An einem Dezembertag im Jahr 1979 registriert ein Sensor im Schlossmuseum in Gotha einen plötzlichen Temperaturabfall: Es ist der Zeitpunkt, als das Fenster im zweiten Stock aufgebrochen wird. Fünf Gemälde fehlen am nächsten Tag. Erst 2019 tauchen sie unerwartet wieder auf. Ein Fall für Chefkunstfahnder René Allonge. Über dieses und andere spektakuläre Kunstverbrechen hat Allonge mit dem ARTE Magazin gesprochen.
arte Magazin Kommissar Allonge, wie kommt man dazu, Leitender Ermittler für Kunstdelikte im LKA zu werden?
René Allonge Bei mir war das eher eine glückliche Fügung. Ich bin seit 1997 im Landeskriminalamt und habe viele Jahre im Bereich der Banden- und Eigentumskriminalität gearbeitet, dazu zählen etwa Banküberfälle und die Erpressung von Wirtschaftsunternehmen. Seit 2009 ermittle ich bei Einbrüchen in Museen und Kunstfälschungen.
arte Magazin Was war das bislang spektakulärste Kunstverbrechen, das Sie aufgeklärt haben?
René Allonge Schwer zu sagen, da es Raubüberfälle gab, bei denen Menschen schwer verletzt wurden. Diese Brutalität berührt mich. Als spektakulär würde ich Fälle wie den des Kunstfälschers Wolfgang Beltracchi bezeichnen, der Millionen für seine Repliken großer Maler kassierte. So etwas hat eine eigene Größenordnung – das internationale Ausmaß, die Schadenssummen, die Opfer, die in der Öffentlichkeit stehen. Ermittlungen dieser Art kannte ich vorher nicht; auch nicht die Medienwirksamkeit, die damit einhergeht.
arte Magazin Imitate von Beltracchi könnten noch immer unentdeckt in Museen hängen. Wer profitiert davon?
René Allonge In erster Linie der Fälscher und seine Betrüger-Bande. Auktionshäuser verdienen aber mit – ob bei Fälschungen oder authentischen Werken. Das ist der Mechanismus des Marktes. Ansonsten gibt es nur Verlierer: die Museen, die Ausstellungsbesucher, die gefälschten Künstler.
arte Magazin Sie übernahmen auch die Ermittlungen im Fall der fünf in Gotha gestohlenen Gemälde, die 2019 an das Schloss Friedenstein zurückgegeben wurden. Welche Herausforderungen gab es dabei?
René Allonge Schwierig war der lange Zeitraum, es waren ja 40 Jahre seit der Tat vergangen. Viele Zeitzeugen waren bereits verstorben, und es war nicht einfach, die verstreuten Unterlagen der DDR-Kriminalisten einzusehen. Die zivilrechtliche Verjährungsfrist von 30 Jahren, in denen jemand zu Schadensersatz oder Herausgabe verpflichtet werden kann, war 2009 abgelaufen. Aber das hinderte uns nicht daran, den Fall aufzuklären – die Bilder standen noch auf den Suchlisten von Interpol. Der mutmaßliche Täter war, wie wir herausfanden, ein DDR-Lokführer, der 2016 verstorben ist.
arte Magazin Welche Beweise überführten die Täter im Fall der aus dem Berliner Bode-Museum entwendeten, 100 Kilogramm schweren Goldmünze?
René Allonge Da konnten wir mit Vernehmungen und Spurensuche viel erreichen. Hinter dem Einbruch ins Museum steckte ein Berliner Familienclan. Zur Überführung trugen DNA-Spuren und zurückgelassene Tatmittel bei. So wurde die Münze mit einer Schubkarre transportiert, die wir in einem Gleisbett fanden. An der Kleidung der Tatverdächtigen entdeckten wir später eindeutige Goldspuren. Mehrere Faktoren waren tatbegünstigend: Die Einbrecher hatten einen Insider im Museum, der ihnen Details zu den Sicherungsumständen gab: Das Fenster, durch das sie eindrangen, war als einziges nicht im Alarmkreislauf.
arte Magazin Gibt es gewisse Tendenzen und Trends im Bereich der Kunstdelikte?
René Allonge Ja, gerade sind etwa viele gute Fälschungen auf den Kunstmarkt gelangt. Im druckgrafischen Bereich sind das meist die Klassiker: Chagall, Miró, Dalí, Picasso. Bei Gemälden sind es Künstler der École de Paris, wie Louis Marcoussis, von denen wir zuletzt mehrere Fälschungen identifiziert haben.
arte Magazin Was hilft dabei, Fälschungen zu erkennen?
René Allonge Galeristen und Kaufinteressierte sollten sich über Kunstwerke, die plötzlich auf den Markt kommen, mit den anerkannten Experten beraten, die Provenienz genau prüfen und über eine Materialanalyse nachdenken.
arte Magazin Können Sie eigentlich noch unbefangen ein Museum besuchen und die Kunst genießen?
René Allonge Schwierig. Ich gehe mit anderen Augen durch ein Museum. Kunstfahnder schauen sofort nach Sicherungseinrichtungen; wir sind mit einer Berufsskepsis ausgestattet. Ich muss aber sagen: Dass es keine Beltracchi-Fälschung in ein staatliches Museum geschafft hat, sagt viel aus. Private Sammlungen sind anders gestrickt: Da wollen Menschen in einem Markt investieren, in dem nicht genügend Ware vorhanden ist – solche Engpässe nutzen Fälscher aus.
arte Magazin Wessen Kunst würden Sie gern besitzen?
René Allonge Mir gefallen Künstler aus Ostdeutschland: Walter Womacka, Neo Rauch. Ihr Malstil weckt Erinnerungen an meine Kindheit. Doch dafür reicht das Beamtengehalt nicht mehr.