Wie wenig Kunst und Politik zu trennen sind, zeigt die jüngste Protestwelle von Klimaaktivisten: Im Potsdamer Museum Barberini bewarfen sie ein Gemälde von Claude Monet mit Kartoffelbrei, in der Londoner Nationalgalerie traf Tomatensuppe ein Werk von Vincent van Gogh und im Den Haager Kunstmuseum Mauritshuis klebten junge Aktivisten ihre Körper an Jan Vermeers „Mädchen mit dem Perlenohrring“. Solange es keine Klimarettung gibt, wollen sie ihre Aktionen fortsetzen, so die streitbare Ankündigung. Was wohl der Jugendstil-Künstler Heinrich Vogeler (1872–1942), dem ARTE im Dezember ein Dokudrama widmet, dazu gesagt hätte? Verstand er sich doch lange als Klassenkämpfer, der mit seinen Werken gesellschaftliche Veränderungen anstoßen wollte. Würde er die radikale Protestform gutheißen oder sie – wie viele lebende Kunstschaffende – als Kränkung empfinden?
Heinrich Vogeler kam im Dezember 1872 als Sohn einer Kaufmannsfamilie in Bremen zur Welt. Früh verspürte er den Drang, Naturstudien und Märchen-Kompositionen zu malen. Mit 18 Jahren begann er ein Studium an der Düsseldorfer Kunstakademie. Als sein Vater 1894 starb, kaufte sich Vogeler mit seinem Erbe ein Gelände am Weiherberg am Rande des niedersächsischen Dorfs Worpswede. Vogeler wollte alles, was ihn umgab, ästhetischer machen: „Er war ein manischer Verschönerer“, beschreibt der Romanautor Klaus Modick, der 2015 einen Spiegel-Bestseller über ihn veröffentlichte, den Künstler. So erging es auch dem von Vogeler zum Jugendstiljuwel umgebauten Anwesen Barkenhoff, das zum Zentrum der Worpsweder Künstlerkolonie wurde. Zum kreativen Kollektiv gehörten auch Otto Modersohn, Paula Modersohn-Becker und Rainer Maria Rilke. Bei Künstlersoirées rezitierten die prominenten Gäste Gedichte, präsentierten ihre neuen Werke und musizierten. Vogeler wurde mit seinem Weltflucht-Jugendstil zum Liebling des Bürgertums. 1901 erwies sich als der Höhepunkt der Worpsweder Idylle: Vogeler heiratete seine langjährige Muse, Martha Schröder, mit der er drei Töchter bekam; Rilke und die Bildhauerin Clara Westhoff sowie die Modersohn-Beckers taten es ihnen gleich.
Im Kampf für den Sozialismus
Doch das Leben am Barkenhoff erfüllte Vogeler auf Dauer nicht. Seine Ehe geriet in eine Krise; in Paris entdeckte Vogeler die Moderne und suchte nach einer neuen künstlerischen Orientierung – weg von der von Wirklichkeitsflucht geprägten Kunst, die damals die Wände der Reichen schmückte. Vogelers Werk „Sommerabend“ von 1905 sieht nur noch auf den ersten Blick idyllisch aus, die Worpsweder Szene wirkt distanziert; der Zenit der Künstlerkolonie war überschritten. Nach der Trennung von Martha und der Gefälligkeit seiner Kunst überdrüssig, zog Vogeler 1914 in den Ersten Weltkrieg. Schnell erschütterten ihn die Gräueltaten des Kriegs. Nachdem er einen Protestbrief („Märchen vom lieben Gott“) an den deutschen Kaiser gerichtet hatte, wurde Vogeler 1918 verhaftet und für 63 Tage in eine Irrenanstalt eingewiesen. Der ihn behandelnde Arzt kannte Vogeler und entließ ihn mit einem Attest. Von Krieg und Gefangenschaft geprägt, wurden die Werke des Künstlers in der Folge eindeutig politisch. Er schloss Kontakte zu den Bremer Sozialisten und trat Mitte der 1920er Jahre der KPD bei. Sein neuer Kunststil wird fortan dem sozialistischen Realismus zugeschrieben. Vogeler solidarisierte sich mit der Arbeiterklasse, er wollte von nun an eine gerechtere Welt vorantreiben. Ermutigt von der Gründung der Weimarer Republik machte er den Barkenhoff zur Kommune und verschenkte sein gesamtes Hab und Gut an die Dorfgemeinschaft.
Nachdem er sich auf einer Sowjetunion-Reise in die Tochter eines Lenin-Vertrauten verliebt hatte, beschloss er, 1931 nach Moskau auszuwandern und sich in den Dienst des Sozialismus zu stellen. Dort malte er etwa die „Komplexbilder“, die sein Spätwerk maßgeblich prägten: große, bunte Prismen aus Alltagsszenen – zum Teil kombiniert mit Sowjet-Symbolen. „Was mich an Vogeler überzeugt, ist der Gedanke, dass Kunst in alle Lebensbereiche hineindringen sollte und das Potenzial hat, die Gesellschaft zu verändern“, so Eva Fischer-Hausdorf, Kuratorin der Kunsthalle Bremen. Aus der Ferne engagierte sich Vogeler antifaschistisch gegen die NS-Diktatur und arbeitete mitunter für das Magazin Das Wort, das von Exil-Deutschen wie Bertolt Brecht publiziert wurde. Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion wurde Vogeler, der keinen Sowjet-Pass besaß, in eine kasachische Kolchose zwangsevakuiert. Entkräftet starb er dort im Alter von 69 Jahren.