Auf einer Heizung. Das Leben von Jane Birkin, es begann zehn Tage vor Weihnachten 1946 in einem Londoner Krankenhaus auf den gusseisernen Rippen eines Heizkörpers. Sie war mit siebeneinhalb Monaten eine Frühgeburt, ein zu kleines Wesen Mensch, und weil es damals noch keine Inkubatoren gab, legte die Hebamme das Baby in einen Kasten, eine feuchte Windel darüber und stellte alles auf die Heizung.
Womöglich hat Jane Birkin nie darüber sinniert, ob diese Frühgeburt Folgen für ihr späteres Leben haben würde. Aber sie hatte wohl da-rüber nachgedacht, ob sie später ein besonders ausgestelltes Leben führen müsste, um anderen zu gefallen. Die Antwort lautete, um es vorwegzunehmen: ja.
Dass ihr Vater auf den Namen Jane kam, mag Zufall gewesen sein. Allerdings hieß auch ein sexy Cartoon-Mädchen so, das während des Krieges jeden Tag knapp bekleidet in der englischen Zeitung Daily Mirror zu sehen war. Ein Vorzeichen für Jane Birkins Leben?
Das konnte Ende der 1940er Jahre niemand wissen, aber Birkins Mutter war die britische Schauspielerin Judy Campbell. Es waren also Kinderjahre zwischen Bühnen, Scheinwerfern und einem Internat auf der Isle of Wight, in denen Birkin aufwuchs. Und so nahm das frühe Künstlerdasein seinen Lauf: Unbeschwert und wie eine Novizin das Wesen des Schauspiels erkundend, drehte Jane Birkin mit ihrem Bruder Andrew erste kleine Filme, beschloss, sich aus der Ferne in den Sänger Cliff Richard zu verlieben, und war tieftraurig, als sie von Marilyn Monroes Tod erfuhr. „Das arme, herrliche Geschöpf“, notierte sie in ihrem Tagebuch.
Sie fuhr nach Paris, um sich eine Delacroix-Ausstellung („sehr schön, aber zu viel Sex“) anzusehen. Dabei wurde sie, vor dem Haus der verstorbenen Edith Piaf stehend, von Fotografen mit der französischen Sängerin Françoise Hardy verwechselt. Birkin war zu diesem Zeitpunkt 16 Jahre alt, hatte lange Haare, einen Ponyschnitt und große, neugierige Augen. Mit ihren Eltern lernte sie den Regisseur Carol Reed kennen, den sie fragte, ob sie auch Schauspielerin werden könnte, wobei Reeds Antwort von ihr mit den Worten zitiert wird: „Kommt darauf an, ob die Kamera dich liebt.“
Es mag ein dahingesagter Satz gewesen sein, aber von dem Moment an sah Jane Birkin jede Kamera mit anderen Augen. Als etwas, dem sie gefallen musste. Als etwas, das von ihr verlangte, sich herzugeben. Und überhaupt, es sind Blicke und Augen, die sie fortan faszinieren sollten.
Über den Autor Graham Greene sagte sie, dass er so blaue Augen gehabt hätte, „als ob man durch einen Totenkopf in den Himmel schauen würde“. Wie der federleichte Schirm einer Pusteblume wehte die junge Birkin durch diese Welt der schon älteren Regisseure, Schauspieler und Künstler. Schmal, hochgewachsen und, na ja, reifer erscheinend, als sie es mit 17 eigentlich war.
Sie spielte ihre erste Rolle am Theater, ein gehörloses Mädchen, das von einem Bus überfahren wird. Erst auf einer Bühne in Brighton, dann im Londoner Haymarket-Theater. Die Freunde der Familie kamen, Graham Greene hatte das Stück geschrieben und Roman Polanski war auch da und auf der Bühne das junge Mädchen. Das war 1965. Drei Jahre zuvor hatte Stanley Kubrick Nabokovs „Lolita“ verfilmt und in Londons Boutiquen war der Minirock von Mary Quant das Signal selbstbestimmter Frauen geworden. Doch in der Welt der Kunst sah man diese Mädchen nicht als selbstbestimmt, sondern eher als Ornament, als das jugendliche Feuer an der eigenen, vielleicht nur noch glimmenden Seite.
Jung verheiratet – und doch einsam
Dann lernte Jane Birkin den Komponisten John Barry kennen. Barry, damals 30, war Anfang der 1960er mit seiner „James Bond“-Titelmusik berühmt geworden. Birkin, immer noch 17, verliebte sich. Sie heirateten wenige Wochen später, auch gegen den Protest ihres Vaters. In diesem Moment gab sie sich endgültig her, überreichte sich einer erwachsenen Welt und träumte weiter von Familie und Kindern. Aber sie spürte auch, was es hieß, nur das Accessoire zu sein, eben nur die Frau an der Seite eines Mannes. Barry hingegen führte sein eigenes Leben weiter, ging fremd, schlief ein, wenn sie reden wollte, und war aus der Tür, als sie das Leben planen wollte.
„Seit einer Weile weine ich wegen Einsamkeit, dass ich bei dir bin und mich trotzdem alleine fühle“, schrieb sie ihm. Und sie wollte ein Kind, es erschien ihr offenbar wie eine Rettung. Sie schlief mit Barry, zog sich aber immer nur im Dunkeln aus und wurde dafür von ihm verspottet, wie es in ihren unlängst auf Deutsch veröffentlichten Tagebüchern („Munkey Diaries“) heißt. Zu unfraulich erschien ihr der eigene Körper und sie war „traurig, nicht so eine Silhouette zu haben“ wie die anderen Frauen in Barrys Welt, „aber wenn man nicht so gut sein kann, ist es am besten, anders zu sein“, erklärt Birkin weiter in ihrem Tagebuch.
Ihre erste Tochter Kate Barry kam noch 1967 zur Welt, ein Jahr später verließ Birkin ihren Mann, zog zurück zu ihren Eltern – und alles hätte nun anders kommen können: ruhiger, eine Mutter mit Tochter, ein englisches Leben. Kam es aber nicht, es ging so ähnlich weiter. Jane Birkin hatte in Michelangelo Antonionis Film „Blow up“ (1966) zum ersten Mal nackt vor der Kamera gestanden. Es war nur eine kurze, turbulente Szene, aber in den Zeitungen war sie fortan „Jane blow up Birkin“, was ihr gar nicht so viel ausmachte, sie wollte ja gefallen.
Und so kam sie nach Paris, ein nächster Film – und ein Mann, der mitspielte, hieß Serge Gainsbourg. Dichter, Sänger, Schauspieler, geliebtes französisches Enfant terrible, der kurz zuvor von Brigitte Bardot verlassen worden war und 18 Jahre älter war als Jane Birkin. So wiederholte sich das Muster: Birkin verliebte sich in den älteren Mann, Gainsbourg blieb vor allem in sich selbst verliebt. Sie drehte – in der Rolle der verführenden Tochter – in St. Tropez den Film „Der Swimmingpool“ (1968) mit Alain Delon und Romy Schneider. Am Set hatte sie ihre eigene Tochter dabei, während Serge Gainsbourg im Hotel wartete. Wieder machte Birkin alles, um allen zu gefallen. „Ich fühlte mich als Kind, das zwischen den Großen spielt, ohne irgendetwas zu verstehen, nicht einmal die Bedeutung meiner Rolle.“
Ein Jahr später, Jane Birkin war 23, spielte ihr Gainsbourg, wie immer mit Gitanes-Zigarette im Mund, ein Tonband mit einem Lied vor, das er zusammen mit Brigitte Bardot aufgenommen hatte: „Je t’aime moi non plus“, eine gehauchte und gestöhnte Ballade, ein Soundtrack des Sex. Bardot wollte nicht, dass das Lied erscheint, und er suchte eine andere Frau, die das singen könnte. Jane Birkin sagte: „Ich!“ Aber sie sagte es nur, damit Gainsbourg nicht mit irgendeiner anderen in einem Tonstudio verschwinden würde. Das Lied selbst? Nun ja, kommentierte Birkin später, sie habe sich vor Schreck die Hand eingeklemmt, als sie es zum ersten Mal hörte. Der Rest ist bekannt: „Je t’aime“ wurde zu einem Skandal- und Millionenhit; der Vatikan verbannte den Song, die BBC spielte ihn nicht und doch wurde er die wohl bestverkaufte Beischlaf-Hymne der Welt. Fragt man Jane Birkin heute danach, erzählt sie, wie erfolgreich das Lied war, aber sie sagt nicht, ob sie es noch mag. Oder damals mochte. Es war wie immer: „Eigentlich habe ich immer nur gefallen wollen.“
Ihre Beziehung zu Gainsbourg hielt, hatte aber etwas Verhängnisvolles. Eine Amour fou. Elf Jahre lang. Birkin nahm derweil Platten auf und drehte Filme. Sie betrank sich mit Gainsbourg; sie lebten und feierten die Nächte durch. 1971 kam ihre Tochter Charlotte zur Welt, 1980 trennte sie sich von Gainsbourg, räumlich zumindest. Ganz ohne sein Vermächtnis kann Birkin bis heute nicht leben, auch wenn sie nach Gainsbourg mit dem Regisseur Jacques Doillon liiert war und eine dritte Tochter zur Welt brachte. Es war Gainsbourg, an dessen Seite sie das künstlerische Ich erschuf, in dem sie heute lebt. Die Sängerin und Schauspielerin, die in Frankreich immer noch verehrt wird und die seine Lieder immer noch auf Bühnen singt.
Jane Birkin, heute 72, blickt auf ihr Leben nicht sarkastisch oder verwundet. Sie kann dabei lachen, ganz so, als habe sie verstanden, dass nicht sie etwas mit den Zeiten gemacht hat, sondern die Zeiten mit ihr. Dass nicht sie spielte, sondern andere mit ihr. Auch wenn es so scheint, dass sie nur eine der Musen der wilden 1960er war, ein Pin-up des Feuilletons, wie vielleicht Uschi Obermaier oder Amanda Lear: Es war doch Birkin, die den Filmen, in denen sie spielte, und der Musik, die Gainsbourg machte, etwas gab, das sie ohne sie nicht gehabt hätten: Sinnlichkeit. Es ging nicht nur um Sehen oder Hören, sondern um Fühlen. Darin steckte eine mächtige Botschaft. Man muss sich nur „Der Swimmingpool“
oder „Je t’aime“ ohne Birkin vorstellen. Die Erinnerung wäre ärmer. Jane Birkin hat das geschafft, weil sie ihre Sinnlichkeit ernst nahm. Die anderen taten es oft nicht.