Mein Verhältnis zu Glaube und Gott hat sich verbessert dank dieser Rolle“, sagt Lars Mikkelsen. Das ist erstaunlich. Denn das Bild, das die Figur des dänischen Schauspielers in der 20-teiligen Serie „Die Wege des Herrn“ abgibt, ist wahrlich nicht das eines Heiligen. Pfarrer Johannes Krogh ist alkoholkrank, herrschsüchtig und arrogant. Während er mit seiner Familie verzweifelt versucht, eine seit 250 Jahren bestehende Pfarrerdynastie im modernen Kopenhagen fortzuführen, geht er zwar nicht im kriminellen Sinne über Leichen. Aber der Geistliche besitzt einen ähnlich ambivalenten und toxisch männlichen Charakter wie die großen Serien-Antihelden der vergangenen Dekaden – Walter White in „Breaking Bad“ und Francis Underwood in „House of Cards“. „Der Pfarrer“, sagt Mikkelsen im Gespräch mit dem ARTE Magazin, „ist voller Liebe – und dennoch zum Verzweifeln. Nachdem man ihm eine Weile zugesehen hat, fragt man sich unweigerlich: Wird dieser Mann jemals irgendetwas lernen?“
Schon in der ersten Staffel war diese Ambivalenz deutlich geworden: Als der Druck und der Frust wieder einmal zu groß sind, sieht man Pfarrer Johannes flüchten. In die billigen Kneipen, die Absteigen. Und er säuft. Und säuft. Und säuft. Tagelang. Als ihn einer seiner Mitarbeiter auffindet und nach Hause schleppt, ist klar: Die anstehende Bestattung muss jemand anderes vornehmen. Johannes’ jüngerer Sohn August (Morten Hee Andersen), ebenfalls Pfarrer, will einspringen. Doch als die ersten Trauergäste die Kirche betreten, erscheint plötzlich auch der Vater – torkelnd, in vollem Pastorengewand. Glaubt er, er sei es dem Toten schuldig? Oder sich selbst? Oder Gott? Er will predigen. Für den Protest seines Sohnes hat er nur Spott übrig. „Verzieh dich! Du bist schon immer nur ein kleiner Streber gewesen“, zischt Johannes und schubst August weg. Wenig später hält er seine Predigt – vor voll besetztem Haus. Schwitzend, mit stockender Stimme, aber trotzig und mit Verve. „Gnade sei mit euch. Und Friede!“
Lars Mikkelsen – in der Erfolgsserie „House of Cards“ als russischer Präsident Viktor Petrov zu sehen – wurde für seine Rolle in „Die Wege des Herrn“ mit dem International Emmy Award ausgezeichnet. „Die 20 Folgen“, betont er, „waren von Anfang an als eine in sich geschlossene Erzählung angelegt, die sich damit beschäftigt, wie wir als Menschen mit den großen Themen des Lebens umgehen: Liebe und Vergebung, Schmerz und Tod.“ Nach „Borgen – Gefährliche Seilschaften“ ist es für Mikkelsen bereits die zweite international erfolgreiche Serien-Zusammenarbeit mit dem Drehbuchautor Adam Price, ebenfalls Däne.
„Diese Geschichte ist ein großes Drama – in vielen Facetten bigger than life“, sagt Mikkelsen und lobt die „schöpferische Freiheit“, die ihm das Drehbuch gelassen habe. „Du kannst als Schauspieler am besten die Emotionen zeigen, die du selbst erlebt hast. Vieles, was Johannes umtreibt, kenne ich. Natürlich nicht ganz so extrem – zum Glück.“
Dass der Kampf um Anerkennung von Pfarrerssohn August in der ersten Staffel vergeblich bleibt und tragisch endet, sorgt bei dessen Vater in der zweiten Staffel kaum für Demut. Zu verbissen hält er an den Prinzipien fest, die ihm sein Glaube und die Familientraditionen vermeintlich diktierten. „Dabei zeigt der Fall sehr deutlich, dass es immer der Mensch ist, der es vermasselt, und nicht irgendeine Religion“, so Mikkelsen. Er selbst habe sich in der Vorbereitung auf die Serie intensiv mit der Bibel und mit Predigten auseinandergesetzt. „Ich habe gelernt: Am Ende geht es immer um das Verhältnis zwischen uns Menschen – und darum, diese Leere zu füllen.“ Wenn man morgens im Badezimmer steht, sagt er, und einem dabei versehentlich die Zahnbürste in die Toilette falle – „zu wem sprichst du da, wenn du sagst: ‚What the fuck?‘ Nur zu dir selbst? Nein! Wir wünschen es uns so sehr, dass da mehr ist.“
Wie sein Seriencharakter wohl mit einer gefährlichen Pandemie umgegangen wäre? „Kommt sicher drauf an, ob es den Johannes am Anfang oder den am Ende der Serie getroffen hätte. Im zweiten Fall hätte er einfach akzeptiert, was ist – und weniger gekämpft.“