986 nach langem Niedergang schloss, eignete sich als Kulisse ebensowenig wie andere der einst rund 1.500 Herbergen. Gefilmt wurde dann in einem Resort im landschaftlich ähnlichen Virginia und am Lake Lure in North Carolina. Vorteil für die Low-Budget-Produktion: Es war billiger als im Bundesstaat New York.

Ferien-Soundtrack

Anders als die „Borscht Belt“-Ferienidylle, von der kaum ein Kinozuschauer etwas wahrnahm, wurden Musik und Tanz weltweit zu Schlüsselelementen des Erfolgs von Film und Soundtrack. Und: Der Mambo war in dieser Umgebung absolut authentisch. Denn ebenso wie in angesagten Clubs im heimischen New York wiegte die jüdische Jeunesse dorée in den Catskill-Resorts ihre Hüften zu den heißen Rhythmen. Stars der Szene wie -Tito -Puente spielten selbstverständlich in den Urlauber-Hotels.

Traumpaar, Zweite Wahl

Patrick Swayze als Hotel-Animateur Johnny Castle und -Jennifer Grey als Frances „Baby“ Houseman, die Tochter aus gutem Hause, wurden zum Traumpaar des Films. Erste Wahl waren sie für die Rollen nicht. Val Kilmer hätte Johnny, Sarah Jessica Parker „Baby“ spielen sollen. Tatsächlich waren -Swayze, der 2009 im Alter von 57 Jahren an Krebs starb, und Grey als Schauspieler zum Zeitpunkt des „Dirty Dancing“-Drehs weniger bekannt. Entsprechend bescheiden fielen ihre Gagen aus.

Billiger Blockbuster

Weit mehr als 200 Millionen Dollar spielte „Dirty Dancing“ ein. Ein Low-Budget–Blockbuster, der die kleine Produktionsfirma Vestron Pictures nur gut fünf Millionen Dollar gekostet hatte. Große Hollywood-Studios hatten den Stoff abgelehnt. Die Tanzfilm-Welle, die Ende der 1970er Jahre mit „Saturday Night Fever“ angerollt und mit „Flashdance“ und etlichen anderen durchs Folgejahrzehnt geschwappt war, schien abgeebbt, als Eleonor Bergstein 1985 ihr Drehbuch vorlegte. Eine grandiose Fehleinschätzung.

Tanzend zum Mauerfall

In den DDR-Kinos, wo „Dirty Dancing“ am 30. Juni 1989 startete, sahen 4,5 Millionen Zuschauer den Film – im Verhältnis zur Bevölkerungszahl weit mehr als in der Bundesrepublik. Der Soundtrack hatte bereits vorher über private Westkontakte den Weg zu den Fans hinter der Mauer gefunden. Rock-’n’-Roll-Tänzer studierten Schrittfolgen und Hebefiguren –allen Bemühungen der Staatsführung zum Trotz, die Jugend vor westlich-dekadenten Einflüssen zu schützen. Die DDR war bald danach am Ende,
der Hype um „Dirty Dancing“ ging weiter.

Unendliche Geschichte

Zu Ende ist die „Dirty Dancing“-Manie bis heute nicht. Bei den Dresdner „-Filmnächten am Elbufer“ etwa ist die Open-Air-Vorstellung des Films jedes Jahr verlässlich ausverkauft. 2004 verwandelte Autorin -Eleanor -Bergstein ihr Drehbuch in eine Bühnenshow, die mit internationalen Produktionen und Ensembles weltweit aufgeführt wird. Und nach einigen erfolglosen Remake-Versuchen verdichten sich nun die Hinweise auf eine Kino-Fortsetzung von „Dirty Dancing“ – mit der inzwischen 62-jährigen Jennifer Grey als „Baby“.

Die Zeit meines Lebens: Dirty Dancing in Ost und West

Kulturdoku

Sonntag, 10.7. — 23.30 Uhr 

bis 8.8. in der Mediathek