Halb wach, halb im Traum

Gefördert von Rainer Werner Fassbinder entwickelte sich Hanna Schygulla zu einer Ikone des europäischen Kinos.

Hanna Schygulla, Porträt, Schauspiel
Foto: Dirk von Nayhauß_Agentur Focus

Einer der großen Filme über das Kino wurde Anfang der 1970er Jahre in einem Hotel am Meer in Spanien gedreht. Ein ganzes Team ist da versammelt und wartet auf den Beginn der Dreharbeiten, aber der Regisseur ist noch nicht da, die Finanzierung ist auch ungewiss; und so entsteht aus dem Aufschub und der Ungeduld eine ganz eigene Spannung. Rainer Werner Fassbinder versammelte damals für „Warnung vor einer heiligen Nutte“ eine ganze Riege von europäischen Stars: Lou ­Castel spielte den Regisseur Jeff, ­Eddie ­Constantine den alternden Star ­Eddie, ­Margarethe von ­Trotta eine Produktionssekretärin. Die Schauspielerin, die alle umschwirren, heißt einfach ­Hanna. Sie wurde von ­Hanna ­Schygulla gespielt, die damals auf dem Höhepunkt ihres jungen Ruhms war. Sie war ­Fassbinders größte Entdeckung, seine explosive Karriere war stark mit der kühlen Erotik der ­Schygulla verbunden. Kennengelernt hatten die beiden sich auf einer Schauspielschule in München, und bereits 1969 übernahm sie eine Hauptrolle: In „Liebe ist kälter als der Tod“ spielte sie eine Gang-sterbraut, die sich in einer Männerwelt zu behaupten versucht. Ein Jahr später dann eine kleinere Rolle in „Warum läuft Herr R. Amok?“ (1970).

Danach ging es Schlag auf Schlag: Die 1970er Jahre hindurch war ­Hanna ­Schygulla so etwas wie das Gesicht des Neuen Deutschen Films. Sie verkörperte ­Effi ­Briest von Fontane (die deutsche Madame ­Bovary) in der Literaturadaption von ­Fassbinder, sie war neben ­Nastassja ­Kinski in Wim ­Wenders’ Goethe-­Bearbeitung „Falsche Bewegung“ zu sehen und 1978 schließlich in der Rolle, mit der sie bis heute am stärksten assoziiert wird: „Die Ehe der ­Maria Braun“. ­Fassbinder hatte immer eine Vorliebe für starke Frauen, denen er dann hart zusetzte. Die ­Maria Braun, die Repräsentantin der jungen Bundesrepublik mit ihrem neuen Wohlstand und ihren alten Verletzungen, wurde in der Verkörperung durch ­Hanna ­Schygulla zu einer Symbolfigur. Das sagt sie auch selbst so in ­André ­Schäfers Filmporträt, in dem man sie an ihrem Hauptwohnsitz in Paris, in ihrer zweiten Heimat Berlin und in München sehen kann. Nach Bayern war Schygulla 1945 aus Schlesien gekommen – als Flüchtlingskind. Diese Erfahrung habe sie für das ganze Leben geprägt, wie sie oft betont.

Für das Kino brachte sie zuerst einmal eine Qualität mit, die sofort zu sehen, aber nicht leicht zu beschreiben ist: Ihr gelocktes Haar umfasste ein Gesicht, bei dem man an die Diven des frühen Stummfilms denken konnte. Frauen also, die gar keine Worte brauchten, um sich auszudrücken. ­Hanna ­Schygulla war als Schauspielerin immer eine starke Frau, auch dort noch, wo sie, wie die ­Effi ­Briest, eigentlich ein Opfer widriger Verhältnisse ist. In den 1980er Jahren wurden ihre Rollen zunehmend internationaler. Sie hätte sich wohl auch so aus dem Fassbinder-­Kosmos allmählich emanzipiert, sieht ihn nach dessen frühem Tod 1982 aber für immer als einen Lebensmenschen. Eine eigentümliche Figur spielte sie 1981 in „Die Fälschung“ von ­Volker Schlöndorff, der im Libanon gedreht wurde: Schygulla ist da als eine Grenzgängerin zwischen Orient und Abendland zu sehen. Zwei Jahre später besetzte der italienische Skandalregisseur ­Marco ­Ferreri sie dann neben ­Ornella ­Muti in einem Drama über verschiedene Formen der Mütterlichkeit: „Die Zukunft heißt Frau“.

Hanna Schygulla

Porträt

Mittwoch, 17.11. — 21.55 Uhr
bis 16.11.2022 in der Mediathek

Hanna Schygulla, Film
Hanna Schygulla spielte ab Ende der 1960er zahlreiche Rollen in Filmen und Theaterstücken des Regisseur-Genies Rainer Werner Fassbinder. Foto: ddp images

Der Glanz der großen Zeit des Kinos
Mit dem Drehbuchautor Jean-Claude ­Carrière hatte ­Hanna ­Schygulla eine lange Beziehung, er wollte aber kein Kind, und so ist sie selbst kinderlos geblieben. Heute sind es junge Regisseure, die sich von einem Auftritt von ­Hanna ­Schygulla etwas vom Glanz der großen Zeit des Kinos erhoffen, die sie geprägt hat. Hans ­Steinbichler zum Beispiel, der sie in „Winterreise“ (2006) als verletzlichen Gegenpol zu dem robusten ­Josef ­Bierbichler brauchte. Oder ­Fatih ­Akin, der sie 2007 in seinen Ensemblefilm „Auf der anderen Seite“ holte.

In zwei Jahren wird ­Hanna ­Schygulla 80. Sie ist nach wie vor sehr aktiv. So trat sie als Künstlerin hervor, mit filmischen Traumprotokollen, in denen sie ihre Erfahrungen während des Schlafens einzufangen versuchte. Auch ihre Autobiografie spielt mit diesem Motiv: „Wach auf und träume“ nannte sie das Buch. Von den Stars des frühen Kinos heißt es, sie wären in den besten Momenten so etwas wie Schlafwandler gewesen, Wesen am Übergang zwischen Bewusstsein und Unbewusstem. Das ist auch eine gute Beschreibung für die Magie, mit der ­Hanna ­Schygulla das Kino bereicherte und die ­Fassbinder in ihr gesehen hat. Für den besonderen Wachzustand, in den uns das Traummedium Kino versetzt, ist sie bis heute eine Schutzheilige.

Rainer hat mich in einer Zeit aufgegriffen, in der ich sehr introvertiert war

Hanna Schygulla, Schauspielerin