Nein, in den Himmel wolle er nicht, lieber in die Hölle, da treffe man die spannenderen Typen, feixte Freddie Mercury 1985 in einem Interview. Dann zog er genüsslich an einer Zigarette und sagte: „Wenn ich tot bin, wen juckt’s? Mich nicht!“ Ein Understatement, das sich leicht als britischer Humor enttarnen lässt. Denn der Queen-Sänger wusste genau, dass ihn seine Fans wie einen Heiligen verehrten. Ernster war es ihm mit dem Vermächtnis an seine Bandkollegen, wenige Tage bevor er 1991 an Aids starb: „Macht mit meiner Musik, was ihr wollt. Aber lasst mich nicht langweilig dastehen.“
Die verbliebenen Mitglieder von Queen gaben ihr Bestes. Nach einem Tribute-Konzert 1992 im Londoner Wembley-Stadion, bei dem eine aus heutiger Sicht unwirklich erscheinende Ansammlung an Musikern auftrat – darunter David Bowie, Elton John, Annie Lennox, George Michael, Metallica und Guns n’ Roses –, war es lange Zeit still um die Band. 2004 erfolgte schließlich ein erstes Comeback mit dem hemdsärmeligen Sänger Paul Rodgers; 2012 dann ein zweites mit dem wesentlich glamouröseren Adam Lambert. Der vormalige Musicalsänger hatte sich durch „American Idol“ gearbeitet und durfte im Finale der Casting-show mit Queen performen. Aber qualifizierte ihn das ernsthaft als Nachfolger des großen Freddie Mercury? Knapp ein Jahrzehnt und eine mehrjährige, ausverkaufte Welttournee später besteht daran kein Zweifel, wie die ARTE-Dokumentation „The Show Must Go On! Die Queen-Jahre mit Adam Lambert“ zeigt. Auch wenn Lambert auf der Bühne und abseits davon immer wieder beteuert, dass er niemals an Mercury, dieses Jahrhunderttalent, heranreiche – die Queen-Fans haben ihn ganz offensichtlich ins Herz geschlossen.
Stars der Kindheit und Jugend
So wie Freddie Mercury ergeht es mittlerweile immer mehr Verstorbenen der Rock- und Popwelt. Ob mittels Tribute-Act (Syd Barrett), Musical (Michael Jackson) oder gleich als Hologramm (Tupac) – das Geschäft mit der Illusion boomt und wirft Millionen ab. Doch woher kommt die große Sehnsucht, tote Helden auf irgendeine Art und Weise zurück auf die Bühne zu befördern? „Fans sehnen sich immer nach den Stars ihrer Kindheit und Jugend, also aus der prägenden Phase ihrer musikalischen und kulturellen Sozialisation“, sagt Pop-Experte Jens Balzer. Dessen jüngst erschienenes Buch „High Energy: Die Achtziger – das pulsierende Jahrzehnt“ würdigt Freddie Mercury ebenfalls – als Musiker und Modeikone („der Mann, der Spandexhose und Aerobic-Dress auf die Bühnen brachte“). Wie Balzer betont, ging speziell in den 2010ern „eine große Nostalgiewelle durch die Popkultur“; die Häufung von Tribute-Events sei ein Ausdruck davon. „Unter den Bedingungen unserer fragmentierten und enorm beschleunigten Medienwelt wird es keine Popstars vom Rang von Elvis oder Freddie Mercury mehr geben“, konstatiert Balzer. Bedient werde daher die Sehnsucht nach einer Zeit, in der noch Stars von globaler Geltung existierten. „Stars, die überlebensgroß, unerreichbar, rätselhaft erschienen – anders als die kurzlebigen Popstars von heute, die über soziale Medien dauernd mit ihrem Publikum kommunizieren. Instagram, TikTok & Co. haben die magische Aura des Popstars gekillt.“
Wie die Zukunft des Live-Entertainments aussehen könnte, wenn die Rock- und Pophelden alter Schule endgültig abgedankt haben, war erstmals in einer Nacht im Jahr 2012 zu erleben: Auf dem Coachella-Festival in der kalifornischen Wüste erschien damals eine leuchtende Gestalt mit tief hängenden Jeans und goldenem Kreuz vor dem tätowierten Körper – das lebensgroße Hologramm des 1996 erschossenen Rappers Tupac Shakur. Seit dieser Nacht sind zahlreiche weitere Musiker und Musikerinnen mit Hightech-Lichteffekten reanimiert worden, etwa Whitney Houston, Buddy Holly und Roy Orbison. Natürlich nicht nur den Fans zuliebe. Noch spielen Hologramm-Events zwar nicht so viel ein wie eine ausverkaufte Stadion-Tour von Queen mit Adam Lambert. Aber die Branche wächst gewinnbringend. Laut der Fachzeitschrift Pollstar warf die US-Tour des Holo-Orbison 1,5 Millionen Euro ab.
Dabei stößt derartige Weiterverwertung von toten Künstlern nicht nur auf Begeisterung. Prominenter Kritiker der Hologramm-Shows ist Simon Reynolds, britischer Kulturjournalist und Autor des Buchs „Re-tromania: Warum Pop nicht von seiner Vergangenheit lassen kann“. Er bezeichnet die auf Lichteffekten basierenden Darbietungen als „Geister-Sklaverei“, betrieben von geldgierigen Managern. Was Freddie Mercury wohl dazu sagen würde? Auch er steht bei aktuellen Queen-Shows – dank cleverer 2D-Projektion – wieder auf der Bühne. Überlebensgroß. Trotz Adam Lambert.