„Ich gehe in den Unruhestand“

Gerade habe ich einen Schulaufsatz gefunden, den ich 1951 mit zehn Jahren geschrieben habe,“ erzählt ­Senta ­Berger. „Darin steht: ‚Ich hoffe, dass mein Wunsch, Schauspielerin zu werden, in Erfüllung geht.‘ Das hat mich sehr gerührt.“ Im Mai wird die geborene Wienerin 80 Jahre alt. Nicht nur ist ihr Berufswunsch in Erfüllung gegangen – Rollen wie in „Mit teuflischen Grüßen“ (1967), „Satte Farben vor Schwarz“ (2010) oder „Unter Verdacht“ (2002–2019) machten sie zur Ikone. Im Drama „An seiner Seite“ (2021) von ­Felix ­Karolus spielt ­Senta Berger­ eine Frau, die ihr Leben damit verbracht hat, ihren Mann, einen gefeierten Dirigenten, zu unterstützen und ihre eigenen Interessen hintanzustellen – ganz anders als in ihrem echten Leben. Ein Gespräch über richtige Entscheidungen, Emanzipation und Stärke.

arte magazin Frau Berger, am 13. Mai werden Sie 80 Jahre. Fühlt sich dieses Alter abstrakt oder real an?
Senta Berger Noch ist die 80 eine Zahl auf der Torte. Aber mein Körper wird mir schon sagen, dass es acht mal zehn Jahre sind. Diese Zeit kann man nicht wirklich fassen und schon gar nicht an Geburtstagen. Ich wundere mich ein wenig über diesen 80. Geburtstag – wollte ich nicht eben noch 18 werden? Aber ich bin auch dankbar, dass ich diesen weiten Weg gehen konnte.

arte magazin Vor zehn Jahren konnten Sie noch ein Rad schlagen – geht das immer noch?
Senta Berger Ach, gleich gehe ich in den Garten und probiere es. Es wird nicht leicht und elegant aussehen, ich werde weich ins Gras fallen. Aber immerhin, ich versuche es.

arte magazin Rückblickend wirkt Ihr Leben wie aus dem Bilderbuch: Erfolge im Theater und Film, inklusive Hollywood. Und das, obwohl Sie aus der Schauspielschule flogen…
Senta Berger Auch in einem Bilderbuch gibt es Katastrophen und Abstürze und, ja, oft auch ein glückliches Ende. Ich war die jüngste Studierende an der Schauspielschule, am Max ­Reinhardt Seminar in Wien. Wir Schauspielschüler hatten in den 1950er Jahren nicht viel Geld; jeder finanzierte sich das Studium mit Nebenjobs. Ich bekam eine sehr kleine Rolle in einem amerikanischen Film von ­Anatola ­Litvak angeboten, der in Wien gedreht wurde – und hätte die Rolle nicht annehmen dürfen. Ein kleines Szenenfoto in einer Wiener Tageszeitung kostete mich das Studium.

arte magazin Und doch war es die richtige Entscheidung.
Senta Berger Das kann man sagen. Sechs Wochen später hatte ich am Theater in der Josefstadt meine erste Premiere. Da war sicherlich Glück mit im Spiel. Aber auch Mut und Kraft einer noch Unwissenden und die Intuition, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Oft zumindest.

arte magazin Gab es viele Rückschläge in Ihrer Karriere?
Senta Berger Selbstverständlich gibt es gerade in den unwägbaren Berufen der Künstler lange Durststrecken, Zweifel am Beruf, aber hauptsächlich an einem selbst. Das Theater war früher eine feste Institution. Es gab ein festes Ensemble und ich konnte jederzeit an ein österreichisches oder deutsches Theater von einer mehr oder weniger frustrierenden Filmarbeit zurückkehren. Diese Wahl stand mir immer offen und beruhigte mich. Zudem gründeten mein Mann ­Michael ­Verhoeven und ich sehr früh unsere eigene Produktionsfirma, die Sentana Filmproduktion – ich war gerade mal 24. Trotz jeder Menge Rückschläge war das eine meiner besten Entscheidungen im Leben.

arte magazin In den 1960ern sind Sie nach Hollywood gegangen und haben mit Filmgrößen wie Kirk Douglas gedreht. Hat das Ihr Umfeld beeindruckt?
Senta Berger Meine kleine Familie in Wien war nicht sonderlich beeindruckt, nein. Meine Mutter hatte immer schon ein sehr gutes Verhältnis zu den Realitäten des Lebens. Was zählt wirklich? Die Namen der Hollywoodstars und die millionenschweren Filme, die ich damals drehte, bedeuteten ihr gar nichts. Sie fragte mich: Bist du glücklich? Und ich war unsicher und musste darüber nachdenken.

arte magazin Haben Sie Hollywood deshalb nach ein paar ­Jahren wieder den Rücken gekehrt?
Senta Berger In den 1960er Jahren veränderte sich alles. Die ganze Gesellschaft. Die Garde der Regisseure, die heute als große Meister des amerikanischen Films gelten, war jung, gegen das Studiosystem und gegen Filme, die nichts über Amerika aussagten. Ich fand diese Bewegung großartig und wusste gleichzeitig, dass in diesen Filmen kein Platz für mich war. Ich hatte einen kleinen „continental“ Akzent – bis heute – und konnte kein Mädchen aus Atlanta spielen und keines aus New York. Ich war jung, 28, und hatte keine Lust, auf etwas zu warten, das sich vielleicht niemals ereignen würde. Außerdem hatte ich interessante Angebote aus Italien und Frankreich. Also packten mein Mann und ich unsere Koffer.

arte magazin Als Schauspielerin haben Sie Leben und Karriere ganz anders gestaltet als die Protagonistin, die Sie im ARTE-Film „An seiner Seite“ spielen: Charlotte Kler, die ihre eigenen Interessen aufgegeben hat, um ihrem Mann, einem Dirigenten, den Rücken freizuhalten. Was hat Sie an dem Drehbuch und der Rolle interessiert?
Senta Berger In meinem Alter kommt einem die Kindheit und Jugend wieder sehr nahe. Man denkt an allerlei herum. Auch daran, wie sich das Leben gestaltet hat und wie es sich hätte gestalten können. Man hat nur ein Leben und versäumt immer ein anderes. Charlotte kehrt in die Stadt zurück, in der sie jung war, und wird von Erinnerungen überfallen. So geht es mir immer, wenn ich in Wien bin. Wien, meine Stadt bis heute, habe ich irgendwie versäumt. Charlotte unterstützt ihren Mann und dessen Talent, an das sie künstlerisch nicht heranreicht. Das ist ihre Aufgabe, die sie nicht in Zweifel zieht – bis zu dem Punkt, an dem sie diese Aufgabe nicht wertgeschätzt sieht.

arte magazin Man hat ständig den Eindruck, Charlotte würde von ihrem Mann bevormundet werden.
Senta Berger Ich sehe das nicht so. Ich sehe Charlotte nicht als Opfer. Ich kenne einige Frauen „an seiner Seite“, an denen kein Weg vorbeiführt. Keine Konzertanfrage, kein Pressetermin – der Frau im Hintergrund kommt gerade im künstlerischen Bereich eine bedeutende Rolle zu. Nur die Selbstverständlichkeit, mit der der große Künstler und Ehemann ihre Arbeit in Anspruch nimmt und dabei ganz die Frau, die Geliebte vergisst, das schmerzt. Und diese Geschichte erzählt der Film.

arte magazin Sie sind selbst seit 55 Jahren mit dem Regisseur Michael Verhoeven verheiratet. Wie ein Dirigent, der die Musiker im Orchester leitet, formt und lenkt ein Regisseur seine Schauspieler. Hatten Sie jemals das Gefühl, sich künstlerisch von Ihrem Mann emanzipieren zu müssen?
Senta Berger „Formt und lenkt“ hört sich irgendwie nach Hundetraining an, nicht nach Regie. Die Zusammenarbeit mit dem Team und die Arbeit mit den Schauspielern sind ein Geben und Nehmen, ein Anbieten und gemeinsames Wählen, ein Vorschlagen und Annehmen oder Abschlagen – auf jeden Fall ist es Verschwörungsarbeit. Hierarchien, in denen von oben nach unten verteilt wird, kenne ich als erwachsener Mensch nicht. Mein Mann und ich waren sehr jung, als wir das Abenteuer des Zusammenlebens gewagt haben. Wir haben uns immer als zwei eigenständige Menschen begriffen und uns gegenseitig zu unseren Besonderheiten und Notwendigkeiten ermutigt.

arte magazin In einem Interview 2013 sagten Sie, die Emanzipation habe den Frauen eine größere Last auf die Schultern gelegt. Wie meinten Sie das genau?
Senta Berger Vor Jahrzehnten wünschten sich Frauen eine ebenso groß gefächerte Berufswahl, wie Männer sie hatten. Heute haben sie die Wahl – und doch wird die Last der alltäglichen Mühen in den seltensten Fällen von den Männern geteilt. Die Frauen werden doppelt belastet, ohne die finanzielle Gleichstellung jemals erreicht zu haben. Seit 50 Jahren reden wir darüber.

arte magazin Ihr Sohn Simon sagte als 14-Jähriger zu Ihnen: „Du bist eine starke Frau, du hast immer eine Meinung!“ Würden Sie sich selbst als starke Frau bezeichnen?
Senta Berger Nein. Oder ja. Stark im Sinne von „sich nicht unterkriegen lassen“? Ja, ich glaube, das bin ich. Und das muss man auch sein, wenn man Verantwortung für eine Familie hat. Stark im Sinne von „zupacken können“? Ja, das kann ich und das muss man einfach auch lernen, wenn man einigermaßen gut durchs Leben kommen will.

arte magazin Haben Sie vor, sich mehr aus dem Film zurückzuziehen?
Senta Berger  Ja. Ich bin in diesem unwägbaren, herrlichen, gefährlichen Beruf seit meinem 17. Lebensjahr. Nun ist es gut. Ich ziehe mich aber nicht prinzipiell zurück. Wenn Arbeiten kommen, die mich herausfordern und mir Vergnügen bereiten, werde ich sie annehmen. Ich gehe in den Unruhestand.