Ein junger, mittelloser Designer hatte in den 1960er Jahren eine revolutionäre Idee: Die Massenproduktion von Kleidungsstücken, die inspiriert sind von den Designs der Luxusmarken, der Haute Couture. Sein erstes Atelier eröffnete er in einer ehemaligen Autowerkstatt im galizischen A Coruña im Norden Spaniens. Heute zählt der Mann, sein Name ist Amancio Ortega, zu den reichsten Menschen der Welt. Allein seine Modekette Zara hat 2.000 Filialen – mit Standorten an eindrucksvollen Orten: etwa der Place de l’Opéra in Paris, in der historischen Innenstadt von Rom, auf der 5th Avenue in New York.
Um es dorthin zu schaffen, hat Ortega, inzwischen 85 Jahre alt, mit Zara und dem dazugehörigen Mutterkonzern Inditex ein umstrittenes Prinzip des Kapitalismus in der Modewelt verwirklicht: Geschwindigkeit als oberstes Gebot. So wurde nicht nur das Wachstum der Unternehmen beschleunigt, auch die Mode selbst sollte möglichst schnelllebig werden. Kombiniert mit der Produktion in Niedriglohnländern entstanden immer mehr Kollektionen zu immer erschwinglicheren Preisen – die sogenannte Fast Fashion war geboren, zu deren führenden Vertreter auch Modeketten wie H&M, Primark und KiK zählen.
Mittlerweile hat dieses Geschäftsmodell unser Verhältnis zu Bekleidung grundlegend verändert. Nie zuvor haben Menschen so viele Textilien hergestellt und konsumiert wie heute: Greenpeace schätzt ihre Summe auf 100 Milliarden Stück pro Jahr. Die absurden Ausmaße dieser Überproduktion zeigen sich im Zuge der Corona-Krise besonders deutlich: Als die Läden wegen des Lockdowns schließen mussten, stapelten sich innerhalb kurzer Zeit Millionen unverkaufter Kleidungsstücke in den Lagern. Doch vieles spricht dafür, dass die Pandemie der Textilbranche nur einen vorübergehenden Dämpfer verpasst.
Bis 2030 wird ihr ein Wachstum von weiteren 60 Prozent prognostiziert. Der Preis dafür ist hoch: Fast Fashion richtet massive Schäden für Mensch und Umwelt an – vor allem in den Ländern des Globalen Südens. Die ARTE-Dokumentation „Fast Fashion – Die dunkle Welt der Billigmode“ blickt hinter die Kulissen der Branche und zieht ein düsteres Fazit: Die führenden Konzerne wollen glauben machen, dass sie auf die Kritik reagierten und nachhaltiger produzierten. Betrachtet man die Zahlen, scheint genau das Gegenteil zu passieren: Die Modewelt beschleunigt sich weiter und weiter.
Die jüngste Welle an Modefirmen verzichtet hierzu komplett auf Kauffilialen und verlegt ihr Geschäft ausschließlich ins Internet. Ultrafast Fashion nennt sich dieser Trend und bedeutet letztlich: Kleidung in noch größeren Mengen zu noch niedrigeren Preisen. Die Hauptzielgruppe: 14- bis 18-Jährige. Vor allem die Werbemöglichkeiten der sozialen Medien – perfektioniert durch Experten des Neuromarketings – beeinflussen das Kaufverhalten der sehr jungen Kunden. Mode wird so immer mehr zur Droge.
Konsum ohne Kontrolle
Inzwischen weiß man, dass die Nutzung von sozialen Medien, insbesondere die positive Verstärkung in Form von ,Likes‘, eine ähnliche Reaktion im Gehirn hervorruft wie Drogen oder Glücksspiel“, sagt Alexander Genevsky, Neurowissenschaftler an der Universität Rotterdam. So werde beim Einkaufen auf Social-Media-Plattformen wie Facebook oder Instagram – dem sogenannten In-App-Shopping – ganz gezielt das Belohnungszentrum aktiviert, also jene zentrale Schaltstelle, die Erlebnisse als „wünschenswert“ im Gedächtnis abspeichert. Einkaufen via App löse ähnlich drastische Empfindungen aus wie das Einkaufen nach einem Lotteriegewinn, vergleicht Genevsky. Gewöhnt sich das Gehirn an diesen Effekt, entstehe ein Drang zur Wiederholung.
„Wenn Menschen also konstant weiter shoppen, auch wenn dies zu negativen Auswirkungen auf ihr Leben führt, kann das als Sucht eingestuft werden“, sagt der Experte. Anders als bei Drogen oder Alkohol handle es sich bei dieser Form der Verhaltenssucht zwar nicht um eine körperliche Abhängigkeit, doch die neurochemischen Prozesse im Gehirn seien ähnlich. Wie keine andere Branche wisse die Textilindustrie – insbesondere im Bereich Fast Fashion – diesen Effekt für sich zu nutzen. In den vergangenen 20 Jahren hat sich der Konsum von Mode in Europa verdoppelt. Mit mehr als 60 Artikeln pro Jahr shoppen die Deutschen mit am meisten, nur die Briten kaufen mehr.
Überraschenderweise trägt gerade die junge Generation, der ein starkes Bewusstsein für Umwelt- und Menschenrechtsfragen nachgesagt wird, mit zu dieser Entwicklung bei. Laut einer Studie des Marktforschungsinstituts YouGov kaufen zwei Drittel der 18- bis 24-Jährigen ihre Kleidung bei Fast-Fashion-Anbietern. Wichtigstes Kaufargument laut der Umfrage: der günstige Preis. Nachhaltigkeit spielt auch in Zeiten von „Fridays for Future“ eine geringe Rolle. Nur 21 Prozent gaben „Langlebigkeit“ als wichtiges Kriterium an.
Als der spanische Pionier Amancio Ortega begann, sein Netzwerk von Zara-Filialen aufzubauen, war nicht absehbar, wie schnell aus der Maxime „Mode für die Massen“ ein Problem für die Gesellschaft werden würde. Inzwischen schließt Zara zunehmend Filialen und verlagert den Handel – ins Internet.
Hinter diesen neuen Modefirmen stecken Informatiker, aber auch Hirnforscher und Psychologen