Beschaulich, bunt – oder braun? Das sächsische Bautzen sorgte in den vergangenen Jahren immer wieder für negative Schlagzeilen. Erstmals im Februar 2016, als Unbekannte das zur Flüchtlingsunterkunft umgebaute Hotel Husarenhof anzündeten. Seitdem wurde oft über die 40.000-Einwohner-Stadt geschrieben, gesprochen und gestritten. Viele Einheimische halten den Ruf ihrer Stadt als rechtsextreme Hochburg für unfair, andere für realistisch. Fest steht: Bautzen ist zum Symbol einer polarisierten Gesellschaft geworden. Die Macher der zehnteiligen Dokureihe „Bautzen“, die ARTE ab dem 28. September zeigt, gehen noch einen Schritt weiter. Sie sehen die Stadt als exemplarisch für sozial-politische Konflikte in vielen ländlichen Gegenden Europas, in denen Populismus und eine fehlende Debattenkultur zur Spaltung geführt haben. Ausgehend davon und mit dem Wunsch, die Bürgerinnen und Bürger selbst zu Wort kommen zu lassen, haben sie 2019, im Jahr der Kommunal- und Landtagswahlen in Sachsen, sechs Monate lang mit einem Filmteam die Stimmung vor Ort eingefangen. Dabei begleiteten sie Menschen unterschiedlicher politischer Ansichten in ihrem Alltag und beleuchteten ihr Engagement – ohne jeden Kommentar. Darunter eine alleinerziehende Mutter und eine AfD-Wählerin, einen Abiturienten und eine Sozialarbeiterin sowie einen Stadtführer und eine syrische Flüchtlingsfamilie.
„Bautzen – Wir müssen reden!“
Der Brand des Husarenhofs hat den Ort verändert. Auch wenn ein rassistisches Motiv nie nachgewiesen wurde, ist die starke Präsenz von Rechten unstrittig. Im September 2016 trieben Neonazis junge Asylsuchende durch Bautzen, und bei den Stadtratswahlen im vergangenen Jahr wurde die AfD mit 23,2 Prozent zweitstärkste Partei. Angesichts der angespannten Atmosphäre rief Oberbürgermeister Alexander Ahrens im Februar 2019 mit der Veranstaltungsreihe „Bautzen – Wir müssen reden!“ die Menschen zum Dialog auf. Den Auftakt bildete ein medial viel beachteter Abend unter dem Motto „Zurück zur Sachlichkeit“ in der Maria-und- Martha-Kirche, der auch die Dokureihe einleitet. Thema: das Image der Stadt und eine faire Debattenkultur. Die Diskussion leiteten zwei stadtbekannte Akteure ein: Annalena Schmidt, parteilose Stadträtin der Grünen und Aktivistin gegen rechts, sowie Jörg Drews, Stadtrat für das Bürgerbündnis Bautzen und Bauunternehmer, bekannt für seine Spenden an die AfD und die Finanzierung sogenannter alternativer Medien. Als Schmidt auf die im Grundgesetz garantierte Meinungsfreiheit verwies, erntete sie höhnisches Lachen. Drews, besorgt über „Multikulti“, bekam von der Menge Zuspruch. So wurde es kein Abend der Versöhnung und Sachlichkeit, sondern der Beleidigungen und Beleidigten.
„Verlass die Stadt, sonst sorgen wir dafür!“
Im Vorfeld der Veranstaltung wurde Schmidt von der Polizei kontaktiert: Sie solle sich nicht um ihre Sicherheit sorgen. „Bis die Polizei anrief, hatte ich eigentlich keine Bedenken“, erzählt sie dem ARTE Magazin. Die promovierte Historikerin kam 2015 für eine Tätigkeit am Sorbischen Institut nach Bautzen und lernte schnell beide Gesichter der Stadt kennen: sowohl fremdenfeindliche Übergriffe als auch den Einsatz der Initiative „Bautzen bleibt bunt“, der sie sich anschloss. Ihr Engagement gegen Rassismus brachte ihr 2018 die Auszeichnung „Botschafterin für Toleranz und Demokratie“ ein – aber auch Anfeindungen. Nach einer Lesung zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus passte ein Mitglied der rechtsextremen Aryan Brotherhood Eastside sie auf dem Heimweg ab: „Verlass die Stadt, sonst sorgen wir dafür!“ Ein anonymer Anrufer drohte ihr: „Wir werden dich vergiften, du wirst langsam und qualvoll sterben.“ Demnächst wird Schmidt aus Bautzen wegziehen. „Mein Weggang ist jobbedingt, aber letztlich gesünder für mich.“ Es habe sie auf Dauer müde gemacht, ständig Nazi-Aufkleber und beleidigende Post im Briefkasten zu finden. Die Aktivistin fordert mehr Solidarität der Zivilgesellschaft und eine parteiübergreifende Einigung auf gewisse Werte. „Auch wenn wir uns über den Schutz des Wolfes streiten – bei der Verteidigung der Demokratie sollten wir uns einig sein.“ Hoffnung sieht die 34-Jährige in der neuen Generation. Damit Bautzen jedoch attraktiv für junge Menschen werde, müsse eine bessere Zuganbindung an Dresden her. Zudem wünscht sie sich, dass die Stadt mit ihrer sorbischen Minderheit offiziell auch den obersorbischen Namen Budyšin erhalte. „So kann niemand behaupten, die Stadt sei nur deutsch.“ Was sie an Bautzen vermissen werde und was nicht? Ihre Antwort verwundert kaum: „Menschen.“